Allmacht und Ohnmacht

Iran/USA Auch wenn ein Krieg auf sich warten lässt, droht er allemal – nicht erst seit dem Mord am Atomphysiker Mohsen Fakhrizadeh
Ausgabe 49/2020
Ein Plakat in der iranischen Hauptstadt Teheran zeigt den ermordeten Atomphysiker Mohsen Fakhrizadeh
Ein Plakat in der iranischen Hauptstadt Teheran zeigt den ermordeten Atomphysiker Mohsen Fakhrizadeh

Foto: Atta Kenare/AFP/Getty Images

Die iranische Führung muss jetzt tun, was von ihr erwartet wird. Das Setting bliebe sonst unvollständig, schlichtweg unvollendet. Erst wird in Teheran der Atomphysiker Mohsen Fakhrizadeh bei einem Anschlag getötet – der Iran ist damit im Spiel, weil für das Opfer zuständig –, dann wird eine angemessene Reaktion erwartet, damit die Islamische Republik die Rolle ausfüllt, die ihr aus westlicher Weltsicht zugedacht ist. Sie muss sich revanchieren, besser: „rächen“. Ist das zu viel verlangt?

Es wäre auf das Muster vom Januar zurückzugreifen, als die Amerikaner den iranischen General Kassem Suleimani in die Luft sprengten und im Gegenzug US-Stellungen im Irak angegriffen wurden. Gewiss kann man Präsident Rohani nicht vorschreiben, was diesmal wo und wie geschieht. Das Mindestgebot sollte freilich sein: Die „Rache“ muss dem Stigma einer unberechenbaren, aggressiven Regionalmacht im Mittleren Osten gerecht werden. Ein „Schurkenstaat“ eben, dem man nur die Leute abschießen muss, und schon entpuppt er sich. Auch die deutsche Außenpolitik beansprucht in diesem Arrangement ihren Part. Sie warnt vor einer Eskalation im Mittleren Osten, ist gewohnt wirkungslos und liefert einen überzeugenden Beweis, wie sie die angeblich wachsende weltpolitische Verantwortung wahrnimmt. Mehr zu tun, bleibt ihr – schon aus Gründen der Bündnisräson – verwehrt.

Angenommen, hinter dem Mord an Fakhrizadeh stehen Israel und/oder die USA – nicht allein deren Geheimdienste, die in der Regel Aufträge erfüllen –, dann haben enge Verbündete Deutschlands zum wiederholten Mal signalisiert, dass sie Staatsterror als legitimes Mittel betrachten, um sich Geltung zu verschaffen. Ihre Botschaft: Der Iran ist kein Staat, sondern ein Staatskretin, der verdient, wie er behandelt wird. Auch wenn ein Krieg noch auf sich warten lässt, auf dem Sprung ist er allemal. Vor zwei Wochen erst wurde kolportiert, Präsident Trump habe einen Militärschlag führen wollen. Eindringliche Warnungen diverser Berater hätten verhindert, was in der Luft lag. Oder gelegen haben soll. Dass die abgewählte Administration alles dafür tut, ihren Nachfolgern in Sachen Iran verbrannte Erde und unerbittliche Feindschaft zu hinterlassen, kann nicht verwundern. Seit Donald Trump im Mai 2018 den Nuklearvertrag gekündigt hat, ließ er „maximalen Druck“ ausüben, fuhr die Sanktionen hoch und setzte auf die innere Erosion des Regimes. Sollte Joe Biden diesen Kurs korrigieren, wird ihn der Vorwurf, er begünstige einen Feind, wie ein Bannstrahl treffen. Die Republikaner dürften ihm so wenig schenken wie die Regierung in Israel.

Ist das wirklich so bestürzend alternativlos, wie es sich darstellt? Muss die vermeintliche Allmacht des Staatsterrors durch die vermeidbare Ohnmacht der Diplomatie noch verstärkt werden? Als Trump seinen Ausstieg aus dem Atomabkommen zelebrierte, wurde die Chance vertan, eine Koalition der Vertragstreuen auszurufen, bestehend aus den drei EU-Signatarstaaten Großbritannien, Deutschland und Frankreich sowie Russland, China – und dem Iran. Eine solche Allianz zu wagen, hätte bedeutet, die USA in die Schranken zu weisen.

Zugleich wäre der Iran in eine Vertragsgemeinschaft integriert und dadurch international rehabilitiert worden wie noch nie seit der Islamischen Revolution von 1979. Weil es diese Perspektive gab, kam sie nicht zustande. Sie drohte eine Weltordnung der erst-, zweit- und drittklassigen Staaten über Gebühr zu gefährden.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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