Meine Sehnsucht nach dem Freien Markt(platz)

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Seit spätestens Herbst 2008 und dem Ausbruch der „Finanzkrise“, die auch zum Teil zur „Wirtschaftskrise“ wurde, sind nicht nur die Begriffe „Kapital“ und „Kapitalismus“, sondern auch „Freier Marktwirtschaft“ und sogar „Freier Markt“ nicht gerade populärer geworden – gelinde gesagt.
Gerade deswegen möchte ich die Idee des Freien Marktes nicht nur verteidigen, sondern sogar nach deren breiteren Verwirklichung rufen.

Wobei ich schon im Zuge der Verteidigung mit den Definitionen anfange: der Freie Markt ist keinesfalls identisch mit dem Kapitalismus. Auch wenn sowohl die Kritiker, wie die Befürworter des Kapitalismus wie des Freien Marktes die Begriffe gerne in einen Sack werfen. Während der Kapitalismus sich vor allem auf die Vermehrung des Kapitals begründet, bedeutet ein Freier Markt eine Marktsituation, wo die Produkte/Dienstleistungen offen angeboten und erworben werden können, und wo das Angebot des Verkäufers/Anbieters durch Preis UND Qualität (bzw. Eigenschaften) den Bedarf des Käufers/Konsumenten zu entsprechen versucht.
Während der Kapitalismus nicht nur privat, sondern durchaus auch planwirtschaftlich, feudal oder hybrid (staatlich & privat wie unter Hitler oder derzeit in China) sein kann, muss ein Freier Markt nicht unbedingt kapitalistisch sein. Genauso muss ein Freier Markt nicht ein Gebilde von rein privaten Marktteilnehmern sein: der Staat oder Kommunen können selbstverständlich wichtige Marktakteure spielen, beispielsweise wie in den USA am „Hochschulmarkt“ (wo keinesfalls private Universitäten immer die besten sind), oder im Falle von Währungen als „Produkt“ - wo die „Konsumenten“ (Staatsbürger) beim Wertverfall oder Unsicherheiten bezüglich einer Währung in eine andere wechseln (wie in den 90er Jahren in Russland oder Polen, oder zuletzt in Zimbabwe). Typische Beispiele für einen privaten, aber keineswegs Freien Markt ist der Markt für Computer-Betriebssysteme, wo Microsoft mit Windows praktisch ein Monopolist ist, oder der deutsche Energiemarkt, wo vier Großkonzerne den Strom-Markt unter sich aufgeteilt haben und oligopolistisch kontrollieren. In beiden Fällen leidet der Konsument – durch zu hohe Preise und/oder ungenügende Qualität der Produkte.

Wobei es hier nicht nur strikt um die Wirtschaft geht: Ein nicht wirtschaftlicher Freier Markt wäre z.B. eine Literaturzeitschrift, die nur nach Qualität und Themen die Beiträge aussucht, um diese in den vorgegebenen 80 Seiten zu drucken. Ein „Freier Markt“ ist auch freitag.de, wo die Leser sich selber für die oder den Blog-Autor entscheiden. Oder die Auswahl der besten 11 Fußballspieler einer Mannschaft, die im nächsten Spiel antreten sollten. Und nicht nicht nur der Fußball, auch der Freie Markt wird oft seitens des Kapitals gestört.

Aber natürlich auch seitens der Markt-Teilnehmer. Denn die ideale Situation, wo eine echte Konkurrenz unter der Anbietern und freiwillige Nachfrage seitens der Käufer herrscht, ist ständig durch alle Beteiligten gefährdet. Während jeder einzelne Käufer sich wünschen würde, man solle „zentral“ oder gar mit (Staats-)Gewalt die Preise senken und die Qualität heben – ohne Rücksicht auf die Anbieter - , wünscht sich jeder Anbieter (Verkäufer) die möglichst hohe Marktmacht – um die Konkurrenten zu verdrängen und zu beseitigen (oder mindestens: sich mit den anderen Anbietern abzusprechen), und dadurch dem Ziel näher zu kommen, die Nachfrage-Seite (Käufer) zu schröpfen.

Und genau da ist der Staat gefragt, als regulierender „Richter“, der – eben durch Regeln, durch Gesetze und Vorschriften – die Freiheit des Marktes gewährleistet. Ähnlich wie es Verkehrsregeln, Ampeln und Zebra-Streifen gibt, die es ermöglichen, dass wir uns unabhängig vom Verkehrsmittel fortbewegen können, ohne auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen zu sein (nicht alle wohnen in einer Großstadt), ist ein weitgehend Freier Markt nur durch feste und eingehaltene, und auch durchsetzbare Regeln, deren Verstoß auch strafbar wäre, möglich.
Dass viele „Marktbefürworter“ (auch fälschlicherweise „Neo-“ oder „Wirtschaftsliberalen“ genannt) ein Grundgerüst an Regeln ablehnen, bedeutet einfach, dass sie entweder dumm sind, oder aber ein Interesse daran haben, dass es keinen echten Freien Markt gibt – denn „frei“ sollte dieser nicht nur für sie, sondern auch für andere Konkurrenten, sowie vor allem für die Nachfrage-Seite, also die Konsumenten, sein. Ebenso wie kaum ein Firmenzusammenschluss oder -übernahme irgendwelche hochgelobten „Synergie-Effekte“ erbracht hätte – und wenn, dann wurden diese nie an den Konsumenten in Form von niedrigeren Preisen weitergegeben.

Daher wäre es wünschenswert, wenn – wie vor kurzem von Wirtschaftsminister Brüderle vorgeschlagen – der Staat durch eine Wettbewerbsbehörde, angelehnt an die amerikanischen Anti-Trust-Gesetze - zu große und zu mächtige Konzerne zerschlägt, und so für mehr Wettbewerb, niedrigere Preise, und bessere Qualität sorgt. Ein positives Beispiel europaweit sind die Telekom- und Internet-Märkte, wo die Entmonopolisierung eben dies erreicht hatte – und dabei mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden als bei den einstigen Staatsmonopolisten wie Deutsche Telekom abgeschafft wurden. Es sind übrigens die auf die Marktmacht zielenden Firmenzusammenschlüsse, nicht die Aufsplittungen, die Arbeitsplätze vernichten.

Natürlich ist ein idealer Freier Markt eine Utopie – genauso wie jedes theoretische oder ideologische Konstrukt eine Utopie bleiben wird, die nur zu einem gewissen Teil erreicht werden kann.

Dennoch stelle ich mir als Ideal einen Stadt-Markt vor. Ja, einen mittelgroßen städtischen Markt wie vor der Industrierevolution, wo es einerseits viele konkurrierende Anbieter gab (z.B. nicht einen oder zwei, aber vier oder sechs Gemüsehändler oder Schuster), und durch die Zünfte oder Stadtverwaltungen dennoch für Qualitätsstandards gesorgt wurde. Für die Käufer war das Marktangebot unterschiedlich, und dennoch übersichtlich. Preisabsprachen wurden meist bestraft, und Qualitätsmängel eines Produzenten haben sich schnell herumgesprochen. Natürlich gab es auch Werbung, wenn der Gemüsehändler seine Ware anpries – doch im Unterschied zu heutigen Marketing-Strategien wurde der Mensch höchstens am Marktplatz angeschrien und manipuliert (und vielleicht angelogen) – um eine notwendige oder nutzlose Anschaffung zu tätigen, während wir heute den ganzen Tag lang (durch die Propaganda im Radio, TV, auf den Plakaten) mental beschallt werden.

Alles heute nicht machbar? Qualitätsstandards und Werbebeschränkungen gibt es in den meisten Staaten schon heute – man müsse sich nur überlegen, ob man diese nicht ausweiten möchte (siehe: Regulierung zum Wohle einen Freien Marktes – und so seiner Teilnehmer, vor allem der Kunden). So könnte man wie in manchen Städten in Venezuela die hässliche Plakatwerbung gänzlich verbieten, oder – wenn es eine Gemeinschaft an sich für „eher schädlich“ findet, „billigere“, umweltschädliche oder umweltbedenkliche Energiequellen wie Kernenergie oder fossile Energie gänzlich verbieten. Denn wenn etwas nachweislich schädlich ist (wie z.B. auch Kinderarbeit oder Asbest), sollte man nicht mit „Ökosteuern“ einerseits und „Ökosubventionen“ andererseits (für „sauberere“ Energieträger) herum experimentieren, sondern gleich das Negative verbieten – oder eben zulassen. Da es für Gesundheits- und Umweltfragen keinen Freien Markt geben kann, sollten solche Entscheidungen in der Freien Wahl des Bürgers/Wählers liegen.
Auf der anderen Seite bietet gerade die Globalisierung und der technische Fortschritt (vor allem das Internet als Informations- und Beschaffungsquelle, aber auch die Logistik) die Möglichkeiten, sich als Konsument seinen „persönlichen Freien Marktplatz“ zu schaffen. Wenn mir einen Laptop in Deutschland zu teuer sind, bestelle ich per Internet einen aus Italien oder Polen, wenn ich in Berlin für zu niedrigere Honorare arbeiten muss – suche ich meine Auftraggeber ebenfalls in anderen Bundesländern oder im Ausland. Zum Beispiel, wenn ich die private „Lausitzbahn“ nutze, um von Cottbus nach Görlitz zu fahren – da die profitable, staatliche Deutsche Bahn diese Strecke vor Jahren als „unrentabel“ aufgelassen hat.Und wenn mir das Gemüse aus dem „Aldi“ nicht schmeckt oder gefällt – spaziere ich lieber zum Wochenmarkt (den es in meiner Gegend zum Glück gibt, und zwar mit drei Gemüsehändlern), und zahle gerne für Qualität der Ware, für die werbefreie Umgebung die mich nicht verleitet, nebenbei fünf unnütze Produkte einzukaufen, und schließlich für den „menschlichen Faktor“. Und das Gefühl eines Freien Marktplatzes. Fern der lauten Werbung des „Media Markts“ (der übrigens kein Konkurrent des „Saturn“ ist, sondern zum selben Konzern gehört).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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