Heuchlerische „Staatsunternehmen“

Lobbyismus Kennen Sie diesen Satz aus den Nachrichten: „Die Kanzlerin wurde bei ihrem Besuch in [Staat beliebig einfügen] von einer (großen) Wirtschaftsdelegation begleitet...“?

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Da es sich bei der Bezeichnung „Wirtschaftsdelegation“ nicht einzig um den Wirtschafts- oder Finanzminister handelt, sondern vor allem um Vertreter größerer deutscher Unternehmen handelt, die meist gar nicht staatlich sind, erscheint in solchen Augenblicken bei mir immer ein imaginäres, aber großes und kritisches Fragezeichen. Warum reisen die denn mit? Dürfen die sonst nicht alleine nach China oder Brasilien reisen – ohne der Bundesregierung – um ihre Geschäfte mit den jeweiligen Partnern zu besprechen? Muss die Kanzlerin immer dabei sein – als talentierte Moderatorin oder gar Schlichterin (wer wann darf zu Wort kommen? wer zu welchem Auftrag?)? Oder hat sie eine so gute Übersetzerin? Und warum macht da die Regierung mit – will man etwa auf diese Weise die Kerosinkosten sparen und zum Umweltschutz beitragen? Oder will die Regierung den Lobbyismus seitens der Unternehmen eindämmen – indem sie sich selber zu deren Ober-Lobbyistin macht?

Bezeichnenderweise sind es oft dieselben CEO-Gesichter, die da unter der Obhut des Staates mitreisen und mitverhandeln, die ansonsten bei Aktionärsvollversammlungen, in ihren Verbänden, oder in Interviews gegen diesen Staat lautstark auftreten. Dieser Staat soll die Steuern senken, Qualitätsstandards „anpassen“ (nach unten!), weniger regulieren, sich weniger einmischen, möglichst viel „flexibilisieren“. Im Falle solcher gemeinsamer Ausflüge verstummen die Stimmen, man wünscht sich „die Einmischung“ des Staates, die ansonsten so flexiblen und unabhängigen, ja unter sich konkurrierenden Firmen reisen mit, fröhlich und brav zusammen wie bei einer „Kaffeefahrt“.

Denn es geht natürlich ums Geld. Nicht so sehr um die Kosten der Flugtickets und des Kerosins, auch nicht um die exzellente Übersetzerin. Sobald es um Geld geht, um „Aufträge“ und „Wachstumspotenziale“ - vergessen selbst die radikalsten Wirtschaftsvertreter ihre freimarktwirtschaftlichen Prinzipien und „staatskritischen“ Statements von voriger Woche. Genauso wie seit Jahren im Falle von Staatssubventionen, Steuerermäßigungen und sonstiger „Beihilfen“ wie Hartz-4-Programme („Minijobs“). Oder auch einmaliger Geschenke – sei es die Abwrackprämie, die Kosten für Atommülllager Asse, oder Milliardenbürgschaften für Banken. In solchen Momenten scheinen die Bosse den Staat doch zu mögen, manchmal sogar für unersetzlich zu halten.

Lieber Vorstandsvorsitzende: Schämt Ihr Euch denn nicht ob dieser Verlogenheit?

Wenn Ihr weniger Steuern einfordert – dann verzichtet vorerst mal auf alle Subventionen!

Wenn Ihr Agrarbetriebe so viel über die EU und deren Gurken-Verordnungen schimpft – zwingt Euch jemand dazu, die Agrarsubventionen zu beziehen?

Ihr Bank-Vorstände, die Ihr Euch mit aller Kraft gegen Trennbankensysteme oder Finanztransaktionssteuern stemmt: Sorgt doch selber dafür, daß Eure Institute nicht mehr „systemrelavant“ sind – und ohne eine größere Gefahr für die ganze Volkswirtschaft wie jedes „normale“ Unternehmen in Insolvenz gehen können, wenn es sein muss.

Werte „großen Vier“ der Energiewirtschaft – wollt Ihr Euch nicht mal an den Kosten für Asse-Erkundungen und Gorleben-Polizeieinsätze beteiligen (finanziell, aber auch gerne vor Ort)?

Und für fast alle Branchen jeglicher Größe: Wie wäre es, wenn Ihr dem Staat alles zurückzahlt, im Schnitt 20 Mrd. EUR pro Jahr, die dieser Euren Arbeitnehmern als Hartz-4-Aufstockung von Löhnen zahlt, da diese nicht zum Leben ausreichen?

Wenn Ihr eine „freie Marktwirtschaft“ und „weniger Staat“ fordert – so fängt doch bei Euch selber an. Geht es diesem Staat finanziell so gut wie Euch – kann man gerne über Steuersenkungen reden! Sind die Banken wieder an das Niveau geschrumpft, welches die reale Wirtschaft benötigt – wird auch keine allzu große Regulierung nötig sein.

Ach ja, fast vergessen – die hunderten Lobbyisten, die Ihr als „Experten“ in sämtlichen Ministerien untergebracht habt – sollt Ihr bitte abziehen, der Staat soll selber an den Gesetzesvorlagen arbeiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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