Gewöhnlich nennt man das politische Totgeburt. Der nach langen Verhandlungen im Entwurf vorliegende Sicherheitsvertrag mit den USA ist für den einflussreichsten schiitischen Kleriker des Irak, Großayatollah al-Sistani, an das Votum des Volkes und der Parteien gebunden. Letztere legten bereits ihr Veto ein. Was da unterschrieben werden solle, sei nicht mehr als eine Absichtserklärung, die Premier Nouri al-Maliki von dem Vorwurf entlaste, nicht genug für eine Renaissance der nationalen Souveränität zu tun.
Für die schiitische Gemeinschaft ist nichts gewonnen, ein solcher Vertrag wäre eine Farce, klagt ihr Vorbeter Muqtada al-Sadr. Und aus vielen Moscheen erreicht ihn ein Echo, das die Verdammung nicht nur erwidert, sondern verstärkt. Die größte aller denkbaren Unwägbarkeiten beim Unternehmen Sicherheitsvertrag verkörpert die US-Exekutive selbst. Wie wird die im Januar 2009 antretende Administration mit dem Versprechen umgehen, bis Ende 2011 alle Kampftruppen aus dem Irak abzuziehen? Der irakische Regierungssprecher Ali al-Dabbagh bedenkt das Ansinnen mit viel Vorsicht. Es könnten Umstände eintreten, bei denen man die USA bitten müsse, notfalls länger zu bleiben. "Im Jahr 2011 wird die Regierung, die dann in Bagdad an der Macht ist, bestimmen, ob wir einen neuen Vertrag brauchen oder nicht. Die Art dieses Paktes wird von den gegebenen Herausforderungen abhängen." Zunächst einmal, so al-Dabbagh, würden die US-Verbände bis Mitte 2009 alle irakischen Städte räumen und sich vollends in ihre Basen zurückziehen. Damit wird zum politischen Willensakt verklärt, was längst Realität ist. In elf der 18 Provinzen des Landes haben die Amerikaner in der Ära des Oberkommandieren David Petraeus ihre Soldaten längst ins Refugium der Stützpunkte zurückbeordert. In den Regionen Anbar, Kerbala, Najaf, Muthanna, Dhiqar, Maysan und Basra besorgt die irakische Nationalarmee das operative Geschäft, in den kurdischen Gebieten Dahuk, Erbil und Suleimanija tun es die Peshmerga-Milizen.
Bei alldem dürfte den US-Streitkräften der Rückzug aus Indochina Anfang der siebziger Jahre als Muster erinnerlich sein. Seinerzeit hatten sich nach dem Anfang 1973 geschlossenen Pariser Vietnam-Abkommen die letzten 55.000 von einst 550.000 GIs in nur zwei Monaten verabschiedet. Sie hinterließen zum Bersten gefüllte Waffenlager, aber eben auch ein strategische Vakuum, das die südvietnamesische Armee des Generalspräsidenten Nguyen Van Thieu nicht zu füllen vermochte, so dass der Sieg des Nordens nur eine Frage der Zeit war. Es wäre naiv zu glauben, das totale und durch die damalige Anti-Kriegsstimmung in den USA beschleunigte Disengagement aus Indochina 1973 würde sich 2011 wiederholen. Die Bush-Regierung hat nie ein Hehl daraus gemacht, Abzug bedeute nicht Aufgabe von Präsenz. In ein Netz von Stützpunkten verwoben, sollte die dazu angetan sein, irakische Pipelines, Ölfelder und Verkehrswege dauerhaft zu kontrollieren und die Nachbarschaft - Syrien und Iran - in Schach zu halten. Worin sollte sonst das Motiv der Invasion im März 2003 bestanden haben? Vom Mandat für die Air Force bei diesem Kalkül ganz zu schweigen. Auch wenn Bush und Cheney abtreten, es werden sich andere finden, den Doktor Strangelove zu geben und die Bombe zu lieben.
Wie ein solcher Zukunftsentwurf dem vorliegenden Vertragsentwurf die Paragrafen schreibt, geht daraus hervor, dass der Irak auf seinem Hoheitsgebiet weiterhin nur eine gebrochene Rechtshoheit haben soll. Wie Regierungssprecher al-Dabbagh erklärt, unterstehen die US-Truppen bei Militärmissionen allein den US-Gesetzen. Dies gelte "für alle Umstände" möglicher Operationen. "Irakisches Recht wird angewandt, wenn diese Streitkräfte außerhalb ihrer Basen oder außer Dienst schwerwiegende Straftaten begehen."
Ein schöner Traum. Was irakisches Recht wert ist, geht daraus hervor, dass die US-Armee bis heute irakische Tatverdächtige festnimmt und danach keines Verbrechens anklagt, weder nach amerikanischem noch irakischem Recht. Im Oktober 2008 sind es über 18.000 Menschen, die unter derartigen Umständen interniert sind.
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