Die polnische Mehrheit

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Vor zwei Tagen musste ich richtig staunen, als ich in der „Süddeutschen Zeitung“ davon las, dass der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski vor seinem Deutschland-Besuch die Idee (die Forderung) in die Welt setzte, man solle in Deutschland den hier lebenden Polen (oder eher: den polnisch stämmigen Deutschen) den Minderheiten-Status gewähren.
Es ist ansonsten immer eine nette Sache, in der Gesellschaft von Dänen, Juden, Sinti, Roma und Sorben zu sein, doch mir schien diese Pressemeldung zunächst ein Hoax (englisch: (journalistische) Ente) zu sein. Denn dass der Außenminister zu viel Weihnachtsmarkt-Glühwein in den letzten Tagen konsumiert hatte, ist sehr unwahrscheinlich: in Polen wird der Advent als Fastenzeit- und nicht als Glühwein-Tradition verstanden.
Zumindest mir fehlt wenn nicht schon der Glaube an diesen Wunsch, so doch der Wunsch selbst in Deutschland als Minderheit anerkannt zu werden. Es ist dabei unerheblich, ob es – je nach Schätzung – 700.000 oder 2 Millionen „Deutsch-Polen“ betrifft, die sich seit dem 19. Jh. (nicht nur im Ruhrgebiet) in Deutschland dauerhaft angesiedelt hatten, wie auch die Tatsache, ob die s.g. „Aussiedler“ dazu gerechnet werden dürfen oder nicht – aus deutscher Sicht waren und sind sie „Deutsche“, die aus Polen „heim ins Reich“ kehrten. Da ich finde, ein Mensch könne durchaus mehrere Identitätsmerkmale in sich vereinen, habe ich nichts dagegen, dass sich ein und dieselbe Person je nach Land und Lage zu zwei oder mehreren Minderheiten zählen möchte (in Polen als „Deutsche“, dann in Deutschland als „Polen“). Ich aber möchte mich zu keiner Minderheit zählen, auch wenn ich das Recht dazu hätte: Weder möchte ich als „polnisch stämmiger Deutsche“, noch als „deutsch stämmiger Pole“ verstanden werden. Denn ich sehe in einem „Minderheiten-Status“ kaum etwas positives, kaum einen Wert an sich. Und wenn ich mir vorstelle, welche „Werte“ die polnischen Vereine in Deutschland und die deutschen Vereine in Polen darstellen, laufe ich schnell weg. Ein Mensch an sich stellt selber seinen Wert dar, und an ihm liegt es, seine Identität, seine Sprache, seine Bräuche und das Benehmen, seine Geschichtserinnerung und die Kultur zu pflegen und auszuüben. Also möchte ich lieber eine 1-Mann-Minderheit sein, nicht nur aus ethnischer Sicht betrachtet. So denkt übrigens auch die Mehrheit der Polen in Deutschland – sie möchten keine „offizielle Minderheit“ sein. Denn genauso wie es in Polen erlaubt ist, Deutsch zu lehren, zu sprechen und zu singen (auch im betrunkenen Zustand, selbst die ersten zwei Hymnestophen), die Deutsche Flagge (wie die Deutschen selbst) aufzuziehen und sogar Schumi-Fan zu sein, so ist es genauso in Deutschland möglich, Polnisch zu lehren, zu veröffentlichen, zu singen (auch alle Hymnestrophen) und sogar zu sprechen – zum Beispiel für mich, wenn ich mit meinem Sohn über Adam Malysz oder Robert Kubica rede („der im rotem Helm spricht auch Polnisch, Papa, so wie du und ich“). Ja, ich toleriere auch alle deutschen Minderheiten in unserem Haushalt, und so kann mein Sohn als Deutscher den obigen Satz eben auch auf Deutsch sagen. Oder eben auf Polnisch.
Daher besteht kein Grund zur Sorge um die polnischen Identitäten, denn selbst in Deutschland ist Polen noch lange nicht verloren – was auch eine Reihe polnisch-namigen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte wie Kultur beweisen: Günther Schabowski, Andrea Sawatzki, Stefan Wisniewski, Marcel Reich-Ranicki, Kommisar Schimanski, ja ein Viertel der deutschen Fussball-Nationalmannschaft scheint einem polnischen Telefonbuch zu entstammen: Podolski, Klose, Borowski, Trochowski... Wobei wir auch hier immer wieder das Polnisch-Deutsch-Schlesische Identitätsdilemma haben, wie auch bei meinem Landsmann, dem Autor Henryk M. Broder: Ein einer jüdischen Familie entstammender Schlesier, der aus Polen nach Deutschland migriert ist. Also eine Minderheit einer Minderheit einer Minderheit einer Mehrheit. Bei so einer Minderheiten-Phalanx ist es kein Wunder, dass die (Deutsch-)Türken oder die Schwaben noch lange warten können, bis für sie ein Platz als offizielle Minderheit entsteht.

Etwas positives hat dennoch dieser Sikorski-Weihnachtswunsch. Wenn unter der Rubrik „Deutsch-Polnische Beziehungen“ solche Nachrichten abgedruckt werden, heißt es nicht weniger, als dass – ein Weihnachtswunder? - sowohl Erika Steinbach wie Wladyslaw Bartoszewski schon lange nichts gesagt hatten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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