Stimmenfang durch Wahlkreis-Migrationen

Wahl 2013 Merkel, Steinbrück, Özdemir, Wagenknecht, Bartsch sind als Wahlkreis-Migranten nur Briefkasten-Kandidaten. Brauchen wir solche Schein-Repräsentanten der Wahlkreise?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es gibt in Berlin nicht wenige illegale Migranten. Oder zumindest Menschen, die an der Grenze der Legalität leben und handeln. Ich meine damit Eltern, die sich eine Zweitadresse zulegen, oft eine reine Briefkastenadresse, damit sie in dem dazu gehörenden Einzugsgebiet ihr Kind auf eine gewünschte Schule schicken können. Weil ihnen die eigentliche Schule in ihrem Wohnbezirk irgendwie nicht gefällt.

Was haben diese Eltern mit Angela Merkel, Peer Steinbrück, Cem Özdemir, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gemeinsam?

Dies ist eine Auswahl von Bundestags-Direktkandidaten (und nebenbei Spitzenkandidaten ihrer Parteien), die genauso handeln. Irgendwie scheinen sie ihren Wohnort nicht zu schätzen – und emigrieren als Direktkandidaten einfach in einen anderen Wahlkreis. Herr Steinbrück, geboren in Hamburg, wohnhaft in Bonn, tritt in Mettmann an – zig Kilometer weit entfernt. Cem Özdemir möchte plötzlich als Bad Uracher die Stuttgarter im Bundestags vertreten. Angela Merkel kommt kaum dazu ihren Museumsinsel-Kiez in Berlin zu genießen, will aber Vorpommern repräsentieren. Ähnlich Herr Bartsch, dem irgendwie Schwerin ans Herz gewachsen ist. Das alles toppt nur noch Sahra Wagenknecht – die sich wiedermal als Düsseldorferin versucht.

Als Wähler würde ich – politische Überzeugungen hin oder her – solchen Kandidaten eine Abfuhr erteilen. Mehr noch – ich würde mich verarscht vorkommen, dass solche Leute mir weiß machen wollen, mich als Direktkandidaten im Bundestag zu repräsentieren.

Die o.g. Politiker repräsentieren dagegen nur die Spitze der Unverschämtheitspyramide. Andere machen es weniger krass, etwa Gregor Gysi, der statt in Berlin-Pankow – in Berlin-Treptow/Köpenick antritt. Oder zwei aktuelle Dresdener, die sich „in der Umgebung“ aufstellen ließen: Thomas de Maiziere in Meißen und Caren Lay in Bautzen. Ja, und es ist auch nicht allen bekannt, daß der lokaler Kreuzberger Politstar Hans-Christian Ströbele längst in Charlottenburg wohnt...

Die meisten Spitzenpolitiker oder Minister versuchen dennoch, sich in ihrer Wohngegend als Direktkandidaten zu stellen – oder zumindest dort, wo sie herstammen oder lange lebten. Sei es Ursula von der Leyen, Jürgen Trittin, Ilse Aigner, Wolfgang Schäuble, Peter Altmeier, Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier, Andrea Nahles, Katrin Göring-Eckardt, Claudia Roth, Hans-Peter Friedrich, Peter Ramsauer, Roland Pofalla – und die gesamte FDP-Spitze: Brüderle, Rösler, Bahr, Westerwelle, Döring, Niebel. Mein Liebling ist dennoch Katja Kipping: Geboren in Dresden, lebt in Dresden, kandidiert in Dresden.

Dennoch könnte ich auch all diesen „nicht migrierenden“ Direktkandidaten nicht meine Stimme geben. Denn als Spitzenkandidaten und/-oder Minister-in-spe könnte ich kaum erwarten, daß sie im Bundestag wirklich dazu kommen, mich und meinen Wahlkreis tatsächlich auch zu repräsentieren. Das müssten sie auch gar nicht – jede(r) davon hat seine Fähigkeiten und Kompetenzen, die nichts mit einem Wahlkreis zu tun haben müssen. Wenn Angela Merkel wieder Kanzlerin werden will, oder Jürgen Trittin ein besserer Finanzminister, oder Sahra Wagenknecht den Kapitalismus weiterhin bekämpfen möchte – so sollen sie alle diese Zombie-Kandidaturen lassen! Ihr habt doch eure Partei-Listen, oder? Außerdem: Diese Briefkasten-Kandidaturen, die klar ersichtlich nur zum Stimmenfang durch Promi-Namen gedacht sind, durchschaut der Wähler doch längst, dieses „Ich-lüge-dir-doch-grinsend-ins-Gesicht“ führt nur noch zu mehr Politikverdrossenheit. Vielleicht ist das aber auch das Ziel der Parteistrategen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden