Warum müssen linke Politiker an der Macht so oft vor der Macht der Umstände kapitulieren? Werden sie damit entzaubert und gezwungen, sich selbst zu verleugnen? Wodurch verlieren Lichtgestalten an Leuchtkraft, sprich: den Wählerauftrag aus den Augen, dem sie ihr Mandat verdanken? Wie man das beim griechischen Premier Alexis Tsipras annehmen könnte, der in diesem Jahr eher früher als später abgewählt werden dürfte. Und nichts weniger als das verdient hat. Dass er gerade im Parlament eine Vertrauensabstimmung gewonnen hat, ändert nichts daran, dass der von Syriza geführten Regierung wohl nur noch eine Restlaufzeit vergönnt ist.
Mehr versprochen
Immerhin kehrte Griechenland unter Alexis Tsipras im Vorjahr zu einem Minimum an Souveränität und Selbstbestimmung zurück. Das letzte von drei EU-Rettungspaketen lief aus. Ein viertes wurde nicht mehr geschnürt. Die Euro-Retter schienen davon überzeugt, Griechenland nicht länger domestizieren zu müssen, um vor seiner Krise geschützt zu sein. Mehr war für das Land und seinen Zustand nicht herauszuholen. Das war viel, für Tsipras vermutlich zu wenig. Er hatte mehr versprochen, als Syriza vor genau vier Jahren die Parlamentswahlen gewann.
Eben deshalb taugt er für eine den regime change anstrebende Linke zum Präzedenzfall. Als solcher schärft er den Blick für Hoffnungsträger, deren Radikalität von der Realität kassiert wird. Für den regierenden Alexis Tsipras bestand diese Realität in einem bankrotten Land, dem 2015 der ökonomische Kollaps drohte, sollte es nicht entwürdigende Bedingungen annehmen, unter denen ein Überleben möglich war. Tsipras wurden Ermutigung, Sympathie und Anteilnahme überall in Europa zuteil, als er mit seinem Kabinett dennoch dem Druck der Euro-Retter zu widerstehen suchte. Als er sich mit dem Ökonomen Yanis Varoufakis gar einen Finanzminister leistete, dessen Flair und intellektuelles Format die Brüsseler Technokratie zur Weißglut brachte.
Tsipras hatte alles Recht der Welt, die dekretierte Verarmung seiner Landleute aufzuhalten, aber nichts in der Hand, dies wirklich zu tun. Was ihm in dieser Lage blieb und verdiente, Politik genannt zu werden, war der trotzige Affront des Ohnmächtigen. So ließ er am 5. Juli 2015 über die seinerzeit anstehenden Auflagen der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF abstimmen und konnte sich bestätigt fühlen. Fast 62 Prozent widersetzten sich dem ökonomischen Widersinn des nationalen Ausverkaufs. Das erste und einzige Mal wurde in der Eurozone über die Art und Weise der Euro-Rettung nicht im Parlament, sondern durch die Bürger abgestimmt.
Demokratie reicht nicht
Welch ein Sakrileg, durch ein demokratisches Votum das Diktat der Gläubiger aufhalten zu wollen. Der versuchte Befreiungs- führte prompt zum vollendeten Gegenschlag. An Tsipras wurde ein Exempel statuiert, damit er kein Exempel mehr sein konnte. Die vom damaligen deutschen Finanzminister ausgehende Gefahr eines Verstoßes aus der Währungsunion lag in der Luft, sodass ein drittes Sparpaket einen unbotmäßigen Regierungschef dazu zwang, vom Rebellen zum Reformator zu werden. Die Unerbittlichkeit seiner Gegner ließ Tsipras keine Wahl – das ihm anvertraute Schicksal seines Landes erst recht nicht. Der Rest ist bekannt.
Tsipras bleibt trotzdem eine tragende Figur der authentischen Linken. Was ihm widerfuhr, zeigt einmal mehr, dass Demokratie allein nicht reicht, um dem Willen einer Mehrheit wie in Griechenland Geltung zu verschaffen. Ebenso wird deutlich, wie viel Mut zur Macht eine soziale Wende braucht, wenn sich davon ein ganzes Wirtschafts- und Währungssystem herausgefordert fühlt.
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