Männer und die Spielplatzsandallergie

Gender-Rollen Auf Spielplätzen, selbst in angeblich linksalernativ und emanzipiert geltenden Berliner Bezirken, herrscht eine überwältigende Mehrheit der Mütter. Ein Feldversuch.

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Berlin, Dienstagvormittag auf einem Kinderspielplatz. Vielleicht als Gewohnheit aus Vormittagen und Jahren, als ich mit meinen Kindern regelmäßig hierher ging, wähle ich diesen Ort mit einem dank der vielen Bäume am Kanal schönen und auch praktischen Sonnen-Schatten-Mix – um für einige Minuten Zeitung zu lesen. Vielleicht auch aus Gewohnheit stört mich beim Blättern des „Freitags“ (ja – ich komme erst am Dienstag dazu den zu lesen!) weder die Geräuschkulisse der Schreie und Bobby-Cars-Räder, noch die vorbeirauschenden, mit Schippen oder Stöcken bewaffneten, Gruppen der jungen Sandbaumeister und Ritter. Es stört auch nicht, daß ein mehrmonatiger Krabbel-Anfänger zwischen meiner Bank und meinen Füßen die Welt erkundet – ich nehme mir lediglich vor, bei Bewegung meiner Beine etwas aufzupassen.

Es stört mich auch nicht, dass es keinem auffällt, daß ich hier ein Vater ohne Kinder bin, ja – ein Mann ohne Kind, der sich (hinter einer Zeitung versteckend!) auf einem Spielplatz rumtreibt!... Zu meinem „Gunsten“ spricht, daß es regelmäßig Väter gibt, die eher mit Zeitung oder Smartphone als mit ihrem Kind die hier als „Kinderaufpassen“ oder „Zusammenspielen“ bezeichnete Zeit gestalten.

Nach einer Viertelstunde bin ich mit „Politik“ mehr oder weniger fertig, und bevor ich zum „Alltag“ übergehe, noch ein Blick auf den Spielplatz. Der krabbelnde Abenteurer ist weg, zumindest in sicherer Entferung (meiner Füße, nicht der rasenden Bobby-Cars und Roller), mein Blick konzentriert sich auf die Frauen. Ja, ich gebe zu, ich tue gerade „Frauen gucken“. Doch schon nach wenigen Augenblicken weicht in mir beim Betrachten die erotische Komponente der... statistischen!

Ich gebe zu, manchmal mag ich Statistiken, manchmal sind mir diese interessanter als Frauengestalten, manchmal finden eher durch Zahlen als durch weibliche Gestalten „Gedankenspiele“ in meinem Kopf statt.

Mir fällt auf, daß ich – angenommen, ich wäre hier mit einem meiner Kinder oder mit beiden – in einer klaren Minderheit bin. Nein, nicht nur wegen der Wahl meiner Lektüre (oder daß ich überhaupt „Papier lese“). Ich beginne zu zählen, ich zähle die kinderbetreuenden (-oder nur -begleitenden) Eltern – ohne zu differenzieren, ob es ausnahmsweise mal sogar beide Eltern sind, die die Zeit mit ihrem Sprößling hier verbringen. Vierzehn zu drei. Vierzehn Frauen, drei Männer – mich mitgerechnet. Da ich aber gerade nur Zeitungsleser hier bin, falle ich raus. Vierzehn zu zwei. OK, zwei Frauen scheinen eher Großmütter zu sein, eine Kita-Gruppe ist keine dabei, also: zwölf zu zwei.

Vielleicht etwas naiv beginne ich mich zu fragen: War es schon immer so, auch als meine Kinder öfter hier spielten? Oder gab es damals gar noch weniger Väter? Die Gedanken gehen weiter, auch wenn schon weniger wissenschaftlich-statistisch als klischee-behaftet: Ich bin hier in Berlin, einer der weltoffensten Städte Europas wenn nicht der Welt. In einer sehr links geprägten Stadt, wo sowohl die Emanzipation wie die öffentlichen Beihilfen für Kinder und Eltern kaum durch eine andere Metropole zu überbieten sind. Zusätzlich sitze ich hier auf einem Spielplatz an der Grenze zwischen Kreuzberg und Treptow, also „offener“, „linker“, „feministischer“ und „alternativer“ geht es doch kaum. Und dennoch – um mich herum eine klare Mehrheit der weiblichen Elternteile. Weitere Stereotypen und Erklärungsversuche schwirren mir durch den Kopf, auch wenn ich mich für ein paar schämen muss. Zum Beispiel: Hier ist doch die Gegend, wo sich wie kaum woanders so viele junge & selbständige Menschen tummeln, und zwar – im Gegensatz zur Mitte oder Prenzlauer Berg – welche, die nicht unbedingt durch ihre Selbständigkeit viel verdienen. Meist ist davon auszugehen, daß beide Eltern ähnlich in ihrer „Karriere“, dem Verdienst und der Wochenarbeitszeit wie dem Zeitmodell gestellt sind (also kann auch das Ehegatten-Splitting kaum was dafür, abgesehen davon, daß hier nur die Minderheit verheiratet ist). Und dennoch – fast nur Frauen hier...

Oder: Die türkisch- oder arabischstämmigen Kinder & Eltern sind hier in klarer Minderheit, vielleich zwei – drei davon, also kann man kaum mit der „traditionellen Rollenbilderklärung“ kommen, unter dem Motto: „Klar, Mann arbeitet oder sitzt zuhause, Frau macht Kinder.“

Oder doch?

Kann es vielleicht sein, daß trotz des so hohen Anteils an „jungen, flexiblen Selbständigen“, an „links alternativ emanzipiert“-geprägten Frauen wie Männern, trotz der ähnlichen Beschäftigungsmodelle beider Elternteile und trotz der großzügigen Kinder- und Elternhilfen seitens der Stadt – immer noch das „traditionelle“ Rollenbild in den Familien herrscht? Und kaum bröckelt? Und dass trotz der Tatsache, daß man hier so bequem wie an wenigen Spielplätzen im warmen Schatten den „Freitag“ lesen kann?

Meine Überlegungen gehen weiter, ich kramme – muss es zugeben – in der Vita mehrerer unserer Nachbarn, Freunde und Bekannten, die irgendwie in mein oben – auch wenn krass stereotyp – beschriebenes Schema von Eltern hineinpassen.

Sind es wirklich die Männer, die von oben herab „das mit den Kindern“ der Frau überlassen, es auf sie abwälzen, sich gar vor Spielplätzen fürchten? „Du Schatz, du kannst es ja irgendwie besser...“ Und sich lieber während der paar Stunden auf ihr Notebook und das „neueste Projekt“ konzentrieren wollen?

Oder sind es die (Über-)Mütter, die es ihren Männern nicht zutrauen, im „Spielplatz-Dschungel“ ein bis drei Stunden zu bestehen (womöglich in einem WLAN-Loch!), und lieber ihren Beruf und andere Bedürfnisse („brigitte“-Lesen? gar „den freitag“-Lesen?) opfern? Denken diese Mütter vielleicht tatsächlich, sie seien (genetisch? charakterlich?) besser als Männer geeignet, ein Kind zu schaukeln oder mit im Sand zu buddeln?

Genau, der Sand – das wird der Grund sein, dachte ich mir. Frauen lieben Sand an Spielplätzen, es erinnert sie ans Meer, an den Urlaub... Und Männer? Männer haben anscheinend eine angeborene Sandallergie (wenn es sich um städtischen Spielplatzsand handelt) – die ihnen von ihnen selbst wie von ihren Partnerinnen (und natürlich ihren Müttern) fast immer bescheingt wird.

Von dem Blick in meinen Bekanntenkreis möchte ich hier nicht allzu viel verraten. Es gibt jedoch vier oder fünf klare Situationen, wo diese „traditionelle“ Rollenverteilung nicht nur in einem eklatanten Widerspruch zu dem steht, was diese Menschen noch als „kinderloses“ Paar predigten („Emanzipation“, „Frauenrechte“, „Selbstverwirklichung“). Frau macht nun „Kinder“ von Früh bis Spät, Mann macht „Job“ oder „Diss“. Das Erschreckende daran ist, dass es oft... keinen Konflikt gibt! Oder keinen offenen. Daß beide Seiten diese Situation aufbauen und aufrechterhalten, und von dem „es geht kaum anders“ überzeugt sind.

Die Frau motzt zwar regelmäßig, daß „er mehr übernehmen könnte...“ - doch läßt es in seltensten Fällen zu, sie traut es ihm nicht zu, oder sie fürchtet „er wäre nach dem langen Arbeitstag übermüdet“. Kling wie ein Familiendialog aus einer oberschlesichen Bergbausiedlung im 19. Jahrhundert. Der Mann liebt seine Kinder über alles – theoretisch. Praktisch traut er sich kaum, oder will es auch nicht, der Frau für einen Nachmittag die Kinder „zu entreissen“ - damit diese vielleicht wirklich mal einen Nachmittag lang eine „Latte Machiatto-Mutter (aber ohne Kinder)“ sein kann. Die Sache fängt oft bei dem ersten Windelwechsel an (na, raten Sie mal – wer darf in 99% der Fälle als erste/r dran?), wird in ungleich verteilten „Elternzeitmonaten“ fortgesetzt, bis es nach ein paar Jahren tatsächlich der Wahrheit entspricht, daß der Vater viel weniger mit seinem Kind umgehen kann als die Mutter. Und eben diese sich als „Spielplatz-Mehrheit“ festsetzen.

Klar, auch der Arbeitsmarkt spielt hier mit. Selbst in „meiner kreuzberger jung-selbständigen Elterngruppe“ wird der Mann bei ähnlichen Jobs oft mehr verdienen als die Frau, auch wenn nur knapp. Auf jeden Fall würde er aber – falls angestellt - schneller aufsteigen können, die meisten Chefs befördern bei gleicher Qualifikation lieber einen Mitarbeiter, der nicht „plötzlich“ schwanger werden kann und dann mindestens mehrere Monate (wenn nicht Jahre) fehlt.

Doch ohne eine Änderung der Einstellung beider Eltern, pardon: Ohne einer Änderung der tatsächlichen Lebensweise beider Eltern (denn die richtige, theoretische Einstellung haben ja die meisten vor der Geburt eines Kindes...) wird sich da wenig ändern. So lange es nicht ähnlich wahrscheinlich ist, daß auch ein männlicher Mitarbeiter wegen Geburt eines Kindes für mehrere Monate Pause macht, wird der Arbeitgeber immer die Männer bevorzugen. Klar, Männer können nicht so gut stillen. Aber wenn nicht nach drei Monaten, dann spätestens nach sechs kann man „langsam mal auf Flasche“ umstellen. (Ich meine das Kind, nicht den Vater!). Männer können gut „eltern“, oft genauso gut wie Frauen. Gene, Tradition, Erziehung hin oder her. Es zählt der Charakter, der Wille. Und die Liebe – zur Partnerin wie zu dem Kind. Denn wenn die erstere mal erlischt, und sich die Eltern trennen – wen wundert es dann, wenn in 9 von 10 Fällen die Mütter die Kinder „bekommen“? Da sind die Väter an dieser Entwicklung teils selber schuld.

Ebenso könnten Frauen den Männern mehr zutrauen, und auch zugleich mehr abverlangen. Einfach mal öfter resolut das Kind dem Mann überlassen! Ich weiss, Erziehung kann manchmal mühsam sein - erst recht die des Mannes. Aber es geht. Er kann es können. Und der Sand am Spielplatz zwischen den nackten Füßen ist wirklich sehr angenehm.

P.S. Ich hatte meine „empirischen Studien“ fortgeführt. Ich dachte mir: vielleicht können Männer (und Frauen) nichts dafür, Männer müssen eben arbeiten. Daher - Mittwoch, 16 bis 18 Uhr, Kreuzberg, Bethanien, nicht der Spielplatz – sondern die Musikschule als Ort der Untersuchung. (Es kann ja sein, daß die Väter eher Zeit am Nachmittag haben, ihre musizierenden Sprößlinge zur Violine- oder Querflötestunde zu begleiten...) Ich begann also beim Weg durch die Gänge der Musikschule zu zählen – welche Eltern welchen Geschlechts begleiten oder warten auf ihre Kinder. Meine Statistik sprach eine ganz deutliche Sprache, das Ergebnis war noch niederschmetternder als am Vortag der Spielplatz: Dreizehn zu eins. Es war klar: Männer haben nicht nur eine Sandallergie, sie können anscheinden Musik nicht ausstehen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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