Entsatz des Gutmenschen

Sprache Wortschöpfungen wie "Gutmensch" verändern mit der Zeit ihre Bedeutung - in diesem Fall zum Schlechteren. Ist es möglich sprachlich dagegen anzukämpfen?

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Er kommt immer wieder, im Bekanntenkreis, in Internet-Foren, in Leserbriefen, als aufgeschnappte Wortfetzen im Zug, zum Glück noch nicht in Träumen oder Selbstgesprächen: der „Gutmensch“. Ich setze dieses Wort absichtlich in Anführungszeichen, denn was mir begegnet ist kaum jemals ein „Fleisch- und Blut-“ Gutmensch, sondern meist lediglich das Wort „Gutmensch“. Nicht, dass es Gutmenschen nicht gäbe – doch ich habe das Gefühl, dass die Population der Bezeichnung ähnlich absurde Disproportionen in Bezug auf die Erscheinung selbst erreicht, wie das Verhältnis der Finanzströme zum Umsätzen der „Realwirtschaft“.

Das alleine wäre nicht das Problem. Denn mein Problem sind weder Gutmenschen noch die inflationäre Verwendung des Begriffes. Mein Problem, oder eher meine Unsicherheit bezieht sich vor allem auf die Bedeutung dieser Bezeichnung. Oder, noch genauer, auf die Veränderung dieser Bedeutung mit der Zeit. Es mag sein, dass mein Erinnerungsvermögen nachlässt oder mich meine Empfindungen täuschen. Doch ich habe irgendwie das Gefühl, dass sich die Bedeutung des „Gutmensch“-Wortes mit der Zeit stetig verändert hat – und zwar immer negativer.

Aber fangen wir vorne an: Seit wann kenne ich den „Gutmenschen“? Sicherlich ist diese Bekanntschaft kürzer als mein Erlangen der Kenntnis der deutschen Sprache (mehr oder weniger auf dem derzeitigen Niveau). Während das letztere so um 1989 zu datieren wäre, traf ich den „Gutmenschen“ als Wortschöpfung frühestens um 2001 – somit kurz nach meinem Umzug nach Deutschland. Denn obwohl ich auch schon vorher in einem deutschsprachingen Land lebte – Österreich – schien es dort (zumindest vor 2001) keine Anzeichen des „Gutmenschen“ zu geben. Es kann sein, dass der „Gutmensch“ als Wort inzwischen auch Österreich und andere Länder erobert hat – doch das erste Treffen gab es sicherlich erst in Berlin, so zweite Hälfte 2001.

Und – hier geht die Geschichte meiner Beziehung zum „Gutmenschen“ weiter – es war durchaus keine so negative Begegnung. Denn – so erscheint es mir vielleicht heute, vielleicht habe ich damals vor über zehn Jahren die Spitzfindigkeiten und Zwischentöne der deutsch-deutschen (oder gar berlinischen) Sprache nicht so ganz verstanden – es war keine bösartige Definition. Und genau so hört es sich für mich heute an, wenn jemand in Bezug auf einem (meist anonymen) Dritten das Wort „Gutmensch“ in den Mund nimmt – fast als eine Beschimpfung. Während es damals für mich eher als eine leicht ironische, aber doch im positiven Bereich liegende Beschreibung wirkte. So etwa wie man in einem Freundschaftskreis oder Familie leicht ironisierend, doch eigentlich gut gemeint und fast sogar stolz über jemanden sagt: „Unser Spitzensportler“ (wenn dieser hobbymäßig irgendeinen Leistungssport auf regionaler Ebene mitmacht) oder „Der ist unser Super-Handwerker!“ über jemanden, der „fast alles reparieren kann“. Wer war damals anno 2001 so ein „Gutmensch“? Für mich – wobei ich mich hier natürlich auch Vorurteile bedienen muss, da kaum jemand einen „echten“ Gutmenschen kennt – jemand, der sich in seiner sozialen Umgebung engagiert (politisch, umweltschützend, gesundheitlich, sozial), und auch noch oft und gerne etwas in Prediger-Manier davon erzählt, mit einem leicht stolzen Unterton (jedoch nicht Aufforderung): „Ich mache es ja, ich tue was Gutes, - warum tut ihr es nicht auch???“ Bitte um Korrektur falls ich mich irre, falls meine subjektiven Kräfte mich falsch leiten. Vielleicht war damals schon „Gutmensch“ eindeutig ein Schimpfwort, eine klare Kritik, ein böser Sarkasmus allen gegenüber, die sich – hochnäsig oder demütig, laut oder leise – für Umwelt, für Tiere, für Frieden, für Gesundheit, gegen Kernkraft, gegen Gewalt eingesetzt hatten – ob durch Taten, oder (nur) durch Worte.

Doch inzwischen muss ich – wieder vielleicht nur subjektiv fehlgeleitet – feststellen, dass der „Gutmensch 2013“ nicht mehr viel vom „Gutmenschen 2001“ gemein hat. Wie gesagt, es geht hier nicht um Menschen, sondern um deren Definitionen, um Worte. Und der heutige „Gutmensch“ scheint mir – einmal ausgesprochen – nur noch eine bösartige Beschreibung zu sein, der Ziel eines Hohns oder gar Aggression, ähnlich wie in manchen Kreisen die Worte „Opfer“ oder „Schwul“, in manch anderen „Kommunist“ oder „Bourgeois“. Keine Spur von freundlicher Ironie, von zumindest zum Teil gemeinten „...ist ja eigentlich ganz gut, dass es ein paar solche Menschen gibt“. Das einzige, was wie früher noch bestand hat, ist die Distanziertheit und Anonymität – denn immer noch wird beim Aussprechen des „Gutmensch“-Wortes kaum eine konkrete Person benannt.

Nun frage ich mich: ist dieser Prozess der Verdammung des „Gutmenschen“ überhaupt zu stoppen, oder gar – ist dieser umkehrbar? Bin ich ein Don Kichote, wenn ich mich nicht nur weigere, dem Chor der „Gutmensch“-Beschimpfer anzuschließen, sondern auch noch versuche das Wort „Gutmensch“ in seiner – für mich – ursprünglichen Form zu verwenden? Ich gebe zu, ich tue es nicht „aktiv“, ich nutze das „Gutmensch“-Wort nicht als erster. Meine „Verteidigungsstrategie“ des „Gutmenschen“ beschränkt sich darauf, sobald mir jemand mit einem „höhnischen Gutmenschen“ kommt – dieser seine Interpretation „naiv-gutmenschlich“ zu begegnen. Und fast schon auf einer semantischen Ebene zu argumentieren, ob der Begriff denn wirklich so „bösartig“ gemeint sein muss oder gar darf. Gleichzeitig weiss ich ja, dass Sprache und Vokabular nie fest sind, nicht dogmatisch und zu konservativ verstanden und genutzt werden dürfen – allein schon deshalb, weil es nichts bringt (außer ein Mißverständnis zweier Sprechender). Vielleicht kann man, kann ich doch was tun – wenn sich Sprache entwickelt, dann kann ich vielleicht meinen Beitrag dazu leisten, das Schicksal des „Gutmenschen“, als Wort, wieder zum besseren umzukehren? Vielleicht reicht es, es oft genug eindeutig unhöhnisch, nicht bösartig zu nutzen – und so als „Sprach-Gutmensch“ für etwas „Gutes“ meinen kleinen Beitrag zu leisten? Vielleicht so einen Tropfen beizutragen, der irgendwann ein Faß zum Überlaufen bringt? Oder wird es immer wieder nur ein Tropfen auf der heißen Stein? Oder ist meine Einstellung nur mit dem Sisyphos und seinem Stein zu vergleichen? Hat mein linguistischer Entsatz des „Gutmenschen“ irgendeinen Sinn?...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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