Wird in den USA die Geschichte des Indochina-krieges (1965 – 1975) resümiert, kann eine Dolchstoßlegende anklingen. Dies geschieht häufig dann, wenn die Frage lautet, wer hat die unverdiente Niederlage einer auf den Schlachtfeldern Südvietnams und Kambodschas unbesiegten US-Armee zu verantworten? Und die Antwort zu hören ist, die Schuld am erzwungenen Abzug von zuletzt über 550.000 US-Soldaten in den Jahren 1972/73 sei vorrangig zwei Akteuren anzulasten. Ganz besonders der Antikriegsbewegung im eigenen Land. Sie habe durch Defätismus und unpatriotisches Verhalten den politischen Rückhalt für die kämpfende Truppe ebenso ruiniert wie sich am moralischen Kredit für die Streitkräfte vergangen. Wie verwerflich, wenn verkrüppelte Vietnam-Veteranen in ihren Rollstühlen nach Washington zum Kapitol fuhren und ihre Tapferkeitsmedaillen über die Absperrgitter warfen.
Dem Kriegsgeschick Amerikas gleichsam Schaden zugefügt hätten US-Medien wie die Networks ABC, NBC und andere mit ihren Live-Sendungen von Kriegsschauplätzen im Regenwald oder Mekongdelta. Tatsächlich blieben seinerzeit furchterregende Szenen nicht ausgespart. Millionen Amerikaner konnten miterleben, wie nach Napalmangriffen ein gleißend leuchtender Flammentornado Landschaften einäscherte. Hinter Live-Reportern sah man Sanitätshelikopter landen, um schwer verwundete Soldaten ins Lazarett zu fliegen. Üblich war der langsame Schwenk über von großen Reißverschlüssen zusammengehaltene Body Bags. Die Leichensäcke bargen Ranger oder Luftkavalleristen, die es nicht geschafft hatten und es nie wieder schaffen würden. Leere Gesichter rauchender GIs gerieten in den Blick, wenn im Zentralen Hochland oder im Umland der US-Base Nha Trang Gefechtspausen eintraten, die eine Gnadenfrist zu sein schienen. Der Bilderbogen hinterließ Wirkung. Weder überzeugte er vom strategischen Talent des US-Oberkommandos noch war das unverkennbare Grauen geeignet, einer kränkelnden Siegeszuversicht daheim auf die Sprünge zu helfen. Für hohe Militärs wie General William Westmoreland, bis 1968 Oberbefehlshaber in Südvietnam, ging der Indochinakrieg nicht an der Front, sondern an den Bildschirmen verloren.
Es wurde als Lektion begriffen und verinnerlicht, nie wieder zu erlauben, dass derart tief in den Kriegsmorast hinabgestiegen und der Army ein Spiegel vorgehalten wurde. Stattdessen sollten Korrespondenten künftig und immer unter Aufsicht stehen, um beeinflussen zu können, was den Nachrichtenkonsumenten erreicht und ihm besser vorenthalten bleibt. Im Krieg sei die Wahrheit so kostbar, dass sie stets auf eine Leibwache der Lügen vertrauen müsse, hatte Winston Churchill angemerkt, als er Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg dirigierte.
Um für Kriegsberichterstatter ein Exempel zu statuieren und zugleich ein Muster zu schaffen, bietet vor drei Jahrzehnten der Krieg am Golf den idealen Anlass. Eine internationale Militärkoalition, die 965.000 Soldaten aus 23 Ländern rekrutiert, greift am 16. Januar 1991 unter dem Kommando der USA den Irak an, um die Armee Saddam Husseins aus dem im August 1990 besetzten Kuwait zu vertreiben. Nebenher, aber keineswegs beiläufig wird durchgespielt, wie im postpolaren Zeitalter Interventionen wie diese möglich sind, wenn der überstandene Ost-West- oder Systemkonflikt von einstigen Rücksichten befreit. Auch solchen, die dem Verhältnis von Krieg und Wahrheit gelten.
Wer über die „Operation Wüstensturm“ vor Ort berichten will, muss sich bei den US-Streitkräften akkreditieren und deren Pressekorps als „eingebetteter Journalist“ („Embedded System“) zuordnen lassen. Nachrichten und Texte werden zensiert, Aufnahmen von Luft- oder Bodenoperationen dürfen erst dann die Monitore passieren, wenn sie von US-Presseoffizieren freigegeben sind. Dagegen zu verstoßen, kann mit Rauswurf aus dem Embedded-Tross geahndet werden. Was über den Krieg am Golf zu erfahren ist, soll die Kriegsführung so wenig stören wie die Siegesgewissheit untergraben. Doch ist es nicht allein diese Praxis, die Anfang 1991 Agenturen und Fernsehanstalten zusetzt.
Ein ambitionierter Konkurrent sorgt für Furore. Der US-Kanal Cable News Network (CNN) sendet ohne Unterlass aus dem brennenden, berstenden Bagdad und setzt auf Infotainment mit Unterhaltungswert, ermöglicht durch einen nur selten unterbrochenen Videostream fesselnder Szenen. Nicht mehr verteilt auf Nachrichten- und Sondersendungen, sondern präsentiert in Permanenz und moderiert vom CNN-Vorposten im Auge des Taifuns, von Peter Arnett, der wie ein Conférencier durchs Geschehen führt. Mit dem ausdrücklichen Plazet der irakischen Regierung steht er auf dem Dach des Hotels Raschid und gibt den Ereignislotsen, verweist auf das Geschehen ganz rechts, wo gerade Bomben einschlagen, dreht sich ein oder weg, um auf Fontänen aus Feuer zu zeigen, die im Viertel Sadr City in den Himmel schießen.
„Haben Sie die Explosion gesehen?“ – „Dieser Angriff galt einer Militärschule.“ – „Die Silhouette der Stadt verändert sich, seit die Bomben fallen.“ Ein Luftkrieg als Rausch der Bilder, mehr Authentizität geht nicht, obwohl kein US-Soldat zu sehen und Vietnam lange her ist. Nur einer hat seinen täglichen Auftritt, freilich nie an der Front. General Norman Schwarzkopf, Oberbefehlshaber der „Operation Wüstensturm“, bittet das Embedded-Korps ins Hauptquartier auf einer US-Air-Base in Saudi-Arabien zum Briefing. Verabreicht werden Infrarotaufnahmen mit Fadenkreuz, Flugobjekt und Detonationswolke, die Suggestion absoluter Präzision bei Anflug und Einschlag, als würde Bagdad da und dort nicht viel mehr als ein chirurgisch veranlagter Einstich verpasst, der nur kurz wehtut. Outgesourct bei Schwarzkopfs Joystick-Ausflügen ins Surreale ist die Realität des Krieges, das Verrecken von Soldaten in der Wüste, von Bürgern in den Städten. Was passiert in den von Marschflugkörpern eingeebneten Gebäuden? Wer liegt verschüttet unter Trümmern, verglüht im Feuerball, wird von Bomben pulverisiert, ist nicht mehr auffindbar? Briefings und Bulletins schweigen sich aus.
CNN erschüttert mit seinem Kriegspanorama in Echtzeit und Endlosschleife die Nachrichtenwelt, das Mantra vom Ereignisfernsehen kursiert. Der Kölner Privatsender RTL plus macht als erster mobil und kopiert mit seinem Morgenprogramm Hallo Europa – Guten Morgen Deutschland das Exempel vom totalen Fernsehen, setzt auf die Kanonade der Trefferbilder und das Fadenkreuz-Target-Format aus dem „Hauptquartier“. Es sind kantige Moderationen im Studio mit dem kalten Metallic Design und auf Tempo bedachte Nachrichtenclips, die dem Zuschauer im aufgeräumten Sound von Werbespots bedeuten, er möge so auf Touren kommen, wie der Krieg schon auf Touren ist. Das Frühstücksfernsehen von ARD und ZDF, eigentlich noch in der Pilotphase, muss mithalten, zwischen sechs und neun ebenfalls den medialen Frontkämpfer in der Etappe rauslassen. Dazu am eigenen Stil feilen, wenn das retardierende Moment, die dunstige Idylle, der Morgenzauber am Rhein, zur Geltung kommt, untermalt von Flötenbarock, der mehr nach Friedrich II. als Bach klingt.
Den Tiger Krieg reiten, aber nicht aus dem inneren Gleichgewicht kommen oder gar die seelische Balance verlieren. Als die Kampfhandlungen Anfang März 1991 mit einem Waffenstillstand enden, nachdem der Irak die Annexion Kuwaits aufgeben musste, haben Fernsehstationen in den USA wie in Westeuropa Wochen im Ausnahmezustand hinter sich. Der moderne Krieg des Hightech-Overkills hat „seinen Journalismus“ erzeugt und ihm zugleich ein Geschirr angelegt. Es lässt ihn betriebssicher durch die Arena traben. Die nächsten Gelegenheiten können kommen, und sie werden kommen – im Jahr 1999 mit den NATO-Luftschlägen gegen Serbien und 2003, wenn der Irak erneut gestürmt wird.
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