Noch unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder galt für das Verhältnis zu Frankreich die Devise: Wir Deutschen sind wieder wer und lieben euch trotzdem. Seit Angela Merkel regiert, hat diese Formel einen härteren Schliff bekommen. Sie lautet nun: Wir sind wieder wer und lieben euch nur, wenn ihr das anerkennt. Beim Paso doble der mutmaßlich füreinander bestimmten Partner sind Berlin und Paris sichtlich aus dem Tritt geraten. Trifft es den Zustand der deutsch-französischen Beziehungen, wenn man sie als Achse des Misstrauens beschreibt?
Fest steht, die Bundesregierung will von ihrer Eurokrisenstrategie nicht lassen und verlangt von Paris Gefolgschaft oder Zurückhaltung, jedenfalls kein Störfeuer und schon gar keinen Aufbau von Gegenmacht. Wenn sich das andeutet, kann der deutsche Finanzminister unangenehm werden wie vor dem Krisengipfel vom 12. Juli. Wolfgang Schäuble reagierte auf neue Vorschläge aus Griechenland verärgert, wenn nicht mit verhaltenem Zorn. Weil er wusste, das von Finanzminister Michel Sapin nach Athen entsandte Berater daran mit gefeilt hatten? Dadurch bekannte sich die Regierung von François Hollande schon vor dem Gipfel klar zum Verbleib der Griechen in der Eurozone. Insofern stand außer Frage, dass Schäubles Joker vom temporären Grexit auf die Gegenwehr Frankreichs stoßen und scheitern würde. Ausgespielt hat er ihn trotzdem. Weniger um die Griechen rauszuwerfen, als Hollande zu brüskieren?
Die inzwischen bis zur Entfremdung reichenden Irritationen zwischen Berlin und Paris wären nur auszuräumen, würde man sich im Élysée gebrochenen Herzens dazu durchringen, der Staatsphilosophie zu entsagen – dem Dualismus von Etatismus und Protektionismus, in dem sich ein gaullistischer Staatsglaube spiegelt, seit die V. Republik besteht. Zumindest etwas davon sähe François Hollande wohl gern von der Europäischen Union und Eurozone übernommen. So folgt seine durch Vorgänger Nicolas Sarkozy vererbte Idee von einer EU-Wirtschaftsregierung der Auffassung, dass die Währungsunion mehr denn je Regulierung braucht, um ein Auseinanderdriften konkurrierender Volkswirtschaften unterm gleichen Währungsdach aufzuhalten. Gleich nach seinem Wahlsieg im Mai 2012 wollte der neue Präsident in diesem Sinne antreten. Ein europäisches Investitions- und Wachstumsprogramm, Eurobonds und die Haftungsunion, eine gemeinsame Einlagensicherung für die Großbanken der Eurozone – alles legte er auf den Tisch.
Unüberwindbare Blockaden
Dort blieb es, bis die deutsche Kanzlerin auf- und abräumte, was nicht nach ihrem Geschmack war, und selbst auftischte: Auf die Mittel der Europäischen Investitionsbank (EIB) gestutzte Konjunkturhilfen, ein Festschreiben des Bail-out-Verbots in der Eurozone, eine Bankenunion, bei der lediglich gemeinsame Standards für nationale Einlagensicherungssysteme verabredet wurden. Statt der Wirtschaftsregierung brachte Wolfgang Schäuble vor dem EU-Gipfel Mitte Oktober 2012 einen mächtigen EU-Wirtschaftskommissar ins Gespräch, der über ein Vetorecht gegen nationale Haushaltspläne verfügen sollte. Gezielter konnte man Paris mit seinen Defizitsünden nicht treffen.
Wie zu erwarten, stieß Hollandes reformerische Energie auf uneinnehmbare Blockaden. Ihm widerfuhr, was schon Nicolas Sarkozy passiert war, als er Ende 2008 Angela Merkel für eine konzertierte Anti-Krisen-Aktion gewinnen wollte. Seinerzeit sollte ein europaweites Konjunkturprogramm helfen, die Folgen der mit dem Crash der US-Bank Lehman Brothers ausgelösten Weltfinanzkrise aufzufangen. Bei einem Treffen im Élysée-Palast gab sich die Kanzlerin nur mäßig angetan, so dass sich Sarkozy genötigt fühlte, beim anschließenden Pressestatement das bilaterale Gegeneinander öffentlich zu machen. Zum Thema EU-Konjunkturpaket lasse sich leider nur sagen, „Frankreich arbeitet daran, Deutschland denkt darüber nach“. Deutschland dachte nicht nach, sondern an sich selbst und eine nationale Prävention gegen die Rezession. Anfang 2009 beschloss die Regierung Merkel: Es fließt Geld aus der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an Großunternehmen, es gibt eine staatliche Exportfinanzierung durch aufgestockte Hermes-Bürgschaften, eine Abwrackprämie für Altfahrzeuge und subventionierte Kurzarbeit, indem der Arbeitgeberanteil bei der Sozialversicherung zur Hälfte von der Bundesagentur für Arbeit getragen wird. So viel Keynesianismus und Staatsintervention auf einmal – das dürfte Frankreich erstaunt haben. Der deutsche Alleingang war eine Absage an europäische Solidarität und das koordinierte Handeln der EU-Führungsnationen in Krisenzeiten, wie man es in Paris für wünschenswert hielt.
Oft dominiert und diszipliniert, könnte Präsident Hollande gegenüber Deutschland zur Revanche ausholen, indem er sich den Südländern von Spanien bis Griechenland als Anführer und Anwalt anbietet. Ein verlockender Schachzug, würde nur die eigene Ökonomie mehr Rückhalt geben, um solcherart Selbstertüchtigung durchzustehen. Das Gegenteil ist der Fall – die französische Industrie leidet unter schwindender Wettbewerbs- und Exportkraft, ihre Unternehmen stellen zu wenig Arbeitskräfte ein (Erwerbslose im Juni: 10,3 Prozent) und der Staat kann schlecht für ein Investitionsfeuerwerk sorgen, wenn er selbst klamm ist und bei den Brüsseler Institutionen unter Beobachtung steht. Ende Februar hat die EU-Kommission zugestanden, dass beim französischen Staatshaushalt die Neuverschuldung erst 2017 wieder bei den zulässigen drei Prozent liegen muss. So wird in diesem Jahr mit einem Defizit von 4,1 Prozent gerechnet, woran sich 2016 nichts ändern dürfte.
Mehr als durch Vertragsbrüche und die eigenen Schulden sind Hollande durch seine Ambivalenz die Hände gebunden. Als er Anfang 2014 auf einer Pressekonferenz bekannte, „social-démocrate“ zu sein und das Worte „socialiste“ vermied, wurde das als Hinweis auf ein deutsches Vor- und Vexierbild empfunden: die neoliberale Reformagenda, die es unter dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder ein Jahrzehnt zuvor gegeben hatte. Frankreich wollte dies nie imitieren, vermochte jedoch auch kein erfolgreiches Gegenmodell zu kreieren, aus dem Gegenmacht erwuchs, um das Austeritätsdogma der EU in Frage zu stellen. Solange das so bleibt, hat sich eine Führungsparität mit Deutschland erledigt. Es geht allein um gesichtswahrende Teilhabe an der europäischen Richtlinienkompetenz einer deutschen Kanzlerin.
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