Klopapier und Sozialismus

Mangelmedien In der Berichterstattung zur wirtschaftlichen Lage in Venezuela kommt der Mangel am Toilettenpapier nie zu kurz. Hat der Sozialismus ein Problem mit diesem Artikel?

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Die wahre Krim-Invasion findet nicht im Südosten der Ukraine statt – sondern in den Massenmedien. Seit Wochen kaum eine Nachrichtensendung, Internet-Portal oder Tageszeitung, die nicht mit diesen Schlagzeilen auf uns losgeht. Die anderen Themen scheint man wieder der NSA zu überlassen (mit Ausnahme der von FSB abgehörten und über Youtube lancierten Politiker-Telefonate). Einzig einem verschwundenen Flugzeug gelingt es noch ab und zu medial zu existieren. Wie ist die Situation in Zentralafrika? Was ist mit dem Smog in Beijing? Wie geht es Griechenland unter dem „Rettungsschirm“? Und – gibt es nicht auch in Thailand und Venezuela seit Wochen Proteste gegen die Regierung?

Wenn man schon in den Medien von Venezuela was liest, so zumindest meine subjektive Erfahrung der letzten Jahre, dann sieht es schlecht aus. Hohe Kriminalitätsraten, wachsende Inflation – und es fehlt seit Monaten etwas wichtiges. Nein, nicht der bolivarisierende Caudillo. Es fehlt das Toilettenpapier. So die Presse – denn, ich muss zugeben, ich bin nicht vor Ort.

Sicher, es ist nicht schön in einem Land mit den höchsten Mordraten Südamerikas zu leben, und auch eine über 50%-ige Inflation vermiest einem die Laune. Doch daß auch noch dieser wichtige Hygieneartikel regelmäßig knapp wird...

Die regelmäßige Existenz (in Zeitungen) der regelmäßigen Nichtexistenz des Klopapiers (in Venezuelas Supermärkten) erinnert mich natürlich an den europäischen Sozialismus vor über zwanzig Jahren. Bereits in polnischen Komödien der Siebzigerjahre – also noch lange vor der Wirtschaftskrise und dem Kriegsrecht – wird die Knappheit im Angebot dieses Artikels offen, auch wenn humorvoll, angeprangert. Denn es war Realität, wie wohl auch in Venezuela: Es fehlte in den Läden immer wieder an Klopapier. Und kaum daß es dort eintraf – strömten die Massen, als wäre es der Papst, und rissen sich um die wertvollen Rollen.

Die Mangelware par excellence

Nun gut, anscheinend hatte der Sozialismus schon immer ein Problem mit dem Toilettenpapier-Nachschub. Ich erinnere mich sogar noch an die frühen Neunzigerjahre in der gerade zur „ehemaligen“ herabgestuften Sowjetunion – es fehlte am Klopapier von Wilna bis Irkutsk.

Nur – eben nicht nur am Klopapier. Und wie ist es in Venezuela? Fehlt da wirklich nur dieser Hygieneartikel, oder auch mal Seife, Kondome, Wattestäbchen? Vielleicht sogar Lebensmittel oder Batterien? Warum wird gerade das Toilettenpapier-Problem derart medial bevorzugt?

Übrigens, nicht nur medial. Zwar kenne ich die „westliche“ Berichterstattung über die polnische Wirtschaft der Siebziger und Achtziger nicht - weil ich zu dieser Zeit erstens noch nicht lesen konnte, und dann auch keine ausländische Presse zu lesen bekam (abgesehen davon, daß mir die Sprachkenntnisse fehlten). Doch auch bei uns in der sozialistischen Realität war „das fehlende Klopapier“ das häufigste Beschwerde-über-den-Mangel-Beispiel oder ein Thema für zahlreiche Witze. Zahnpasta oder Joghurt gab es dagegen sogar in den schlimmsten Krisenmonaten.

Es wird also wohl so bleiben, daß der Ort, wo man das venezolanische Toilettenpapier am häufigsten vorfinden wird, die „westliche“ Presse sein wird. Wohingegen der einzige praktische Ersatz – wie vor Jahrzehnten in östlicheren Europa - die Sozialismus predigenden Staatszeitungen sein werden.

Während man die Medien wohl kaum reformieren kann, gab es für das Toilettenpapier-Dilemma mal einen vernünftigen Vorschlag. Mitte der Achtziger Jahre hatte der damalige polnische Regierungssprecher Jerzy Urban, ein ansonsten von der Opposition wie den Parteikollegen wegen seines intelligenten und vulgären Zynismus verhasster Journalist, eine Idee. Ihm war klar, daß die Stimmung im Lande immer schlechter wurde. Und es schien ihm, daß man zumindest durch die Lösung der Klopapier-Misere das Vertrauen des Volkes in die Partei etwas stärken könnte. Er hatte nämlich ausgerechnet – klare Zahlen und verlässliche Statistiken waren einer der Vorteile der Planwirtschaft – daß, gemessen an Nachfrage und Angebot, immer nur circa 10% zu wenig Toilettenpapier produziert und in den Läden ankam. Diese paar Prozente führten jedoch regelmäßig zu dem „gefühlten Mangel“ - und dieser zu Hamsterkäufen (denn in keinem polnischen Haushalt fehlte dieser Artikel), was noch größeren Mangel – und somit Nachfrage - erzeugte etc. etc. Sein Lösungsvorschlag, den er den Genossen unterbreitet hatte: einfach die Breite der Toilettenpapier-Rolle um 10% verkürzen. Merkt kaum ein Mensch – denn im Moment der Nutzung wird selten das Produkt vermessen – und die Masse ist zufrieden.

Leider wurde sein Vorschlag mit Entsetzen abgelehnt - und nur weniger Jahre später das ganze System. Während Urban selbst sich wieder der Pressearbeit widmete, und als Herausgeber und Medienunternehmer es in die Top-100 der reichsten Polen geschafft hatte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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