Abschuss des chinesischen Spionageballons: Runterholen und hochspielen

Meinung Die USA und China hatten gerade erst begonnen, sich diplomatisch wieder anzunähern. Joe Bidens Überreaktion auf den Spionageballon droht die entspannte Lage zu gefährden
Ausgabe 06/2023
Wer genau hinsieht, sieht die Rakete schon auf den Ballon zufliegen
Wer genau hinsieht, sieht die Rakete schon auf den Ballon zufliegen

Foto: Imago / ZUMA Wire

Antony Blinken stand vor relevanten Begegnungen in Peking, vor dem ersten Besuch eines US-Außenministers seit 2018. Ein Gespräch mit Staatschef Xi Jinping zeichnete sich nicht nur ab, sondern war sicher. Es hätte wohl fortgeschrieben oder präzisiert, worauf sich der chinesische und der amerikanische Präsident beim G20-Gipfel Mitte November in Bali verständigt hatten: Gibt es bei der Konkurrenz untereinander derzeit kaum Abstriche, sollte daraus keine Konfrontation werden, die Grenzen des Kontrollierbaren sprengt. Konträre Positionen zum Ukraine-Krieg, zu Taiwan, Hongkong oder Nordkorea sollten nicht zwangsläufig in sterile Feindschaft münden. Sich hier nicht anzunähern, aber auszutauschen, das verhieß, Diplomatie wieder mit Stimmungspflege zu betrauen. Auch wenn das nur einen geringen oder gar keinen Nutzen hat – schaden kann es nicht.

Dann aber zog ein Ballon über Nordamerika seine lange und lange Zeit unangefochtene Bahn. Ein fliegender Wetter- oder cleverer Gegnerbeobachter? Was sich womöglich unter der Hand bereinigen ließ – bei so vielen Kanälen der gegenseitigen Observation –, wurde über Nacht zur Staatsaffäre. Es erwies sich als bestens geeignet, dem Verhältnis USA/China den permanenten Krisenmodus zu erhalten. Blinken konnte getrost in Washington bleiben. Die USA spielten den Ballon hoch, indem sie ihn nach unten holten. Was damit gewiss unbeabsichtigt geschah: China wurde zugestanden, mittlerweile eine Weltmacht zu sein, die solcherart Equipment unter den Sternen Nordamerikas zu platzieren vermag, wenn sie das denn will.

Vielleicht hätte sich ein Augenblick des Innehaltens empfohlen. Warum nicht der Frage nachgehen, was es heißt, dass sich teils mit bloßem Auge verfolgen ließ, was der Himmel darbot? Entweder handelte es sich wirklich um einen der Steuerung entglittenen Flugkörper, der sich umständehalber oder unglücklicherweise über den USA selbstständig machte. Oder China wollte ungerührt vorführen, dass es sich leisten kann, was es den USA zeigen will. Und das nicht irgendwo. Zu dieser Deutung will freilich nicht recht passen, dass deshalb eine hochrangige diplomatische Mission abgeblasen wurde, an der Peking gelegen war. Man hätte sich mindestens darüber verständigen können, trotz aller Konflikte den beiderseitigen Handel störfrei zu halten. Daran sind nicht nur beide Seiten interessiert, darauf sind sie wahrlich angewiesen. Diese Gelegenheit ist vertan.

Joe Biden hat mit hochtrabendem Gehabe die brachiale Lösung allen anderen vorgezogen. Er ließ das Luftschiff abschießen, als es bereits im Begriff war, den Luftraum der USA wieder zu verlassen. Man hätte das Objekt einfach ziehen und die Erklärung aus Peking auf sich beruhen lassen sollen, es sei „höhere Gewalt“ im Spiel gewesen. Wer hat von Biden verlangt, das zu glauben? Es zur Kenntnis zu nehmen, hätte gereicht. Stattdessen wurde in staatlichem Auftrag zerstörerische Gewalt vorgeführt, als ob es davon nicht genug gäbe. Dem Status quo gespannter, dazu extrem belasteter Beziehungen zwischen Washington und Peking hätte man nicht besser dienen können.

Dieser Tage hat der US-Vier-Sterne-General Mike Minihan in einem Memo die Annahme formuliert, dass man schon in zwei Jahren in einen Krieg mit China geraten könnte. „Mein Bauchgefühl sagt mir, wir werden 2025 kämpfen …“ Welche Anlässe ließen sich finden? Einen kennt man. Andere finden sich.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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