Man kann nur mutmaßen, warum es so lange gedauert hat, bis die niederländische Untersuchungskommission wenigstens einen „vorläufigen“ Abschlussbericht vorlegt. Immerhin standen unbeschädigte Aufzeichnungen der Flugschreiber zu Verfügung. Wäre es schneller gegangen, hätte man den klaren, unanfechtbaren Beweise liefern können, dass eine Boden-Luft-Rakete Ursache des Absturzes war, die sich zudem ebenso eindeutig einem Waffensystem der Aufständischen in der Ostukraine zuordnen ließ?
Eines bleibt leider völlig unterbelichtet. Bei Katastrophen dieser Dimension ist es üblich, dass die International Civic Aviation Organization (ICAO) die Ermittlungen leitet. Weshalb sind die Untersuchungen in diesem Fall der Federführung
em Fall der Federführung niederländischer Experten überlassen? Nichts gegen deren Expertise und Seriosität, aber sie kommen nun einmal aus einem Land, das im Ukraine-Konflikt als Partei agiert – als NATO-Staat und EU-Mitglied, das die Sanktionen gegen Russland ausdrücklich und vorbehaltlos unterstützt. Es kann eine taktische Frage sein, wann man etwas veröffentlicht. Oder wie lange man wartet. Die niederländischen Ermittler haben sich mit ihrem Teilreport soweit festgelegt, dass es sich beim Crash der Maschine um einen Abschuss gehandelt habe. „Es gibt keine Anzeichen, dass ein technischer Fehler oder Handlungen der Crew den Absturz von Flug MH 17 verursacht haben“, schreiben sie und vermeiden die Auskunft, ob das „durchlöcherte Cockpit“ seinen Zustand einer Rakete oder den Bordwaffen eines Kampfjets verdankt. Oder einem ganz anderen Grund. Tod auf Bestellung Natürlich steht es außer Frage, dass es möglichst erschöpfende Klarheit über das Inferno vom 17. Juli 2014 geben muss. Doch sollte dieser aufklärerische Furor, dem sich hiesige Medien erwartungsgemäß andienen, ausnahmslos allen Geschehnissen zugute kommen, die es im Fall Ukraine verdienen, erhellt zu werden. Das gilt für Herkunft und Auftrag der Scharfschützen vom 20. Februar in Kiew ebenso wie die Toten im teilweise ausgebrannten Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai – im Prinzip auch für die Rolle der drei EU-Außenminister Steinmeier, Fabius und Sikorski beim Janukowitsch-Sturz in der Nacht vom 21. zum 22. Februar. Inzwischen sprechen die Aussagen Beteiligter – nicht nur eine Reihe von Indizien dafür, dass es sich bei den Schüssen auf Demonstranten wie Polizisten am 20. Februar im Umfeld des Kiewer Maidan um einen Tod auf Bestellung handelte. Gefeuert wurde aus dem Gewerkschaftshaus im Stadtzentrum wie vom Dach des Hotels Ukraina. Beide Gebäude befanden sich an jenem Tag fest in den Händen der Opposition. Wurden Extremisten des Anti-Janukowitsch-Lagers tätig, um die Regierung soweit zu diskreditieren, dass sie – wie einen Tag später geschehen – verhandeln und ein Übergangsabkommen schließen musste, das letzten Ende nur ein retardierendes Moment bei der Abwicklung des Staatschefs war? Oder war Konspiration im Spiel und der ukrainische Geheimdienst gefragt, Janukowitsch eine Art Todesstoß zu versetzen? Die Kiewer Staatsanwaltschaft bleibe bis heute jede Aufklärung schuldig. Und die Regierung nimmt daran offenbar keinerlei Anstoß. Ein Team des ARD-Magazins Monitor bemühte sich im März um einen relativ neutralen Erkenntnisgewinn und interviewte in einem Kiewer Hospital einen Arzt, der am 20. Februar verwundete Demonstranten wie Polizisten gleichermaßen behandelt hat. Der sagt im Bericht: „Die Verwundeten hatten … denselben Typ Schussverletzungen. Ich spreche jetzt von dem Typ Kugeln, die wir aus den Körpern heraus operiert haben – die waren identisch. Mehr kann ich nicht sagen.“ Selbst angezündetGleich gar nichts sagen wollen die Behörden in Odessa. Dort gibt es noch nicht einmal eine verbindliche Angabe über die wirkliche Zahl der Toten im Gewerkschaftshaus, die am 2. Mai der Brandstiftung eines nationalistischen Mobs und einer ostentativ untätigen Polizei zum Opfer fielen. Höchstens 42, sagt die lokale Staatsanwaltschaft, in Wirklichkeit über 100, sagen Überlebende. Die Regierung in Kiew verstieg sich seinerzeit zu der wüsten Behauptung, die Russland-Sympathisanten im Gewerkschaftshaus hätten sich selbst angezündet. Wäre ein solches Verbrechen unter umgekehrten Vorzeichen verübt worden – noch heute würden man davon im Westen genauso zehren wie von den vermeintlichen Umständen des Absturzes von MH 17. Der übrigens – ohne verlässliche Ursachenanalyse – für die EU der Anlass war, auf der Stimmungswelle zu reiten und verschärfte Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Da wurde erst einmal Wert auf die Instrumentalisierung der Tragödie gelegt, weniger auf deren Aufklärung. Dabei ist es immer wieder erschreckend und amüsant zugleich, für wie dumm das mediale Publikum gehalten wird. Unmittelbar nach dem Absturz wurden die ersten unparteiischen Ermittler selbstverständlich (laut ARD-Tagesschau) von „den Separatisten daran gehindert, an die Absturzstelle vorzudringen“. Als dann aber niederländische, australische und malaysische Experten teilweise unverrichteter Dinge wieder abziehen musste, folgen sie dem Rat der OSZE-Beobachter, „wegen der Kampfhandlungen im Absturzgebiet kein Risiko einzugehen“.