Die Scheu vor dem gewissen K-Wort

Ukraine-Krieg Im Fall der Ukraine wird das Wort "Krieg" gern vermieden - und durch "Konflikt" oder "Krise" ersetzt. Woher die Scheu vor dem Klartext?

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Es ist, was es ist
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Bild: DIMITAR DILKOFF/AFP/Getty Images

Zum hundertsten Jahrestag des Völkermords an Armeniern gab es viele heiße Diskussionen, ob man diesen auch beim Namen nennen, oder – vor allem aus diplomatischen Motiven – diesen nur andeuten und umschiffen sollte. Bis auf die Türkei, dem Herkunftsland der Opfer und dem Land der Täter, hat es fast jedes andere Land geschafft, das Wort „Völkermord“ auszusprechen. Weder dem türkischen Präsident noch irgendeinem Politiker des Landes ist es gelungen, das türkische Wort soykırım offen auszusprechen. Wenn sie sich dem weiterhin verweigern, wäre es vielleicht eine Lösung, daß Erdogan & Co. Gleich von Aghet sprechen?

Doch nicht nur Tragödien der Vergangenheit machen es Politikern wie Journalisten schwer, Klartext zu sprechen. Nehmen wir die Ukraine 2014-2015. Meist wird in diesem Zusammenhang vom „Ukraine-Konflikt“ oder „Ukraine-Krise“ gesprochen, das Wort „Krieg“ schafft es nur selten in eine Rede, ein Interview oder einen Artikel. Mir scheint, als hätte man hier eine Scheu davor, die Wahrheit auszusprechen, als hätte man Angst, einen Tabu-Bruch zu begehen – indem man sagt, was sich tatsächlich seit der über einem Jahr in der Ukraine abspielt.

Selbstverständlich sind die Begriffe „Konflikt“ und „Krise“ nicht falsch. Jeder Krieg ist ein „Konflikt“ und erst recht eine „Krise“. Doch diese beiden K-Begriffe schwächen die Bedeutung ab, mit „Krise“ assoziiert man einen psychisch schwierigen Lebensabschnitt, eine Ehekrise oder eine Wirtschaftskrise. „Konflikt“ dagegen ist ein breiterer Begriff, von „innerem Konflikt“, „Interessenskonflikt“ bis hin zu ebenso undeutlich erfundenen politischen Begriff „Nah-Ost-Konflikt“ (bei dem man sich gar scheut, die Namen der Staaten und Nationen klar auszusprechen).

Ich habe eine kleine Medien-Recherche durchgeführt, die keinesfalls strengen wissenschaftlichen Standards entspricht, dennoch einiges aussagt. Über Suchfunktionen der jeweiligen Website eines Mediums wurden die Suchbegriffe „Ukraine-Konflikt“, „Ukraine-Krise“ und „Ukraine-Krieg“ - auf deutsch oder auf englisch – eingegeben und über ein Jahr zurück gesucht suchen.

Medium - "Konflikt" - "Krise" - "Krieg":

Süddeutsche Zeitung: 383 / 543 / 49

Spiegel Online: > 10 Seiten / > 10 Seiten / 2 Seiten

ARD: 1640 / 2750 / 72

Der Standard (Österreich): 340 / 670 / 15

NZZ (CH): 5930 / 5250 / 10500

Sputnik-News: 1399 / 2283 / 604

Nowaya Gazeta (Russland): 4 Seiten / 3 Seiten / 6 Seiten

The Moscow Times: 2 Seiten / 3 Seiten / 2 Seiten

Kiyiv Post (Ukraine): 353 / 706 / 508

Daily Telegraph (GB): 520 / 643 / 776

Gazeta Wyborcza (Polen): 1690 / 1546 / 421

CNN.com: 565 / 996 / 862

Global Times China: 690 / 723 / 709

Al Arabija: 23 Seiten / 33 Seiten / 34 Seiten

Der Freitag: 258 / 349 / 36

Diese Ergebnisse bestätigen meine Vermutung zum Teil. Das Wort „Krieg“ wird tatsächlich viel seltener benutzt als „Konflikt“ und „Krise“. Allerdings nur, wenn es sich um „kontinentaleuropäische“ Medien (Deutschland, Österreich, Polen) handelt. Oder das an diese Lesegruppe gerichtete, von „Russia Today“ („Rossija Segodnja“) lancierte News-Portal „Sputnik-News“. Hingegen könnte man sagen, daß sowohl amerikanische, britische, chinesische oder arabische Medien das Wort „Krieg“ nicht zu vermeiden versuchen, ebenso wie regierungsnahe russische wie ukrainische Medien. Spannende Ausnahmen, die die Situation in der Ukraine überwiegend beim Namen nennen, sind „Nowaja Gazeta“ und die „Neue Züricher Zeitung“.

Warum fällt es also uns „Kontinentaleuropäern“, unabhängig politischer Sympathien und Ausrichtung, so schwer, vom „Krieg“ zu sprechen? Die Bilder, die uns erreichen – von schießenden Soldaten, uniformierten Politikern, fahrenden Militärkolonnen, zerstörten Häusern und aufgehäuften Leichen – sprechen doch eine klare Sprache. Versuchen wir vielleicht die Aussagen der Bilder durch Umformulierungen seichter zu machen? Ist es Wunschdenken („Ich will keinen Krieg! - Also soll es auch (in Worten) keinen geben!“) oder belügen wir uns selbst? Wir sind zum Glück nicht so weit, es als „Antiterror-Operation“ oder „Urlaub unserer Soldaten“ zu nennen. Doch warum nur diese Scheu vor dem klaren, unmissverständlichen Wort - „Krieg“? Manche Friedensaktivisten gehen sogar so weit, bei der – berechtigten - „Sorge um den Frieden mit Russland!“, also aus Angst vor einem möglicherweise zukünftigen Krieg, den gegenwärtigen Ukraine-Krieg in den Hintergrund zu stellen und ihn ebenfalls nur als „Ukraine-Krise“ zu benennen (http://www.fit4russland.com/widerstand/1059-aktion-zum-9-mai-in-berlin-blumen-fuer-den-frieden).

Und es ist nebensächlich, ob der Krieg durch die ersten, immer noch ungeklärten Schüsse am Maidan, durch die Krim-Annexion, oder durch die ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen um den Donetzker Rathaus begann. Seitdem herrscht Krieg, und man sollte ihn auch so nennen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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