Zeitgeschichte Interbrigadisten kämpfen für die spanische Republik. In seiner „Ästhetik des Widerstands“ beschreibt Peter Weiss, warum dieser Schritt für sie das „einzig Mögliche“ war
Wer begibt sich alles auf den Weg, als die spanische Republik vor 80 Jahren nicht mehr nur aus eigener Kraft, sondern mit der des Internationalismus bewahrt werden soll? Man vermutet die Pariser Kommunarden, die Kanoniere des Panzerkreuzers Aurora, die Spartakisten aus dem Berliner Zeitungsviertel vom Januar 1919, Rosa Luxemburg und Antonio Gramsci, Gegner eines dogmatischen Marxismus, Ernst Thälmann und Georgi Dimitroff, Anhänger der Diktatur des Proletariats, den Romancier Martin Andersen Nexö und seinen Pelle, den Eroberer. Autoren wie Anna Seghers, Bodo Uhse, Willi Bredel oder Klaus Neukrantz, die den Zustand des sozialen Unterdrücktseins in ihre Bücher holten. Aus der Sowjetunion wäre mit Ehrenburg und dem ungestümen Dichter Wladimir Majakowski zu re
rechnen, hätte der sich nicht aus Liebesschmerz eine Kugel in den Kopf geschossen.Tatsächlich unterwegs sind zu jener Zeit tausende Interbrigadisten aus 53 Ländern. Mehr als 40.000 werden es am Ende sein. Kaum eingetroffen in Barcelona, Valencia oder am Ebro, ziehen sie ins erste Gefecht gegen Francos Putscharmee, häufig ohne genügend formiert und bewaffnet zu sein. Seit dem 9. Oktober 1936 führt ihre Brigaden ein gemeinsames Oberkommando in Albacete, wo sich das Etgar-André-Bataillon deutscher Kommunisten zur Verteidigung Madrids in Marsch setzt. „Die Heimat ist weit, doch wir sind bereit“, singt für sie Ernst Busch mit inbrünstigem Schneid, „wir kämpfen und siegen für dich – Freiheit.“Es ist ein ganzes Universum, das in Spanien nach dem Ort sucht, an den es gehört. Emigranten aus Deutschland hoffen, dem Elend des Exils und dem Albdruck ihrer vagabundierenden Seelen zu entrinnen. Wer so viel will, der darf nicht verlieren. Als der Schriftsteller Klaus Mann 1937 durch Spanien reist, trifft er Ludwig Renn, Autor vielgelesener Antikriegsromane, nun Oberst im Stab der XI. Internationalen Brigade, und fragt: Werdet ihr siegen? Die Antwort: Siegen? Wir müssen, um der Sache willen! Franco, Hitler, Mussolini dürfen nicht durchkommen – no pasaran!In Spanien finde man sich wieder „in einem neuen gemeinsamen Beginn“, vermerkt Peter Weiss im I. Teil seines Roman-Essays Ästhetik des Widerstands (geschrieben 1971 – 1981), nachdem er die existenzielle Erschütterung beschrieben hat, die seit dem 30. Januar 1933 deutsche Kommunisten und Sozialdemokraten verkraften müssen. Kann es gelingen, eine unerwartete und überwältigende Niederlage zu verdrängen? Ihr gar zu entkommen? Wir dürfen unsere Isolation nie als Ausgeliefertsein ansehen, lässt Weiss seine Mutter Coppi an einem Herbstabend des Jahres 1937 in einer Wohnküche im Berliner Wedding sagen. Die Füße in eine Schüssel mit warmem Wasser getaucht, was nottut nach der Arbeit bei Telefunken, hat sie, eingewickelt in den Völkischen Beobachter, die illegale Rote Fahne in der Holzkiste unterm Herd liegen und den nächsten Sonntag vor Augen. Im Garten vor der Stadt werden Kartoffeln und Rüben geerntet, um den Winter zu überstehen. Morgen schon kann Vater Coppi die Anstellung in einem Rüstungsbetrieb verlieren, da er sich weigert, der NS-Arbeitsfront beizutreten. Die Familie ist umstellt von Blockwarten, Gestapo-Vernehmern und denunziationsfreudigen Nachbarn. Ein Leben auf Abbruch, auch für den Sohn Hans, bei dem Weiss vorführt, wie in seinen Figuren Fiktives und Authentisches zusammenfließen. Den Jungkommunisten Coppi, aufgewachsen im proletarischen Milieu von Großberlin, Zögling an der Reformschule auf der Havelinsel Scharfenberg, hat es wirklich gegeben. Mitte der 30er Jahre Dreher bei Siemens, stößt er auf die Widerständler um den Luftwaffenoffizier Harro Schulze-Boysen, soll später dessen Funker werden und Kontakt mit Moskau halten. Wie die meisten Mitglieder der „Roten Kapelle“ wird Coppi im Herbst 1942 verhaftet und in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Weiss schildert die Vollstreckung im III. Teil der Ästhetik als Passionsgeschichte sich opfernder Märtyrer.Im September 1937 – es handelt sich um die grandiose Exposition des Romans – steht Coppi vor dem antiken Pergamon-Altar auf der Berliner Museumsinsel, um die Schlachtszenen zwischen den Göttern und Giganten zu studieren und im Fries eine Metapher zu erkennen, die der proletarischen Mission ähnelt, sich kämpfend zu befreien oder im Schatten des Verzichts zu verharren, verführbar zu sein, wozu auch immer. Beim Treffen vor dem Altar taucht als Freund Coppis erstmals der Ich-Erzähler auf, dessen Odyssee durch Illegalität und Emigration zum maßgeblichen Handlungsstrang der Ästhetik werden soll. Bald nach jener Begegnung führt sein Weg in die Tschechoslowakei, dann über Frankreich und die Pyrenäen zu den Internationalen Brigaden in Spanien, nach deren Auflösung Ende 1938 wieder durch Frankreich, bis rettendes Exil in Schweden winkt.1917 in Bremen geboren, Sohn eines der SPD verbundenen Vaters und einer durch die Flucht vor den Nazis zugrunde gehenden Mutter, mutet dieser namenlose Arbeiter an wie der unbekannte Soldat des Widerstandes gegen Unheil und Barbarei. Einiges spricht dafür, dass sich Peter Weiss damit in die Rolle des Biografen seiner selbst begeben wollte, vom Wunsch beseelt, dem realen Ich möge widerfahren sein, was diesem fiktiven an erschöpfendem Erleben und Reflektieren vergönnt ist. Letztlich wird dank dieses Alter Ego künstlerisch lösbar, was sein Buch zum Anspruch erklärt: gebrochen durch das Bewusstsein des Einzelnen, eine Epoche in ihrer Totalität zu erfassen. Zwischen 1937 und 1945 an den Ufern des Hades entlangzuwandern, ohne abzustürzen und der kommunistischen Idee abzuschwören.Weiss schickt seinen Helden nicht an eine der Fronten des spanischen Bürgerkrieges, sondern als Helfer ins Lazarett von Cueva la Potita. Er sieht dort Interbrigadisten, die mit gelben, fahlen Gesichtern schwer verwundet aus den vordersten Linien zurückkehren, und begreift, „dass die Möglichkeit, hier das Leben zu verlieren, bei meinen Vorbereitungen nie erwogen worden war“. Und er erfährt den Mut der Verzweiflung, der Engländer, Franzosen, Russen, Amerikaner, Österreicher, Italiener oder Polen für die Republik durchhalten, aber zusehends aussichtsloser kämpfen lässt. Was die Brigadisten in Spanien finden, ist ein Land, das sie als ihr eigenes ansehen können, haben sie doch als Verfolgte und Entwurzelte praktisch kein anderes mehr als dieses. Sie verteidigen es in der Gewissheit, bei einer Niederlage einen Boden unter den Füßen zu verlieren, der ihnen Heimaterde sein kann. Aber so viele sie auch sein mögen, bleiben sie doch verschwindend wenige, gemessen an der ungeheuren Konzentration der Kräfte, die in Spanien das apokalyptische Grollen eines Weltkrieges heraufbeschwören. Freilich erinnert Weiss mit seinen Szenen aus dem Hospital auch daran, dass versiegende Macht gegenüber dem Faschismus etwas mit den Blessuren zu tun hat, die sich die kommunistische Bewegung selbst beibringt.Cueva la Potita erreichen die Berichte von den Moskauer Prozessen, vom Tribunal gegen Bolschewiki der ersten Stunde oder vermeintlich letzte Leninisten wie Kamenew, Sinowjew, Radek, Bucharin und andere, die in Wirklichkeit dem Stalinismus genauso verfallen sind wie ihre Ankläger. Sie gestehen Schuld in der fatalen Überzeugung – lässt Weiss sein zweites Ich räsonieren –, dadurch der Partei und ihrem Land einen letzten Dienst zu erweisen. Die Gespräche über diese Abrechnung im Hinterland von Cueva la Potita offenbaren vor allem eines – mindestens so schlimm wie der Feind kann der Krieg in den eigenen Reihen sein, wenn Parteilichkeit zum Gehorsam degeneriert. Dann mag es geschehen, dass eines Morgens Abtrünnige von der Militärpolizei aus dem Lazarett geholt werden. Und die Gedanken keinen anderen Halt mehr finden als bei Goyas berühmtem Gemälde von der Erschießung der Aufständischen, weil das Weiße in den aufgerissenen Augen der Todgeweihten so gar kein Erbarmen kennt.
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