Neuer Wohlstand, alter Wachstum?

Wachstumsindikatoren Der Wohlstand der Deutschen soll neu vermessen werden: nicht nur über das Wirtschaftswachstum des BIP. Der Gedanke und Wunsch nach dem "Wachstum" bleibt dennoch erhalten.

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Der Wohlstand der Deutschen soll neu vermessen werden. Die Bundestagskommision hat den Bericht „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ vorgestellt, in welchem vorgeschlagen wird, den Wohlstand anders als nur über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu definieren. Konkret beinhaltet die Idee die Einbeziehung weiterer Faktoren neben des BIP: Schuldenstand, Verteilung der Einkommen, soziale Situation, Bildung, Gesundheit, Qualität der Arbeit, Rechtsstaatlichkeit, Artenvielfalt, Klimaschutz und für die Landwirtschaft aussagekräftiger Indikator der Stickstoffkreislaufs. Dieser von CDU und SPD gemeinsam getragene Entwurf wird zwar in Details von „Den Grünen“ kritisiert (zu kompliziert), und was „Die Linke“ und die FDP dazu zu sagen haben verschweigt der Artikel („SZ“ vom 29.01.2013).

Eine ähnliche Kommission hat vor ein paar Jahren der damalige französischer Präsident Nicolas Sarkozy unter der Leitung des Ökonomen Joseph Stieglitz ins Leben berufen – wobei ich zugeben muss, dass es mir entging, ob und welche Ergebnisse daraus das Tageslicht erblickten.

Die Arbeit an einem neuen Wohlstands-Indikator ist zuerst einmal eine sehr gute Nachricht. Langsam aber doch scheint sich die - auch hier im „Freitag“ oft vorgetragene – Erkenntnis durchzusetzen, daß das Volumen der Wirtschaftsleistung und dessen Wachstum ein ungenügender, ja ein falscher Indikator für den Wohlstand eines Landes, einer Bevölkerung ist.

Was man aber aus meiner Sicht nicht unkritisch vergessen sollte, ist den Sinn welcher auch immer „Wohlstands-Indikatoren“. Denn auch diese neue Indikator-Methode beinhaltet nicht nur im Namen des Berichts das Wort „Wachstum“. Und hier stellt sich für mich die durchaus nicht-wirtschaftliche, sondern eine soziale wenn nicht soziopsychologische oder gar philosophische Frage: Wozu brauchen wir denn „Wachstum“, ist es lohnenswert danach immer fort zu streben? Selbst wenn es nicht der pekuniäre, der wirtschaftliche Wachstum ist. Müssen wir immer wachsen, kann man denn nicht mal „Stop“ machen? Oder gar ein paar Schritte zurückgehen? Rechtsstaatlichkeit ist gut – aber ist sie es auch, wenn der Einflussbereich eines Staates gleichzeitig immer mehr wächst? Mehr Bildung kann doch nur befürwortet werden – aber macht es wirklich Sinn, den Wochenplan von Schulkindern mit (privatem) Nachmittagsunterricht (Musik, Sport, Nachhilfe, Sprachen) vollzustopfen? Müssen wir auch danach streben, unbedingt unsere „Freizeit“ wachsen zu lassen? Selbst „Gesundheit“ ist ein zweischneidiges Schwert: Nicht jeder wird automatisch dadurch glücklicher, weil er statt 60 oder 70 – 90 oder 100 Jahre lebt. Und schließlich – was wenn unser Wohlstand wächst, und wir dabei andere Länder und Kontinente vernachlässigen, ob durch Zölle, Preisdumping, Einreisebeschränkungen, verschärftes Asylrecht oder ggf. gesunkene Entwicklungshilfe? Was wenn unser „Wohlstand“ oder „Glück“ auf Ausnutzung oder Ausgrenzung anderer Bevölkerungen basiert?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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