Die große Leiche soll verschwinden, doch will sie mit Anstand begraben sein. Auch mit Gründlichkeit, versteht sich, alles muss runter ins Loch. Auferstehung unerwünscht. Da es sich um das Begräbnis eines Kriminalisten handelt, wird ein ganzer Kriminalfilm gebraucht, um das Unwiderrufliche nach den Regeln des Genres zu zelebrieren. Die Rede ist von der 153. Folge der Reihe Polizeiruf 110, die der Deutsche Fernsehfunk (DFF) seit 1971 produziert. Es wird der letzte Polizeiruf sein, den der Ostkanal am 22. Dezember 1991 ausstrahlt.
Nach zwei Jahren erst lebt die Reihe wieder auf, nun freilich mit ARD-Label, ohne dass ein Hubschrauber der Volkspolizei (VP) im Vorspann landet, Hauptmann Fuchs ins Cockpit steigt und einem Fall hinterherfliegt. Die finale Story Thanners neuer Job (Regie: Bodo Fürneisen; Buch: Veith von Fürstenberg), abgedreht im Juli und August 1991, folgt der Devise: Greift nur hinein ins volle Wendeleben! Also schwankt die Geschichte zwischen Abgang und Abgesang, scheut weder Paradigma noch Parabel, greift auf Demontage und Demütigung zurück. Und das alles, um einem Serienhelden das letzte Geleit zu geben, wenn der dringend gen Himmel muss.
Hauptmann Peter Fuchs war für die Reihe 110 der Prototyp des bodenständigen, loyalen, pflichtbewussten DDR-Kriminalers, mehr Erzieher als Ermittler, fast eine Vaterfigur, verwachsen mit ihrem Darsteller, dem Schauspieler Peter Borgelt vom Deutschen Theater Berlin. In Thanners neuer Job ist Fuchs zum Hauptkommissar aufgestiegen, steht aber beruflich auf der Kippe, es droht der Ruhestand. Warum auch nicht? Für ein VP-Fossil und DDR-Relikt ist es Zeit zu gehen, Zeit aus dem Weg geräumt zu werden, Zeit in einen Plot zu geraten, der aus einem Polizisten einen Gefangenen, eine Geisel, einen Gejagten, zu guter Letzt eine um ihr Leben winselnde Kreatur macht. Nie zuvor ist in einem Polizeiruf einem Polizisten geschehen, was Fuchs in seinem letzten Fall widerfährt. Einen ersten Versuch, die Figur zu demontieren, hat es ein Jahr zuvor mit der Folge Unter Brüdern gegeben. Fuchs, bis dahin die Korrektheit in Person, torkelt biertrunken und lallend aus dem Zug Berlin–Duisburg, den auf dem Bahnsteig wartenden Kollegen Schimanski und Thanner direkt in die Arme. Dem deutsch-deutschen Crossover-Team ist es aufgegeben, eine fiese Stasi-Seilschaft auszuheben, die Gemälde auf dem internationalen Kunstmarkt verhökert. Unter Brüdern ist von der Fabel (Buch: ebenfalls Veith von Fürstenberg) nicht der ganz große Wurf, dafür voller Zeitgeist und mit einer Botschaft gesegnet, die ungestüm zum Licht des Guten drängt.
Im 110-Abschiedsfilm fährt der Zug in die andere Richtung. Hauptkommissar Christian Thanner aus Duisburg ist nach Berlin entsandt, um dort DDR-Kriminalisten zu evaluieren, notfalls abzuwickeln. Sein rhetorischer Aufschlag bei einer ersten Dienstbesprechung klingt salbungsvoll und ist floskelgesättigt: „Ihr Misstrauen ist angemessener Ausdruck Ihrer Situation. Durch Hinterfragen meiner Aufgabe können sich Ihre Strukturen auch bewähren. Ich komme mit offenen Armen und gehe ohne vorgefertigte Erwartungen an meine Aufgaben, ich bitte Sie um dieselbe Bereitschaft.“ Was sicher leichtfällt dank der Order, mit der Thanner den Einstieg abschließt: „Vorerst müssen alle Ermittlungshandlungen, die Sie vornehmen wollen, von mir bestätigt werden. Auf eine gute Zusammenarbeit.“ Die DDR-Kriminalisten fühlen sich zu Handlangern degradiert, denen die Professionalität bestritten wird, weshalb sie Aufsicht und Führung brauchen.
Nach der Vergatterung glänzt Thanner im Polizeipräsidium durch Abwesenheit, um bald eine Pleite nach der anderen zu schieben. Unterwegs als Liebhaber einer ortsansässigen Freundin, wird er zum Charmeur, zum Flaneur, zum Feinschmecker („heute Abend wird gekocht“). Ganz anders ergeht es Fuchs. Zu einem Tatort gerufen, ohne dass Thanner die Erlaubnis erteilt – der ist ja einkaufen –, wird er vom Kommissar zum Unterhändler, zur Geisel, zum Gefangenen. Kalle und Helmut, zwei junge Neonazis mit Ostvita, haben eine Bankfiliale überfallen, Menschen gekidnappt, teilweise verletzt. Da sie nicht schnell genug entkommen können, steht ein Polizeiaufgebot draußen vor der Tür und zum Sturm bereit. Die Täter gehören zu einer rechtsradikalen Wehrsportgruppe, deren Kasse durch den Geldraub aufgefüllt werden soll. Da es sich beim Anführer des Vereins um einen westdeutschen Druckereibesitzer handelt, liegt die Vermutung nahe, das Setting soll ein Paradigma und windigen Zeiten gewachsen sein.
Damit die in der Bank Festgehaltenen gehen können, bietet sich Fuchs zum Austausch an, obendrein sollen die Täter ein Lösegeld erhalten und ungehindert abfahren. Was die annehmen und entschwinden. Als Thanner von der Lage Wind bekommt und kurzzeitig die Verfolgung aufnimmt, ist ihm kein Erfolg beschieden. Im Gegenteil, er verliert seinen Dienstwagen an die Täter, bleibt mit Handschellen an ein Geländer gekettet zurück, ist auf zeternde Hilferufe reduziert. Vorgesetzter West, privatim in Anspruch genommen, verliert Untergebenen Ost, auf Bewährung im Amt, an das organisierte Verbrechen Ost/West. Eine Parabel? Vielleicht.
Fuchs jedenfalls wandert ab in Geiselhaft, landet in der Wohnung von Kalles Freundin, ist mit erhobenen Armen an eine Ofentür gefesselt – besser: gehängt, weil zum Stehen gezwungen. Als er um Wasser bittet, wird ihm das zunächst verweigert – als er Helmut, der beim Schusswechsel mit der Polizei getroffen wurde, überzeugen will, sich zu stellen, um behandelt zu werden, erntet er Hohn und Spott: „Halt endlich die Schnauze, rote Sau. Was habt ihr uns denn gebracht, Dreck, Chaos und Neger, die uns an die Wäsche wollen.“
Und dann singen die Jungnazis vor, was sie einst im Kindergarten gelernt haben. „Und wenn ich mal groß bist, damit ihr es wisst, dann werde ich auch so ein Volkspolizist. Ich helfe den Menschen, ich bin mit dabei, dein Freund und dein Helfer, die Volkspolizei ...“ Ex-Volkspolizist Fuchs muss zuhören, er ist mit einer schwarzen Tüte über dem Kopf zum Schweigen gebracht. Ohne Gesicht baumelt er wie ein zum Lynchmord präparierter Todeskandidat am Ofen. Ein Kriminaler, gedemütigt und gefoltert von Kriminellen. Die Handlung wühlt sich mit dieser Symbolik durch einen Sumpf aus Abrechnung und Rache, was zu der Frage verleitet: Wird Fuchs in derart exemplarischer Weise vorgeführt, weil die DDR gemeint ist, deren treuer Diener er war? Bricht der Polizeiruf 110, bis dahin durch eine realistische Erzählweise stets dem Osten verhaftet, mit seiner Herkunft, um Tribunal zu sein und für ein Weiterleben nach dem Tod zu werben? Schließlich winkt dem Ostfernsehen im Sommer 1991 die unweigerliche Liquidation zum Jahresende, womit auch dem Polizeiruf die Endlichkeit seines Daseins vor Augen steht. Reanimation ungewiss, mit Gestalten wie Fuchs unmöglich.
Der wird von seinen Entführern weiter als Geisel durch die Gegend geschleift. Kalle und Helmut sehen in ihm eine Lebensversicherung, soll die Flucht im Auto bis München gelingen, doch endet die Tour nach einem Unfall im märkischen Schlamm und Unterholz. „Kalle, das darfst du nicht, tu es nicht, bitte, tu es um Gotteswillen nicht, lass es ...“ Fuchs schreit, schluchzt, bettelt, taumelt, liegt zitternd im Dreck, als ihn Kalles Hass und die Drohung jagen: „Die Sache wird zu Ende gebracht.“ Die Pistole verweigert ihren Dienst, bevor Helmut den „Kameraden“ niederschlägt, weil er endlich aussteigen und einen Mord verhindern will.
Zum Epilog des Films taugen eine Dienstbesprechung und ein Thanner in aufgeräumter Stimmung. „Kollegen, wir machen doch weiter – oder?“ Oder gibt es einen, den harte Schläge niedergeworfen haben, dass er nicht wieder aufstehen kann? Dem nicht nur die Instrumente gezeigt wurden, sondern der sie zu spüren bekam? Fuchs antwortet auf kein „oder?“ mehr. Er nimmt sein Jackett und geht. Man hat ihn nie wieder gesehen.
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