Neulich musste ich wieder durch die halbe deutsche Republik über 600 Autobahn-Kilometer abspulen. Das geht bei mir leichter mit einem Milchkaffee in der Variante coffee-to-drive. Das einzige Problem dabei – ich habe ein schon etwas älteres Automobil, bei dem allerdings das größte Manko das Fehlen eines Getränkehalters ist. Wenn ich also mit dem heißen Kaffeebecher von der Tanke zum Auto komme, ist die an sich gewöhnliche Abfolge von Tür-auf – Hinsetzen – Schlüssel-rein – Tür-zu – Gurt-rüber – Schlüssel-drehen doch um einiges komplizierter. Vor allem wenn ich gerade der Fahrer bin und meine Freundin rechts neben mir fehlt – oder eingeschlafen ist. (Außer ich hab den Becher doch auf dem Dach abgestellt und vergessen...)
So auch diesmal. Irgendwie habe ich es natürlich geschafft, nicht nur nichts auszugießen, nicht nur den Kaffee zu genießen ohne mir die Lippen oder die Innenseiten der Schenkel zu verbrühen, sondern auch sicher und entspannt nach Berlin heimzukommen. Dennoch war ich einige Kilometer lang damit beschäftigt, über Aspekte der Fahrsicherheit nachzudenken. Es waren schon viele Kilometer, zumal ich wie meistens zwischen Ost-Hessen und Süd-West-Brandenburg keinen einzigen Radiosender fand, den man erstens gut hören konnte, und zweitens – hören konnte. Auch die 46 braunen Info-Tafeln, von denen es schätzungsweise drei mal so viele wie Autobahn-Abfahrten zu geben scheint, waren nur eine mäßige Ablenkung (der Rekordhalter pro Kilometer und Sinnfreiheit ist Thüringen - „Residenzstadt Gotha“ und „Glockenstadt Apolda“ lassen grüßen...).
Ich fragte mich selbstkritisch: Sollte man das Trinken von Getränken, erst Recht heißen Getränken, in getränkehalter-freien Fahrzeugen nicht verbieten? Ähnlich wie – sinnvollerweise – das Smartphone-Surfen oder Handy-Telefonieren? Oder das Fahren unter Drogen- und/oder Alkoholeinfluß? Oder das Fahren ohne Gurt?... Stopp! (dachte ich). Das mit der Gurt ist was anderes. Nicht nur weil es eine „Pflicht“ und kein „Verbot“ ist – Pflicht ist es ja auch, ein TÜV-konformes Fahrzeug zu haben oder einen gültigen Führerschein.
Der wichtige Unterschied bei der Gurt-Pflicht bezogen auf die anderen gesetzlichen Verordnungen des Autofahrens ist es – ähnlich übrigens wie bei der Frage nach der Helm-Pflicht für Radfahrer – daß man hier ja nur sich selbst gefährden kann.
Bei allen anderen Punkten – auch bei der Kindersitz- und Gurtpflicht für Kinder – handelt es sich um Vorschriften, durch die nicht nur meine Sicherheit, sondern vor allem die Sicherheit der anderen (ob im meinem Auto oder auf der Straße) wenn nicht gewährleistet, so erhöht werden soll. Wenn ich mit 1,5 Promille Alkohol, ohne Brille und in einem seit 5 Jahren TÜV-losen Fahrzeug mit 220 über die Landstraße brettern und dabei eine SMS schreiben sollte, mit einer Bande am Hintersitz rumhüpfender Kiddies – dann würde ich durch mein Verhalten mehrere Menschenleben gefährden – dies sollte unterlassen werden, wenn möglich, auch gesetzlich. Vom heißen Kaffeebecher zu schweigen.
Wenn ich aber nüchtern, mit einem perfektem Fahrzeug ohne jegliche Ablenkung und guten Augen mehr als gemächlich fahren, und den Gurt aber nicht angeschnallt haben (den Helm nicht angezogen hatte), und dann durch einen Unfall mich verletzen oder sterben – dann bin ja nur ich selbst der Geschädigte. (Sollte der Unfall meine Schuld sein, und andere ebenso Geschädigt – so läge es auch nicht am Gurt oder Helm). Genauso übrigens wenn ich beim schlechtem Wetter und/oder mangelnder Fitness eine Bergtour mache oder mich jeden Tag mit schlechten Schnaps volllaufen lassen würde. Oder mich entscheide, nüchtern oder nicht, Selbstmord zu begehen.
Solche aus dem sorgenvollen Sicherheitsdenken geborenen Versuche staatlicher und gesellschaftlicher Regulierung der selbst-bezogenen Aktivitäten eines Individuums lehne ich ab. Denn sie bedeuten nur eines: Wir-Staat wissen besser als Du-Bürger, wie (und vor allem: ob) du dich vor dir selbst schützen solltest.
So schlimm ist es aber nicht: denn spannend ist vor allem, warum es gerade das Gurt-Anschnallen (und vielleicht mal die Helm-Pflicht) geschafft hat, zur Pflicht zu werden, während glücklicherweise kaum etwas vor Initiativen zur Nüchternheit-Pflicht, Gesundes-Essen-Pflicht oder Ein-Buch-pro-Woche-Pflicht zu hören ist, erst recht nicht von einer Lebenswillen-Pflicht.
Zumal ich persönlich keine Lust auf Selbstmord verspüre – im Gegenteil - und jedes Mal den Gurt anschnalle, ebenso wie den Fahrradhelm aufsetze. Ich tue es aber aus eigener Überzeugung.
Auf den heißen Kaffee sollte ich vielleicht dann – ebenfalls aus Überzeugung – verzichten. Das Leben ist zu schön, um an der braunen Tafel „Bachstadt Arnstadt“ mitten in Thüringen zu enden.
Erschienen auch unter:
https://lukaszszopa.wordpress.com/2015/06/01/helm-gurt-aus-uberzeugung-nicht-gehorsam/
Kommentare 30
Der springende Punkt dürfte ein anderer sein: Die Krankenkassen wollen das nicht bezahlen, und du darfst deswegen nicht ohne Gurt fahren, weil nicht sichergestellt ist, dass du die dich betreffenden Folgen deines selbstverschuldeten Unfalls selbst auch tatsächlich bezahlen kannst. Also letztlich wie überall die schleichende Abkehr vom Solidaritätsprinzip.
"Also letztlich wie überall die schleichende Abkehr vom Solidaritätsprinzip."
Wieso? Also "schleichende Abkehr" vom Soli-prinzip kann man zwar überall beobachten - aber i.F. dieses Beispiels doch nicht!? Ich finde schon, dass Sicherheitsmaßnahmen, die sehr gravierende gesundheitliche Schäden zu verhindern oder einzudämmen vermögen und darüber noch nicht einmal wesentliche Einschränkungen des Nutzers in ihrer Anwendung mit sich bringen auch im Sinne vermeidbarer Kosten für die Krankenkassen und damit auch aller Beitragszahler nachdrücklich verordnet werden sollen. Insofern halte ich die Gurtpflicht für sehr sinnvoll. Und wer sich nicht anschnallt, soll dann eben im Falle des Falles die Behandlungskosten komplett selbst tragen.
@Lukasz Szopa
Warum nicht eigentlich erst den Kaffee trinken und dann weiterfahren? Also, man kann sich auch viele Probleme erst selbst schaffen.
Also "schleichende Abkehr" vom Soli-prinzip kann man zwar überall beobachten - aber i.F. dieses Beispiels doch nicht!?
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Und wer sich nicht anschnallt, soll dann eben im Falle des Falles die Behandlungskosten komplett selbst tragen.
Eben. Solidarität hieße, dass derartige Kosten auch übernommen würden, wenn ich unangeschnallt fahre.
Wir haben offenbar komplett verschiedene Begriffe von Solidarität.
Menschen machen Fehler. Menschen machen auch mutwillige Fehler. Ist das ein moralisches Ausschlusskriterium für Solidarität? Aus meiner Sicht nicht.
Ich würde das eher Vollkasko-Mentalität nennen.
Hauptsache ich kenne meine Rechte, meine Pflichten interessieren mich nicht.
Ich darf also mein Haus abfackeln und bekomme von der Solidargemeinschaft ein neues? Danke, ich werde es trotzdem nicht ausprobieren.
Nachtrag:
Wie ist das eigentlich mit der Solidarität des Nicht-Gurt-Anlegers gegenüber der Gemeinschaft? Gibt es nicht auch einen Anspruch der Gemeinsschaft, dass sich jeder so verhält, dass die Gemeinschaft nicht (oder am wenigsten) geschädigt wird?
Es ist anscheinend immer leicht, die Gemeinschaft für die Fehler Einzelner in Anspruch nehmen zu wollen. Jedenfalls leichter, als die Ansprüche der Gesellschaft an den Einzeln zu sehen.
Bei einer idealen Solidarität wäre das so. Aber so hoch ziele ich gar nicht. Ich rekurriere nur darauf, dass diejenigen, die Fehler machen, in aller Regel trotzdem ihre Kassenbeiträge bezahlt haben.
Sie sind dann wahrscheinlich auch der Ansicht, Raucher sollten ihre Krebstherapie und Übergewichtige die Diabetestherapie selbst bezahlen?
Jedenfalls leichter, als die Ansprüche der Gesellschaft an den Einzeln zu sehen.
Mag sein. Und am Ende haben nur noch verheiratete, nichtrauchende mittzwanziger Leistungssportler mit doppeltem Beruf in der Familie, Kind und eigenem Haus Anspruch auf Sozialleistungen, weil alle anderen irgendwelchen Risikogruppen zuzuordnen sind. Und die Verbleibenden benötigen die Leistungen gar nicht. Schaffen wir sie einfach ab.
Gerade Mutwilligkeit muss Sanktionen nach sich ziehen. Ansonsten ließe sich auch im Falle erstmalig begangener krimineller Akte argumentieren, sie seien als "Fehler" anzusehen und keiner Sanktion würdig.
Die Bedeutung des Gurtes im Auto ist jedem Fahrer hinreichend bekannt (gemacht worden). Sich nicht anzuschnallen ist eine mutwillige Mißachtung. Und an diesem Punkt muss ein Solidarsystem seine Grenze finden.
Dann könnte man allen Bergsteigern oder auch Leuten über 70-75 auch sagen: Leute, euer Leben und medizinischen Kosten um es zu erhalten ist statistisch viel zu teuer, läßt es mal. Oder?...
@"Und wer sich nicht anschnallt, soll dann eben im Falle des Falles die Behandlungskosten komplett selbst tragen." Wenn ich die Freiheit, keinen Gurt oder Helm zu tragen hätte - selbstverständlich!
@ Kaffee: Weil die Shell-Tanke samt Burger-King, Sanifair-Toilette und BeateUhse-Laden weniger gemütlich als mein Auto war.
@"Sicherheitsmaßnahmen, die sehr gravierende gesundheitliche Schäden zu verhindern oder einzudämmen vermögen"
Aber wo würden Sie die Grenze setzen, sagen wir zum Bergsteigen, Radfahren (sogar MIT Helm) etc? Mit den Kosten des (überlebenden) Unfallopfers für die Gesellschaft & Versicherungen? Dann wäre es gewissermaßen die Vermessung des Wertes eines Menschenlebens, oder?
@"Gibt es nicht auch einen Anspruch der Gemeinsschaft, dass sich jeder so verhält, dass die Gemeinschaft nicht (oder am wenigsten) geschädigt wird?"
Nein, den Anspruch gibt es nicht. Es gibt die Freiwilligkeit des Individuums, sich vom Fall zu Fall an das Gemeinwohl zu richten. Bein Verhalten, wie Sie es wünschen, wäre nur mit Super-Sozial-und-Unfall-Statistik erreichbar, oder mit sofortigem Selbstmord (außer man ist der Gemeinschaft "so viel wert", daß man möglichst lange leben sollte - aber nur solange man es eben "wert" ist). Für mich eine abscheuliche Vorstellung, dieser Gemeinschafts-Utilitarismus (oder - Effektivität)
@"auch im Falle erstmalig begangener krimineller Akte argumentieren, sie seien als "Fehler" anzusehen"
Dieser Vergleich hinkt etwas: Denn die Folgen - nicht nur die materiellen, auch die ethischen - des Gurt-Nichtanschnallens sind viel geringer als bei einem Diebstahl oder Raubmord. Meines Erachtens trägt beim ersteren meist der Mensch selbst die meisten Folgen (meist ist es eben der Tod), beim zweiten die Gemeinschaft (sei es durch die Kosten des Strafvollzugs)
"Nein, den Anspruch gibt es nicht."
Doch, den gibt es. Als Mitglied einer Gesellschaft habe ich mich (idealerweise) so zu verhalten. Ansonsten bitte irgendwo in eine Einsiedlerhöhle ziehen.
"Für mich eine abscheuliche Vorstellung, dieser Gemeinschafts-Utilitarismus (oder - Effektivität)"
Alles Egomanen, aber die Gesellschaft soll zahlen - das klappt nicht.
Beschwören Sie es nicht. Wobei, Bergsteiger müssen afaik ohnehin teure Spezialversicherungen abschließen, wenn sie gegen Sportunfälle versichert sein wollen. Und ob das sozialkompatible Frühableben mit 66 auf ewig nur eine fixe Idee bleiben wird, ist für mich auch noch lange nicht endgültig entschieden.
Gibt es nicht auch eine Verantwortung der Gesellschaft dem Individuum gegenüber? Bleibt halt immer ein Teil der individuellen Freiheit-die eigene Doofheit ;)
greetings from the pit -abghoul
Ich schreibe an keiner Stelle, daß die Gesellschaft für mein Nicht-Gurt zahlen soll.
@ Anspruch: Gut, den gibt es teilweise. Denn man ist zwar "Mitglied der Gesellschaft" (auch wenn M. Thatcher mal meinte "There is no such thing as society") bzw. "Gemeinschaft" bzw. "Versicherungskundenstamm" - aber dies kann nicht die einzige oder höchste Prämisse sein. Denn gleichzeitig ist man ja "Mitglied von sich Selbst". Genauso wie man kein 100% Einsiedler-Leben (incl. Pflichte & Rechte) führt, führt man auch kein 100%-Gesellschaftskonformes Leben (so hoffe ich zumindest).
Als Mitglied einer Gesellschaft habe ich mich (idealerweise) so zu verhalten.
Als freiwilliges Mitglied einer Gesellschaft habe ich mich so zu verhalten, wie es dem Gesellschaftskonsens entspricht. An diesem wird mal wieder heftig gedreht und geschraubt. Dazu gehört auch die Reduzierung dessen, was vom Solidaritätsprinzip gedeckt wird, aber noch haben die Neolibs glücklicherweise nicht gänzlich gewonnen, auch wenn die Reste des Solidaritätsprinzips mittlerweile eher erbärmlich zu nennen sind.
Danke, geil!... Hoffentlich wird mich der Sänger wegen meines Blog-Titels nicht verklagen, denn 1989 kannte ich das Lied noch gar nicht...
Don´t worry...Daran ist auch zu erkennen wie wenig sogar europäische Nachbarn voneinander mitkriegen .
So, so "der Rekordhalter pro Kilometer und Sinnfreiheit ist Thüringen"... Der autor kann für sich ungefähr dasselbe in bezug auf das schreiben von artikeln behaupten - gratulation zum rekordhalter "pro zeile und sinnfreiheit", bravo!
Ohne Gurt, ist mitnichten nur eine mutwillige Gefährdung des Eigenschutzes, Lukasz Szopa.
Denken Sie es sich einfach einmal so: Sie sind ein guter Autofahrer und begehen praktisch nie oder doch nur extrem selten den Fahrfehler ihres Lebens. Also ist es nicht unbedingt ausgemacht, dass Sie durch eigenes Verschulden, ab 30 km/h aufwärts, auf der Kühlerhaube ihres Fahrzeugs oder in der Pampa landen. Das ist ein Risiko, das Sie sicherlich tragen und viel mehr noch, ertragen können, bis zur letzten Konsequenz.
Allerdings verwirklicht sich das Risiko eines Unfalls vor allem durch andere. Denken Sie an den berüchtigten Auffahrunfall am Stauende. Sie stehen und der übermüdete Nachfolger, wie auch immer, crasht in Sie hinein. Denken Sie an die berühmte Kreuzung bei Rot, mit gleichem Ausgang. Denken Sie an die Landstraße und die elende Überholerei.
Wenn Sie nicht angeschnallt sind, bringt Sie der fehlerhafte Unfallfahrer um oder hinterlässt zumindest einen schwerverletzten Menschen. - Wie soll er damit umgehen, abgesehen von der Frage, wie das juristisch gewertet wird, abgesehen von den Kosten, die getragen werden müssen?
Der Gurt, weitere Sicherungssysteme, Geschwindigkeitsbegrenzungen, schützen also vor allem davor, andere mit ihrer Fehlerhaftigkeit in eine fast untragbare Schuld sausen zu lassen, weil die einen Moment der Freiheit, der sehr häufig einer der Unaufmerksamkeit und der Bequenmlichkeit ist, nutzten. Trotzdem wird bei uns über Tempolimits grundsätzlich nur so nachgedacht, als stünde da die Freiheit der fahrenden Christenmenschen auf dem Spiel.
Die Unbekannten er, sie, NN, werden ihres Lebens nicht mehr froh, wenn sie Lukasz Szopa umgebracht haben oder er irgendwo apallisch dahingammeln. - Es gibt auch Psychopathen, klar, denen ist auch große, aufgeladene Schuld völlig egal, weil sie sie nicht empfinden.
Autofahren ist sehr gefährlich, ab 30 km/h aufwärts. So, wie ungesicherte Kletterei oberhalb von 3- 4 Metern, wie die schnelle Skiabfahrt auf vielbefahrenen Pisten.
Leider haben wir kein eingebautes Warnsystem mehr, für die Bedrohung unserer Freiheit und vor allem, die der anderen. - Alles ist überformt.
Im Naturzustand, der ja in Zeitungen, wie sie der dF repräsentiert und in Webforen wie diesem, immer nur aus politischen, gesellschaftskritischen oder philosophischen Gründen einmal zitiert wird, waren die Menschen und Vorfahren sicher risikobewusster. Es galt, den Tod nur zu riskieren, wenn es ums Leben ging.
Beste Grüße
Christoph Leusch
PS: Selbstverständlich lässt sich das auf viele andere "Wieso soll ich?"- und "Warum muss ich?"- Fragen übertragen. In den meisten Fällen geht es um die möglichen Folgen für andere, psychisch, materiell, juristisch, gesellschaftlich, wenn die Freiheitsfragen diskutiert, aber nicht ausdiskutiert, werden.
Das gilt sogar für vermeintlich gesamtgesellschaftliche und eher abstrakte Themen, rund um die Freiheit.
Wenn man da nicht als hartherziger, aber trotzdem furchtbar weinerlicher Freiheitsapostel enden will, womit man zwar für alle höchsten Ämter in diesem Land geeignet ist, müsste man einen Teil der geistigen und psychischen Grundbeschaffenheit der Menschheit im Naturzustand wieder entwickeln.
Moment mal, ich soll mich anschnallen, damit andere durch ihre eigene Fehler nicht so ein schlechtes Gewissen haben?...
@"schützen also vor allem davor, andere mit ihrer Fehlerhaftigkeit in eine fast untragbare Schuld sausen zu lassen, weil die einen Moment der Freiheit, der sehr häufig einer der Unaufmerksamkeit und der Bequenmlichkeit ist, nutzten"
Vielleicht bin ich doch ein "hartherziger Freiheitsapostel", wenn ich für diese Idee kein Verständnis und kein Empathie aufbringe. Ich finde, wenn sich einer (ein schlechter, unkmonzentrierter Autofahrer) die Freiheit nimmt, nicht rechtzeitig zu bremsen, so soll er auch die Folgen (ob finanziell oder "untragbare Schuld") auch selber tragen - abgesehen von Folgen die auf mich als sein Opfer kommen.. (außer, natürlich, der andere Fahrer "kann nichts dafür" - ist eben von seinen Anlagen her "verwirrt, unkonzentriert, aggressiv" - da kann durchaus der Staat/die Gemeinschaft eingreifen, und ihm die Fahrerlaubnis entziehen. Das ist dann wieder wie beim Alkoholkonsum oder Geschwindigkeitsbegrenzung - denn da ist man immer "der Gefährdete" und "der Gefähdender".
@"waren die Menschen und Vorfahren sicher risikobewusster."
Meinen Sie, weil die Menschen heutzutage (vielleicht) weniger Risikobewußt sind - soll man sie zwingen, Gurte & Helme zu nutzen? Ich wollte es den ganzen Blog vermeiden, um nicht in der "Autofahrer-Freiheits-Lobby"-Schublade zu landen, aber das wäre dann doch: Bevormundung (= Entmündigung), oder? Quasi "Du lieber Mensch bist zu dumm, um deine eigenen Gefahren einzuschätzen und zu verantworten - also Helm auf!" ? Solche Sichtweisen sind für mich aus anderem Grund kritisch, denn ich meine, je mehr man dem Menschen seine Verantwortung und sein Denken abnimmt, desto mehr gewöhnt sich dieser daran (wie beim Navi) - und ist in den Folgejahren und sicher in der Folgegeneration tatsächlich dümmer und unverantwortlicher.
Also, ich bin davon ausgegangen, Lukacz Szopa, dass Sie, wie ich, wie andere, durchschnittlich gut fahren können, aber auch durchschnittlich oft einmal, so wie sie es beschreiben, die Regeln verletzen, unaufmerksam, gehetzt und sonstwie motiviert, einen Unfall verursachen.
Wenn Sie sterben, weil sie nicht angeschnallt sind und ein Dritter hat Sie angefahren oder den Unfall verursacht, dann glaube ich schon, dass es diesen Menschen nicht ruhiger werden lässt, sich dann guten Gewissens sagen zu können, der Szopa war auch selbst schuld, er hatte sich nicht angeschnallt.
Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man in risikogeneigten Berufen Erfahrungen macht, die einen nachdenklicher stimmen und vorsichtiger sein lassen?
An unseren Autobahnen stehen, wenn überhaupt, doch eher Schilder zur Freiheitserlaubnis: Richtgeschwindigkeit 130 km/h. Kein anderes Land Europas ist freier.
Wer seinen Gurt nicht anlegt, der wird, tappt er in eine Kontrolle, doch eher milde mit einem Verweis und einem Ordnungsgeld belegt. Wer hier angeschickert Auto fährt, hat nicht nur ein geringes Entdeckungsrisiko, sondern auch, bei einer Kontrolle, gute Chancen, bis auf ein wenig Kleingeld und ein paar Tage Kfz-Pause, gut davonzukommen und sogar den evangelisch- christlichen, weniger schon den katholischen Segen und das barmherzigste Mitleid zu erfahren.
Eine Strafkolonie wird es nicht geben, aber vielleicht ein wenig mehr Nachdenklichkeit, wenn die Gurtpflicht ernster genommen würde. - In ein paar Jahren wird sich das Problem technisch lösen. Dann wird es ein echtes Freiheitsproblem geben, denn es steuert Big brother, im Guten, wie im Schlechten und auf einer sechsstündigen Fahrt können sie aus dem Modell "Gondola" mit E- Antrieb und Steuerungsautomaten die Landschaft bewundern, ihren Kaffeebecher ordentlich festhalten oder die Jalousien herablassen und in irgend ein Reich der Freiheit gelangen, weil es keine sehr wahrscheinlichen Unfälle mehr gibt, nie mehr scharf gebremst werden muss und auch der Autist am Steuer zu einem freien, sozialen Wesen wurde. Nebenbei wird auf Vorrat gespeichert, wo sie, schon gechipt, und ihr Aussichtskuppel-Modell, völlig verwanzt, gerade herumkurven, und die Freiheit ist wirklich bedroht, weil das Kinoauge "Vertov-Kinoglaz 4.o" sie in allen Lebenslagen durchsichtig machte.
Wer unkonzentriert ist, der ist ja gerade nicht frei. Das sagen doch auch die Sprüche, wenn es deswegen zum Fahrfehler gekommen ist:
Es tut mir leid, ich war einen Augenblick nicht konzentriert; ich war in Gedanken; ich balancierte meine Kaffeetasse und versuchte meine Klöten vor der Verbrennung zu bewahren. Ich griff nach der vom Beifahrersitz gerutschten Karte, ich bediente meine Musikanlage, ich telefonierte, ich fuhr nach Navi und bastelte an den Einstellungen, ich wollte nur umblättern, wischen und wedeln, usw.
Im Moment der Ablenkung sind wir ja gar nicht frei, sondern eben abgelenkt davon, zu lenken und zu bremsen, was den eigentlichen Akt der Freiheit in Verantwortung darstellte, wären wir aufmerksam.
Ja, die Menschen waren risikobewusster, weil sie wussten, es kann jederzeit und mit recht großer Wahrscheinlichkeit zu Ende sein, wenn was schief läuft, man einen Fehler macht. Märchen werden uns zur Urgewalt und zum frühen "Menschenfressertum", zum Recht des Stärkeren erzählt.
Die wenigen Menschen waren aufeinander angewiesen, keiner wirklich entbehrlich, sie hatten Angst, nein reale Furcht, sie wussten, dass eine Auseinandersetzung, zum Beispiel schon einfache Verletzungen, über die wir heute lachen, zum Ableben führten. Usw. Das Leben war bestimmt schön, wie heute, aber so risikoreich, dass man es nicht riskierte und auch nicht einfach dasjenige anderer Mitmenschen.
Beste Grüße
Christoph Leusch
@ "Wer unkonzentriert ist, der ist ja gerade nicht frei." Der schönste Satz Ihres Kommentars, danke!
Aber - Sie beantworten einen Aspekt nicht, der, so ich verstand, das Grundargument Ihres ersten Kommentar-Einwands zur Gurt- & Helm-Freiheit war (das Vermeiden des "fast untragbaren Schuld"): Warum soll ich mein Verhalten an die möglichen Negativfolgen beim Versursacher (Annahme: ich bin Opfer, jd. anderer Verursacher & Schuld) anpassen. Sprich: Ich schnalle den Gurt an, weil es ja schade wäre, falls ich Unfallopfer werde und mehr zuschaden komme als ohne Gurt, daß der Unfallverursacher seelisch darunter leidet ("fast untragbare Schuld"). Der Gedanke ist ja nett, doch es gibt auch Grenzen bzw. es sollte auf (meiner) Freiwilligkeit beruhen. Sonst müsste ich konsequenterweise sagen und handeln: "Ich fahre in Berlin lieber nicht Fahrrad, auch wenn mir keine Unfälle passieren und ich entspannt fahre, da nachweislich mehr Unfälle den (schuldlosen) Radfahrern als (schuldlosen) Fußgängern passieren - und ich somit die potenziellen Unfallverursacher (achlose Autofahrer meist) verschonen will". Oder: "Ich gehe nachts lieber nicht alleine in Designerklamotten durch Neukölln oder Wedding, damit ich die potenziellen Überfall-Täter vor den seelischen Qualen ihrer Tat schütze"???
Ansonsten gebe ich Ihnen recht - was die Folgen des Nicht-Anschnallens für mich wären (daher schnalle ich mich ja an! - meinetwegen!), oder daß der Staat es gar nicht sooo bestraft. Und natürlich bin ich selber kein besserer Autofahrer als der Rest Europas. Auch mir kann es passieren, daß ich jd. umfahre, der Ohne Gurt / Ohne Helm - Dasein pflegt. Dafür trage ich und soll alle Konsequenzen tragen.
@ "Risikobewußtsein": Also ohne daß ich eine Auto- oder Rad-Phobie hätte: Ich bin mir jedes mal bewußt (mit oder ohne Kaffee), daß mir im Verkehr JEDERZEIT der TOD (oder schwerer Unfall) passieren kann. Ist kein Defätismus, einfach Statistik & Bewußtsein.
@ "Big-brother-Auto": Da habe ich schon eine Alternative: Mein nächstes Auto wird ein Oldtimer sein (Volvo 444), da gibt es keine Elektronik, höchstens elektrisches Radio. Und auch schon Gurte!! Da ich ansonsten kaum Handy nutze, wird auch keiner wissen, wo ich gerade mit dem Auto nicht verunfalle!...
Schönen Abend noch.
Sie müssten doch auch immer bedenken, dass, nutzten Sie die Freiheit des ungegürteten Fahrens, es andere auch täten und wir dann wieder wieder, statt bei 3400, bis ca. 5000 Verkehrstoten/Jahr, die höhere Zahl ergibt sich, wenn man die Übersterblichkeit der, nach Ablauf einer kurzen Frist, statistisch nie erfassten Schwerverletzten und Dauergeschädigten mit hinzurechnet/abschätzt, sondern bei 10.000, bzw. 20.000/Jahr.
Es gibt übrigens einen Schriftsteller, der noch vor 1949, Big Brother und das völlig gläserne Leben beschrieben hat: Jewgeni Samjatin. In seinem 1920er Roman "Wir" beschreibt er nicht nur eine völlig durchsichtige Alltagswelt, sondern auch den Wahn völliger Beherrschtheit durch Technologie, positivistisches Denken und eine Humanmathematik, die Algorithmen, sowie das später so genannten "New Speak", das mittlerweile, freiwillig (!!?) sogar Standard in den freiesten Gesellschaften der Erde wurde.
Dieser Roman ist nicht nur hellseherisch, sondern auch extrem einfallsreich in der Namensgebung der Figuren, der realen SciFi- Welten und in der Bescheibung der Zwangslogik der Löschung des Humancomputers Hirn, um ihn neu zu beschreiben/zu programmieren.
Wenn mir jemand Zeit und Geld gäbe, schriebe ich sofort dazu ein Essay.
Jedenfalls ist das Werk, bei KiWi auch einmal als TB und als Teil einer umfangreicheren Werkausgabe erschienen, eine langjährige Leseempfehlung an Freunde und Bekannte, an Fremde, damit wir wieder stolz sind auf unser Gedächtnis und es nicht verplempern, mit so manchem Unsinn.
Beste Grüße
Christoph Leusch
@ Anzahl der Toten ohne Gurt-Pflicht: Die Zahlen stimmen, doch das überzeugt mich nicht. Denn, was habe ich davon, daß jemand anderer später stirbt? Was haben andere davon, daß ich später sterbe? (Denn ein verhinderter Tod durch Gurt ist nur ein Aufschub, sterben tuen wir irgendwann alle). Zumal, wie oben von Lethe erwähnt (Lethe 27.05.2015 | 14:57) - müsste man dann unter dem Aspekt des "um jeden Preis des zu schützenden/verlängerten Lebens" auch Alk-, Nikotin- und Fett-Verbote ausrufen? Der andere häßliche Aspekt dieses "Lebenswillens der Gesellschaft wegen" sind die immer wieder hochgerechneten Kosten (Pflege nach Unfall etc.) - damit wird der Mensch zum Kostenfaktor, den es zu "effizientieren" gilt. ("Gurt an! - Sonst kostest du uns als Pflegefall noch Hunderttausende!"). Aber nach dieser Denke könnte man auch jeden über 70-75 euthanisieren.