Ich gehöre zur Bionade-Bourgeoisie

Gentrifizierung Die Schuld der Wohnungsbaupolitik und Immobilienhaie hin oder her – auch ich bin ein Gentrifizierer

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Vor zwei bis drei Jahren wurde in meiner unmittelbaren (Berliner) Nachbarschaft viel um ein neues Bauprojekt gestritten. Es sollte dort auf einem Grundstück, wo früher ein paar hässliche Garagen aus den 70er Jahren standen sowie ca. 15 zugegebenermaßen schöne Pappeln wuchsen, ein neues Mehrfamilienhaus entstehen. Recht schnell, noch bevor die Bäume gefällt und die Garagen platt gemacht wurden, begann im Kiez die Diskussion um Gentrifizierung, dieses Bauprojekt diente als Paradebeispiel und zugleich eine ideale Zielscheibe für alle Gentrifizierungs-Gegner. Eines Tages erblickte ich auf der Wand der noch stehenden Garagenreihe ein neues Graffiti, dessen Humor ich mir nicht entziehen konnte: „HIER BAUT DIE BIONADE-BOURGEOISIE“.

Bauherren aus dem "ökolinken Milieu"

Meine Reaktion beinhaltete nicht nur ein mittelleises Schmunzeln verbunden mit der ehrlichen Bewunderung, daß hier das letzte Wort so fehlerfrei aufgemalt wurde – ich hätte es ohne Wörterbuch nicht geschafft. Besonderes Interesse erweckte in mir allerdings der Zusatz „Bionade-“. Der Hintergrund dieser Anspielung war, dass hinter diesem Bauprojekt nicht irgendein „böser Finanzinvestor“ stand, sondern eine Gruppe von Privatmenschen, ca. 15 Familien, die sich zu einem „Hausprojekt“ zusammengefunden hatten. Daher war der Zorn der Bau-Gegner und Kiez-Verteidiger umso bitterer: Die Bauherren definierten sich – und sind es auch – als (gut-)bürgerliches, doch eher „ökolinkes“ Milieu – welches dennoch Geld genug hat, sich eine Wohnung mit Kosten bis zu 2.000 € pro Quadratmeter zu leisten. Und dann erlauben sich diese „Verräter“ und „Scheinlinke“ auch noch, einen Begriff der linksautonomen Szene zu mißbrauchen – denn viele Hausbesatzungen der 80er und 90er Jahre wurden inzwischen in „Hausprojekte“ umbenannt, auch wenn die Einwohnerstruktur und Hausorganisation der ehemals besetzten Häuser weiterhin als „linksautonom“ erhalten blieb.

Die geistreich kombinierten Wörter „Bionade“ und „Bourgeoisie“ machten mir aber bald klar, dass – egal wie man zu diesem neuen Bauprojekt und dessen Bezeichnung stand – ich ebenfalls dazugehöre. Daß ich ebenfalls „Bionade-Bourgeoisie“ bin, und ein Gentrifizierer.

Zwar sind meine Einkommensverhältnisse und mein Vermögen wahrscheinlich mit dem der neuen Bauherren-Familien nicht zu vergleichen, und auch kann mir keiner vorwerfen in meinen früheren Jahren sich – in der Theorie und Selbstdarstellung – als „links“, „alternativ“, „sozial“, „engagiert“ oder „grün“ definiert zu haben. Dennoch.

Auch meine Rolle heißt: Gentrifizierer

Auch ich bin hierher, in diesen Kiez, vor einigen Jahren gezogen. Und bestimmt hat dieser Schritt das Mietniveau in diesem Kiez nicht gesenkt – ich war bereit die Kosten für eine Wohnung zu zahlen, die wahrscheinlich jemand anderer nicht mehr zahlen konnte. Auch ich bin nicht aus Berlin, sondern ein Hinzugezogener. Zwar könnte man dasselbe von der Mehrheit der Gentrifizierungsgegner aus meinem Kiez auch sagen, mit dem Unterschied, dass sie eher anfangs und Mitte der 90er hierherkamen, während ich mindestens 10 Jahre „Verspätung“ hatte. Doch das ändert nichts an meiner Rolle.

Zwar wurde auch ich, seit ich 2001 nach Berlin gekommen war, innerhalb der Stadt mehr als einmal „verdrängt“: Indem eine bisherige Wohnung zu teuer / zu schlecht / zu klein wurde, und ich nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft eine Alternative fand. So – wenn ich mir die Einwohnerstruktur unseres ganzen Hauses hier ansehe – ging es der Mehrheit der „Neuzugänge“. Nach dem Muster: irgendwann als junger Single nach Berlin, danach Beziehung (ergo: man sucht sich was Größeres, muss umziehen), danach Kinder (man muss erneut umziehen). Viele meiner Nachbarn hätten auch gerne (weiterhin) im nahen Kreuzberg gewohnt – doch als die Familie größer wurde, fand man dort keine bezahlbare und geeignete Wohnung. Auch wenn sich die Einkommensverhältnisse dieser Menschen nicht verschlechtert hatten. Und so wurde man in bisher „unentdeckte“, weniger bekannte und „hippe“ Bezirke und Kieze „verdrängt“ – wie in unser Alt-Treptow. Gleichzeitig hat man zum Teil die hiesigen „Ureinwohner“ nolens volens „verdrängt“. Man war immer bereit, eine höhere Miete zu zahlen als sie.

Klar, man kann die Schuld der verfehlten Wohnungsbaupolitik der Stadt und/oder den Immobilienhaien wie den Finanzinvestoren in die Schuhe schieben. Aber ich lasse nun das „wir“ und das „man“, ich möchte von mir reden. Ich kam in eine Stadt, in der ich – mit oder ohne mein Wissen über den Wohnungbau und den Immobilienmarkt – bereit war, jedes Mal die (höhere) Miete zu bezahlen. Und es liegt klar auf der Hand, dass bei einer Angebot-und-Nachfrage-Situation, wenn das Angebot (der Wohnungen) konstant bleibt oder kaum wächst, dagegen die Nachfrage (also Neu-Berliner wie ich) jedes Jahr steigt – die Preise in die Höhe gehen. Und ich machte jedesmal mit. Auch wenn ich nichts gegen die „alte Ossi-Oma am Fenster“ hatte und es sogar nett fand, sie in der Nachbarschaft zu haben („Kiez-Kolorit“, „so schön authentisch“?...) – ich trug dazu bei, dass auch sie bald wegziehen musste.

Die Schuld der anderen (Wohnungsbaupolitik, Immobilieninvestoren, „echt Reichere“) mindert meine Verantwortung und meine Schuld nicht. Die Tatsache, dass ich gleichzeitig immer wieder auch Ziel und Opfer desselben Phänomens (der steigenden Mietpreise) war – ebenfalls nicht.

Ich bin ein Gentrifizierer.

(Und der Spruch „Bionade-Bourgeoisie“ ziert als Aufdruck eines meiner Lieblings-T-Shirts).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden