Wenn Demokratie geil ist!

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In regelmäßigen Abständen und immer wieder kehrenden Texten wird von „Demokratiemüdigkeit“ oder gar „Demokratieverdruß“ berichtet. Und leider stimmt oft nicht nur dieses Gefühl und diese Beobachtung, sondern auch die Tatsachen. Positiv daran ist vielleicht nur, daß sich hinter solchen Befürchtungen der Wunsch nach einer besseren Demokratie verbirgt, sei es in einzelnen Verbesserungsvorschlägen, oder gar nach einem neuen Modell.

Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle ebenfalls positiv klingen, und von einem aus meiner Sicht erfreulichen demokratischen Vorgang und Erlebnis berichten. Zwar nicht aus Deutschland, sondern aus meiner Heimat – Polen.

Platerowka ist die kleinste Kommune Polens. Der aus vier kleinen Dörfern zusammengelegte Wahlkreis in Südwesten Polens verfügt über knapp 1700 Einwohner, davon 1333 Wahlberechtigte.

Vor genau einem Monat fand dort ein Referendum statt, es ging um die Abstimmung für oder gegen den Bau eines großen Windparks, mit ca. 70 Windrädern.

Das Bauvorhaben wurde vor allem von der Gemeindeverwaltung forciert, das Hauptargument waren die erwarteten Steuereinnahmen für die finanziell doch eher arme Gemeinde. Durch den Bau und Betrieb des Windparks erwartete man vom Investor/Betreiber zusätliche Einnahmen von drei bis acht Millionen Zloty pro Jahr, also das mehrfache der bisherigen Steuereinnahmen. Das Geld sollte vor allem in Schulen und Infrastruktur verwendet werden.

Bald nachdem die Pläne des Investors offiziell bekannt wurden, bildete sich allerdings auch eine Gegenbewegung, deren Argumente vor allem in Verschandelung der Landschaft (und somit dem Fall der Immobilienwerte) sowie in gesundheitlichen Aspekten (u.a. gestiegener Geräuschpegel – die Windräder wären oft nur 300m von Häusern entfernt) lagen. Weitere Gegenargumente waren wirtschaftliche Unsicherheiten (tatsächliche Höhe der Steuereinnahmen, Ruf und Referenz des Investors, Kosten für den Abbau bei wirtschaftlichen Scheitern der Investition).

Innerhalb von fast zwei Jahren wurde gestritten und diskuttiert: In dem Geimeinderat, vor Gerichten, vor allem aber in fast zwanzig Infoveranstatlungen und Diskussionsrunden – die jeweils von beiden Seiten, in ein paar seltenen Fällen gar gemeinsam, organisiert wurden. Sogar der Pfarrer wie regionale und sogar nationale Abgeordnete wurden in die Debatte eingeschaltet.

Natürlich blieb die Diskussion nicht nur sachlich. Während die Gegner des Projekts als „Hinterwäldler“, „Umweltspinner“ und „Neider“ beschimpft wurden, wurden die Befürworter mit Korrupiotnsvorwürfen (Geimeindevorsitzender), Vetternwirtschaft (Landbesitzer, auf deren Feldern ein Mast gestellt worden wäre) bis hin zu nationalistischen Verschwörungstheorien („die Deutschen wollen ihre alten Windräder bei uns abladen“, „das Großkapital will uns ausnutzen und dann nach erhaltenen EU-Subventionen verschwinden“).

Vorwiegend herrschte dennoch ein sachlicher Stil in der Argumentation. Es wurden Wissenschaftler und Wirtschaftsexperten eingeladen, es wurde über Windstärke, Investitionskosten und -einnahmen, mögliche und reele Megawattstunden, Steuereinnahmen, Dezibelpegel und rechtliche Verfahren wie Folgen ausführlich gesprochen.

Es war lehrreich, interessant, und auch einfach erfreulich, dass eine lange, emotionelle und tiefgehende Diskussion stattfand.

Die zweite erfreuliche Tatsache enstammte etwas „Unfreundlichem“. Die Gemeindeverwaltung hat sich nämlich lange überhaupt gegen eine Abstimmung gewehrt. Bis die „Windkraftgegner“ doch vor dem regionalen Gericht eine Möglichkeit des Referendums erwirkt hatten.

Erfreulich war dann auch das Referendum selbst, das vor genau einem Monat stattfand. Besonders daran aus meiner Sicht war vor allem die Wahlbeteiligung. Denn nicht nur in Deutschland, auch in Polen wird über „Demokratieverdruß“ und „Passivität der Bürger“ oft leid geklagt. Im Durchschnitt liegt die Wahlbeteiligung in Polen um einiges niedriger als in Deutschland, erst recht auf der kommunaler Ebene.

Doch diesmal war es anders. Trotz häßlichen Wetters an diesem Januar-Sonntag (Kälte, Regen...) und der Tatsache, dass das einzige Wahllokal in der Grundschule für viele weit entfernt war (das ganze Dorf ist geografisch gesehen sehr lang an einem Fluß gezogen, für viele Wähler waren es bis zu 10 km zum Wahllokal) und nicht jeder ein Auto hatte – war die Wahlbeteiligung außerordentlich hoch.

Dazu muß man wissen, daß die Abstimmung nur dann gültig gewesen wäre, wenn mindestens 404 Personen daran teilnahmen, also über 30% - ein Wert, der in Polen nicht selten verfehlt wird.

Aus meiner Sicht war dies vielleicht das wichtigste Ergebnis, welches bewies, dass die lokalen Bürger – nach einem langen, motivierten und meist sachtlichen Diskussionsprozess – durchaus ein Interesse daran hatten, über die Zukunft ihres Dorfes zu entscheiden. Und daß „die Materie“ keineswegs zu komplex war, um das für/wider über eine Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Man hatte ja schließlich auch lange Zeit und viele Möglichkeiten, sich mit Argumenten beider Seiten zu befassen.

Als das Wahllokal um 21 Uhr schloß, nahmen bis dahin 730 Personen an der Abstimmung teil, ein Wert der deutlich die Erwartungen übertraf.

Schließlich das Ergebnis: Erstens, es wurde keine einzige ungültige oder leere Stimme abgegeben. Zweitens, war die Verteilung zwischen beiden Ankreuz-Möglichkeiten durchaus ausgewogen: der Stimmenabstand lag bei 94 Stimmen, somit war das Endergebnis keineswegs ein „Erdrutsch“.

Besonders erfreulich fand ich, daß diese Ergebnisse bereits tags darauf, in der Früh, vor dem Gemeindehaus ausgehängt wurden. Mit dem Hinweis, dass das Abstimmungsergebnis ab sofort gültig und als in Kraft getretenes Gesetz bindend ist.

Mein Fazit daraus: Mehr lokale Demokratie, mehr Volksentscheidungen – aber auch mehr gut vorbereiteter Informationen, Veranstaltungen, und vor allem – Motivation und Initiative! Wir Bürger sind weder zu dumm, noch zu wenig daran interessiert, mitzubestimmen. Demokratie muß nicht „langweilig“ oder „verdrießlich“ sein, sie darf aber nie – ob thematisch oder technisch – zu weit vom Bürger ausgeübt werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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