Zeitgeschichte Thomas Mann ringt mit sich: Soll er sein Exil annehmen oder doch nach Deutschland zurückkehren? Ein Schweizer Feuilletonchef nimmt ihm die Entscheidung ab
„Der Dichter gibt uns seinen Zauberberg zu lesen / was er (für Geld) da spricht, ist gut gesprochen! / Was er (umsonst) verschweigt: die Wahrheit wär’s gewesen. Ich sag: Der Mann ist blind und nicht bestochen.“ Es klingt wenig schmeichelhaft, was Bertolt Brecht 1932 in seiner Ballade von der Billigung der Welt Thomas Mann nachsagt. Gar übel nachredet? Der plebejische schmäht den bürgerlichen Dichter. Brecht hält für illusionär, was Thomas Mann an humanitärem Sendungswillen und Kulturpatriotismus aufbietet, um die Weimarer Republik vor dem aufwallenden Faschismus zu retten. Wozu sich der Dichter berufen, ja, verpflichtet fühlt. Seit Thomas Mann 1929 den Literaturnobelpreis erhalten hat, verfügt das literarische Deutsch
sche Deutschland wie zu Goethes Zeiten über einen Oberhirten, der das bürgerliche Deutschland um seiner selbst willen – wer sonst verkörpert es so sehr wie er? – zu verteidigen wünscht. Mit dem Appell, der Mahnung, dem eigenen Beispiel. Alles unzureichend, weil machtlos, findet Brecht.Ohne je bösartig verfeindet zu sein, bleiben sich beide zeit ihres Lebens in herzlicher Abneigung verbunden, was gegenseitigen Respekt nicht ausschließt. Im Februar 1933 schreibt der bereits emigrierte Brecht an den in der Schweiz urlaubenden Thomas Mann, er wisse zu schätzen, dass der als Antwort auf den Reichskanzler Hitler ein Bekenntnis zu „Freiheit, Volk und Sozialismus“ abgegeben und zum Ausdruck gebracht habe, der geistige Mensch bürgerlicher Herkunft müsse sich auf die Seite der Arbeiter und der Demokratie stellen. Nur mit welcher Konsequenz? Welchem Risiko? Noch 1935 lebt Thomas Mann im Schwebezustand zwischen erzwungenem Exil und erhoffter Heimkehr. Wofür soll man sich entscheiden? „Draußen“ bleiben und zugleich „drinnen“ sein? Die eigenen Bücher werden in Deutschland weiter verkauft, die ersten Teile der Joseph-Tetralogie, eine Nachauflage des Zauberbergs, dazu eine Essaysammlung, aufgelegt vom S. Fischer Verlag. Zwar ist Mann am 17. März 1933 aus der Preußischen Akademie der Künste ausgetreten, als er der „Regierung der Nationalen Revolution“ die Treue erklären soll, doch landen seine Werke am 10. Mai 1933 nicht im Feuer des Berliner Opernplatzes wie die seines Bruders Heinrich.Joseph Goebbels kann warten. Man wird sich der Loyalität von Schauspielern wie Heinrich George und Gustav Gründgens, des Komponisten Richard Strauss oder des Dirigenten Wilhelm Furtwängler versichern – warum nicht mit Thomas Mann die Reputation polieren? Das Reich wäre zu konzilianten Gesten bereit, könnte den Schutzhaftbefehl aufheben, das Verfahren zur Ausbürgerung niederschlagen, Bankguthaben freigeben. 1934 schreibt Thomas Mann aus Küsnacht bei Zürich an den im französischen Sanary-sur-Mer lebenden Schriftsteller René Schickele: „… ich sehe immer weniger ein, wie ich dazu komme, um dieser Idioten willen von Deutschland ausgeschlossen zu sein oder ihnen auch nur meine Habe, Haus und Inventar zu überlassen … Ich erhebe Anspruch auf solche Freizügigkeit, ich empfinde es als ungehörige Zumutung, dass sie mir verwehrt sein soll! Ist das nicht auch ein Standpunkt. Sagen Sie mir doch, ob Sie ihn verräterisch und charakterlos finden!“ Vorerst soll die im September 1933 angemietete Villa in der Schweiz mehr Domizil als Exil sein. Dazu ein offenes Haus für Emigranten ohne Retourbillett, solange man sich das leisten kann.Der „Schwund der Vorräte“ beginne ihr „ernstlich Sorgen zu machen“, klagt Katia Mann, die Frau des Dichters, Ende März 1935 ihrem ältesten Sohn Klaus, „das Schlimme ist doch, dass man trotz des Gefühls der sicheren Katastrophe als Wirtschaftshaupt es nicht verantworten kann, einfach drauflos zu wirtschaften, bis nichts mehr da ist.“ – Schon nicht mehr da ist die Villa an der Poschingerstraße in München, das Mobiliar dort, die Bibliothek, unerreichbar das Sommerhaus in Nidden an der Kurischen Nehrung, ein Teil des Nobelpreis-Geldes von 230.000 Reichsmark. Trost verheißen rechtzeitig eingerichtete Konten in der Schweiz. Unverkennbare Vorsicht, wenn nicht Vorurteile spürt Thomas Mann bei Eduard Korrodi, dem Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), der ihm zwar zugesteht, gelegentlich seine Aufsätze abdrucken zu wollen, freie Mitarbeit aber vermeiden will. Offenbar lässt sich für Thomas Mann das Repräsentative als öffentliche Lebensform nicht auf ein Ausland übertragen, das noch kein Asyl sein soll. Und ohne Not will er sich nicht ins Emigrantenlager abdrängen lassen, scheut die offene Attacke gegen die Gräuel des NS-Regimes, gegen „eine Riesenwelle exzentrischer Barbarei“, wie er sie der Nazipartei noch im Oktober 1930 bei einer Rede im Berliner Beethoven-Saal attestiert hat.Im Zürcher Kabarett Die Pfeffermühle singt Tochter Erika, „die ganze Heimat und das bisschen Vaterland, die trägt der Emigrant von Mensch zu Mensch, von Ort zu Ort, an seinen Sohlen mit sich fort“. Soll sich der Dichter das zumuten? Entwurzelt und in Demut von Land zu Land ziehen? Verloren, heimatlos, die Füße beschwert durch mehr als ein „bisschen Vaterland“? Ist seine Ästhetik des Widerstandes darauf angewiesen, Leitfigur von Emigranten zu sein, um verzweifelte Seelen mit Hoffnung zu speisen? Möglich wäre das, indem man sich gegen Niedertracht und Größenwahn in Deutschland öffentlich exponiert, was zur Folge hätte, dort umgehend verfemt zu sein. Auch die dem jüdischen Verleger Bermann Fischer gehaltene Treue, die deshalb obwaltende politische Behutsamkeit hätten sich dann erledigt. Im Februar 1934 hat das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer eine Karikatur mit dem Titel „Die Judenverlage“ abgedruckt. Sie zeigt ein abgestochenes Schwein, in dessen Blutstrom Ferkel ertrinken, die Gesichter von Autoren tragen, auch das Thomas Manns. „Wenn die Sau tot ist, müssen die Ferkel verderben“, steht darunter. Aber noch lebt der S. Fischer Verlag. Und Thomas Mann glaubt, daran Anteil zu haben, egal, wie entschieden Tochter Erika daran Anstoß nimmt und ihm am 19. Januar 1936 mitteilt, „dass ich Dir mählich, aber sicher, abhanden komme“. Was im Klartext heißt, gib dein Schweigen und Schwanken auf. Viele Emigranten bedrängt es, davon in Haftung genommen zu sein. Du bist zu bedeutend, als dass es anders sein könnte.In seinem 1939 vollendeten Roman Lotte in Weimar könnte Thomas Mann solches Ungemach gemeint haben, als er Goethe bei einer Tafelrunde vor seinen Anbetern die chinesische Weisheit zitieren lässt: „Der große Mann ist ein öffentliches Unglück.“ Woraufhin der Hofstaat in schrilles Gelächter ausbricht, als wollte er dem Oberhirten bedeuten, wie er sich doch so erheiternd zu nehmen wisse. Während Goethe „den naiv-unaufrichtigen Ausdruck gespielten Erstaunens“ zeigt.Anfang 1936 lockt schließlich Eduard Korrodi den „großen Mann“ aus der Reserve. Mit seinem Artikel Deutsche Literatur im Emigrantenspiegel kreidet er den exilierten Autoren aus Deutschland an, sie lebten von ihrem Selbstverständnis her auf zu großem Fuß. Immerhin sei nicht „die deutsche Literatur“ geflohen, sondern „nur die Romanindustrie“, und davon besonders deren jüdischer Teil. Wovon sich Thomas Mann zweifach angegriffen fühlt. Ein Erzähler seines Ranges einer „Romanindustrie“ eingemeindet? Und jüdischer Herkunft ist er so wenig wie Leonhard Frank, René Schickele, Oskar Maria Graf, Ernst Gläser, Erich Maria Remarque oder Johannes R. Becher, die gingen, um nicht wiederzukommen. Nun ist es so weit, die Hand aus der Hosentasche zu nehmen und dem Schicksal nicht länger abtrünnig zu sein. In einer von der NZZ am 3. Februar 1936 veröffentlichten Entgegnung spricht Thomas Mann von der täglich gestützten und genährten Überzeugung, „dass aus der gegenwärtigen deutschen Herrschaft nichts Gutes kommen kann, für Deutschland nicht und für die Welt nicht“. Im Handumdrehen bürgern ihn die NS-Behörden aus. Der Dichter wird seinem Vaterland entrissen, was ihn derart trifft, dass er nie wieder in Deutschland leben wird.
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