Griechenland, Europa, Solidarität

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In den letzten Wochen wird in Bezug auf Griechenland und seine wirtschaftlichen Probleme vor allem der Begriff „Krise“ inflationär (nomen est omen!) gebraucht, getoppt höchstens von der platten Metapher über eine „griechische Tragödie“.

Die hohe Verschuldung und die damit verbundenen Schwierigkeiten sind nicht wegzuleugnen, doch sobald ich das Wort „Krise“ höre, werde ich nostalgisch, und denke an den Anfang der 80er-Jahre in meiner Heimat Polen.

Damals hatte die Wirtschaftskrise zwar andere Gründe hatte (aber auch die Symptome wie hohe Auslandsverschuldung, geringe Produktivität und negatives Handelsbilanzdefizit – was beweist, dass ich „Kommunisten“ nicht schlechter als „Kapitalisten“ in den Abgrund verschulden können). Allerdings herrschte im Volksmund neben dem erschauerndem Wort „Kryzys“ immer auch das Wort „Solidarnosc“ - und zwar nicht nur in Bezug auf die oppositionelle Arbeiterbewegung.

Eine solche Betonung, eine glaubwürdige und emotionelle Betonung einer Solidarität mit den Griechen fehlt mir in den derzeitigen europäischen Diskussionen – egal ob auf der Ebene der höchsten Politiker, der Medien, wie auch im „gemeinen“ Volk.

Natürlich, durch das Rettungspaket wurde faktisch eine „Solidarität“ mit dem griechischen Staat gezeigt, indem man (nach einigem Zögern) doch noch bereit war, zu helfen. Doch wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass andere Europäer nur deswegen geholfen haben, weil sie in den griechischen Finanzproblemen eine Gefahr für sich selbst, ihre Währung und ihre Banken sahen. Es war keine Solidarität der Solidarität wegen.

Ich weiss, ich klinge und bin vielleicht naiv, gar idealistisch. Vielleicht liegt es zum Teil auch an den Idealen der damaligen „Solidarnosc“, dass ich immer noch an die menschliche, bedingungslose Solidarität glaube und mir eine solche in der europäischen Gesellschaft wünsche. Und dass ich in der EU lieber eine „Familie“ als ein „Wirtschaftskonsortium“ sehen würde.

Man stelle sich auch andere (hoffentlich unrealistische) europäische Szenarien vor, wo ich meine, dass man „ohne wenn und aber“ eine Solidarität zeigen sollte, anstatt voll Schadenfreude und Besserwissertum auf das (auch wenn mitschuldige) Opfer mit dem Finger zu zeigen:

  • Angenommen, es stellt sich heraus, dass die Niederländer über Jahrzehnte ihre Dämme nicht besser als die Kölner ihre U-Bahn gebaut hatten, und sich nun nach einem größeren Sturm gefährliche Risse zeigen würden: Sollte man da nicht sofort den Niederlanden mit Tausenden LKW voller Beton und Hunderten Hubschraubern mit Millionen Sandsäcken sofort helfen? Anstatt zu warten, bis die Dämme brechen?

  • Angenommen, die FIDESZ-Regierung in Ungarn ist noch schlechter als ihre sozialdemokratischen Vorgänger, die rechtsextreme Jobbik-Partei übernimmt die Macht, und beginnt ähnlich wie Hitler sehr zügig mit Verfassungsänderungen: Sollten die Europäer zuschauen, die Ungarn aus der EU ausschließen, oder doch eher alles versuchen die Jobbik-Aktionen zu unterbinden?

  • Angenommen, Malta hat ihren einzigen Wasserversorger an eine Beteiligungsgesellschaft privatisiert, die nun pleite geht, und nun offensichtlich wird, dass die veralteten Anlagen nicht genug Wasser aufbereiten können: sollte man nicht sofort die Malteser mit Wasser versorgen, ob per Luft oder Schiff?

  • Angenommen, es beginnen sich bereits vor der Haustür der EU, in den brüsseler Vororten, jeweils flämische und wallonische „Bürgerwehren“ zu bilden, die nur allzu sehr an die zunächst als „dummer Hooligans“ verspotteten Kollegen aus Sarajevo 1991 erinnern: sollte man zusehen, es als „innere Angelegenheit“ betrachten, oder doch notfalls mit einer EU-Schutztruppe eingreifen?

Sicher, auch Griechenland hat zahlreiche Fehler begangen, jahrelang. Die es inzwischen ehrlich zugibt, und auch versucht, sich in der Zukunft „zu bessern“.

Ich weiss, als Pole werde ich hier wieder zu christlich klingen, aber anstatt immer wieder von einer „griechischen Tragödie“ zu reden, wäre die Erwähnung der neutestamentarischen Geschichte vom „Verlorenen Sohn“ angebrachter.

Denn was mich daran am meisten beeindruckt, ist nicht die Bereitschaft des Vaters, diesen Sohn trotz aller seiner Fehler in sein Haus wieder aufzunehmen. Beeindruckend finde ich das Fehlen jeglicher Bedingungen für den zerknirschten Rückkehrer. Welches ich nur so deuten kann: Der Vater weiss sehr gut, dass wir alle fehlbar sind, dass es jedem von uns passieren könnte, was dem „Verlorenem Sohn“ passierte, und dass wir daher als Familie einander eben solidarisch sein sollten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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