FÜR DIE AUFLÖSUNG DES WESTBLOCKS

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Regelmäßig wurde ich in der Vergangenheit überrascht, sobald ich die Ergebnisse eines Internet-Tests für meine politische Präferenz (ob bei Wahl-O-Mat oder bei spiegel.de) angezeigt bekommen hatte. Die Überraschung, wenn nicht leichter Schock, betraf weder das mäßige Abschneiden der s.g. „Großparteien“ CDU & SPD, noch dass bei meiner Präferenz die Grünen und die FDP ziemlich identisch weit oben lagen. Überraschend und rätselhaft war mir meine online-berechnete Sympathie und politisch-programmatische Nähe zur Linkspartei.
Zum Glück bieten diese „Polit-Tests“ auch die Möglichkeit einer Analyse der Ergebnisse, die dann zeigen, durch welche Fragen/Standpunkte man einer Partei näher oder ferner ist. Denn weder die Fragen zur freien Marktwirtschaft, noch zum Ausmaß der direkten Demokratie konnten mich wohl zu einem „Gleichgesinnten“ der Linkspartei machen.

Die NATO war´s.
Stand zumindest auf meinem Bildschirm. D.h. - die Ablehnung der NATO, noch mehr: der Wunsch, dieses Militärbündnis endlich abzuschaffen.

Natürlich stehen hinter dieser Idee Idealismus, wenn nicht Naivität. Denn dieser selbstverständlicher Gedanke wurde bei mir um 1989/1990 geboren, als der „Kalte Krieg“ zu Ende ging, und als schließlich der Warschauer Pakt aufgelöst wurde. Damals, in der Euphorie der Öffnung, der Demokratisierung, des Zusammenkommens der Länder und Völker, des Friedens freute es mich, dass ein Militärbündnis wie der Warschauer Pakt aufhört zu existieren. Und ich nahm an, es sei höchstens eine Formalie, wann auch dessen vor exakt 60 Jahren gegründeter Gegenpart, die NATO, ebenfalls in den Mülleimer der Geschichte des Kalten Krieges wandert. Abgesehen davon, dass die NATO als „Gegengewicht“ über 6 Jahre vor dem Warschauer Pakt gegründet wurde...

Meine Naivität ging nicht so weit zu glauben, der europäische Friede bedürfe gar keiner militärischen Strukturen oder einer Verteidigungsstrategie, und vor allem zwischenstaatlicher Kooperationen. Es war aber endlich der Moment gekommen, in Europa abzurüsten, zu entspannen, die Sicherheit zwar nicht zu vernachlässigen, aber auf jeden Fall deren Rang herab zu stufen in die Sphären einer europäischen Gesundheits- oder Landwirtschaftspolitik.
Vor allem war ich und bin ich der Meinung, dass es statt einer („alten“ oder „neu erfundenen“) NATO einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik und deren Strukturen bedarf. Das würde die Europäische Union noch mehr stärken (mindestens so wie der Maastricht-Vertrag, das Schengen-Abkommen, der Euro), und was entfallen würde wäre die seltsame und überflüssige, oft auch kontraproduktive Parallelität von NATO und EU (gestern forderte der NATO-Generalsekretär Scheffer sogar, die NATO zu einer „politischen Organisation“ auszubauen!...).
Dass durch Ablösung der NATO durch die EU die Türkei, Norwegen und Island alleine blieben? Die können doch der EU beitreten! - wenn sie wollen, und wenn sie die Auflagen einer Aufnahme schaffen, die sowohl bei den Wirtschaftskriterien, als auch bei den Demokratiestandards viel strenger als bei der NATO sind. Denn wenn man sich schon im kritischen Verteidigungsfall der militärischen Mittel bedienen muss, sollten die Mitglieder eines Militärbündnisses (das dann die EU wäre) eindeutige Demokratien sein. Durch eine Ersetzung der NATO durch die EU würde man auch die doppelgleisige Politik einiger EU-Länder wie Polen vermeiden, die gerne innerhalb der NATO oder auch nur mit den USA ein „eigenes Süppchen“ kochen, und sich dabei außerhalb der Interessen einer EU-Sicherheitspolitik begeben.

Natürlich sind der „Knackpunkt“ nicht nur Island oder die Türkei, auch nicht Polen, sondern die Rolle der USA in diesem „transatlantischen Bündnis“.
Es wäre wichtig, ohne dabei antiamerikanische Vorurteile zu bedienen, noch in verfestigten Denkmustern „des Westens“ zu verbleiben, sich zu überlegen, warum es denn selbstverständlich sein soll, dass wir im Jahr 2009 eine gemeinsame Sicherheitspolitik mit USA und Kanada (ja, die sind auch dabei!), nicht aber (stattdessen oder auch) z.B. mit Russland, Schweden, Armenien, Marokko, Israel haben? Für jedes Land gibt es genug Gründe für und wider, doch wie sehen die „für und wider“ bei den USA aus? Soll der Grund der militärischen „Ehe“ die Vergangenheit sein? Oder der Glaube an die Weisheit amerikanischer Stabchefs? Sind wir Europäer vielleicht doch nur koloniale Vasallen der USA, und „können gar nicht mehr raus“?

Ich fürchte, der Hauptgrund ist ein anderer: Geld.
Der Besitz und die Aufrechterhaltung militärischer „Hardware“ wie Atomwaffen, Raketen, Panzer, Kreuzschiffe und Flugzeugträger, zu schweigen von den Kosten für Forschung & Entwicklung in diesen Bereichen, ist eben sehr teuer.
Ein Militärbündnis ist natürlich auch ökonomisch sinnvoll, da durch Synergieffekte und die gemeinsame Nutzung des Waffenarsenals und des Know-How die Kosten pro Mitglied niedriger sind, als wenn jeder Staat versuchen würde, dieselben militärischen Standards alleine zu besitzen (ich gehe hier nicht auf die Frage ein, ob und welche militärische Infrastruktur ein Staat überhaupt besitzen sollte).
Doch im Fall der NATO sieht es so aus, dass die höchsten Ausgaben nicht nur absolut, sondern auch relativ, die USA tätigen. Natürlich auch für sich, aber damit auch für das Bündnis. Während die Amerikaner über 4% des BIP für „Verteidigung“ ausgeben, sind es in der EU im Durchschnitt 2% (am höchsten Frankreich und Bulgarien mit je 2,6%, Deutschland mit 1,5%).

Das bedeutet, dass wir uns bei „Verteidigungsausgaben“ einfach gerne von den USA aushalten lassen! Dass damit auch ein Ungleichgewicht im politischen Sinne bei der NATO die Folge ist, ist eigentlich logisch und sogar „gerecht“. Wenn wir unter einen fremden großen Schirm uns vor dem möglichen Regen verstecken wollen, statt uns selber einen anzuschaffen (geschweige denn der Frage, ob der Regen kommt und wirklich groß wird) – bestimmt derjenige über den Schirm, der ihn hält.
Die Wahrheit ist, dass uns eine rein europäische Sicherheitsstruktur statt des NATO-Bündnisses viel mehr kosten würde – falls wir dabei dieselben „Standards“ und dieselbe Infrastruktur haben wollten, die derzeit die NATO (durch die USA) bieten. Müssen wir denn so viel für die „Verteidigung“ (ob für tausende herumhockende Jungs in den Kasernen, für Kampfflieger über Heiligendamm, oder für Kriegsschiffe im somalischen Gewässer) ausgeben? Wie schaffen es mehrere neutrale Staaten wie Mexiko, Trinidad & Tobago, Irland, Österreich oder Island, dass sie nur (sogar?) zwischen 0,5%-0,9% des BIP für den Militäretat ausgeben, und keiner sie bisher angegriffen und überfallen hat? Und sie es trotzdem schaffen, ihren Beitrag zu Friedensmissionen zu leisten? Ist es andererseits ein Zufall, dass die Höhe des Anteils der Verteidigungsausgaben für autoritäre und diktatorische Staaten besonders hoch ist?

Zum Schluß eine kleine Anekdote:
1988, als ich gerade ein Jahr in Österreich lebte, wohin meine Familie aus dem damals noch „sozialistischen“ Polen emigrierte, erlebte ich während einer Schulstunde folgendes:
Als die Klasse das Thema „Abrüstung“ diskutierte, wurde des öfteren der Ausdruck „Ostblock“ erwähnt -ein vereinfachendes, und für mich bis dato nicht pejoratives Wort, welches die „sowjetische Einflusssphäre“, also den „Warschauer Pakt & Partner“ (wie Rumänien, das kein volles Mitglied war) umschrieb. Die Wortmeldung aber (die hier unbedeutend ist) ging völlig unter – weil ich in meinem Satz den für mich so gesehen logischen und selbstverständlichen, (gerade erfundenen) Ausdruck „Westblock“ benutzte! Unter den Klassenkameraden und der Lehrerin folgte Lachen, Überraschung, Entsetzen.
Da wurde mir klar, wie eingeengt auch die Sichtweise des pluralistischen und offenen „Westens“ sein kann, indem man „die anderen“ in einen „Block“ fasst, sich jedoch selber keinesfalls als ebensolchen „Block“ sehen möchte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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