Als Charaktermaske unterwegs

Olympia Bundespräsident Gauck liefert mit seiner Absage an die Winterspiele in Sotschi ein eindrucksvolles Beispiel für die oft beklagte Verschwisterung von Politik und Sport ab
Putin und Gauck 2012 vor dem Schloss Bellevue in Berlin
Putin und Gauck 2012 vor dem Schloss Bellevue in Berlin

Bild: Johannes Eisele / AFP - Getty Images

Muss wirklich jede sich bietende Gelegenheit dazu herhalten, Russland vors Schienbein zu treten und die Beziehungen zu belasten? Die Absage von Bundespräsident Gauck an die Olympischen Winterspiele von Sotschi soll Wladimir Putin treffen. Das wird sie bestimmt nicht. Gauck macht sich größer, als er ist, und damit lächerlich. Russlands Staatschef kann bei diesem Weltereignis des Sports und der Politik auf den deutschen Bundespräsidenten sehr gut verzichten. Es wird kein Hahn nach ihm krähen, schon gar kein russischer.

Die deutsche Boykottmanie trägt zwischenzeitlich wahrlich groteske Züge. Schon im Sommer 2012 wollte man sich bei der Fußball-EM in der Ukraine nicht neben Viktor Janukowitsch auf der Tribüne zeigen – als sei der einer der finstersten Despoten des Postsowjetismus und als Regierungschef nicht ebenso legitimiert wie Angela Merkel. Komisch nur, dass Janukowitsch bis eben noch heftig umworbener Partner einer EU-Assoziierung war und die deutsche Kanzlerin ihm beim jüngsten EU-Gipfel in Vilnius durchaus die Hand geben wollte. Aber da darf die Politik eben pragmatisch und selektiv in ihren Kriterien sein – je nach dem, ob Janukowitsch als mutmaßlicher Handlanger Putins oder Aspirant der EU gesehen wird, die ihn gern gegen Putin in Stellung brächte.

Zurück zu Gauck. Verweigert er sich Sotschi, trifft das weniger die russische Regierung als vielmehr die russische Bevölkerung und ihren Wunsch, Sportlern aus aller Welt ein würdiger Gastgeber und professioneller Veranstalter zu sein. Der Bundespräsident wolle sich nun einmal nicht für eine solche Prestigeveranstaltung hergeben, belobigen ihn hiesige Medien – von Ausnahmen abgesehen – überschwänglich. Welch selektives Wahrnehmungsvermögen!

Die Obermoralisten

Wann bitteschön waren in den vergangenen Jahrzehnten Olympische Spiele kein kollektiver Werbeakt, bei dem sich Staaten und Systeme mit ihrem Leistungsvermögen, ihrem kulturellen Anspruch und Organisationstalent der Welt empfehlen wollten? Das war in Peking nicht anders als in London, in Turin genauso wie in Vancouver, nimmt man nur die Winterspiele 2006 und 2010.

Deutsche Regierungspolitiker – auch der Westerwelle-Auftritt vor Tagen in Kiew ließ das erkennen – haben sich gegenüber einigen Staaten Osteuropas in der Rolle des Obermoralisten eingerichtet, was die Grenzen des Erträglichen sprengt. Genau genommen wird diesen Staaten das Recht bestritten, Interessen zu haben und diese offensiv vertreten zu dürfen. Oder Traditionen und Wertesystemen zu folgen, die nicht mit westlichen Mustern – oder was dafür gehalten wird – gleichen wie ein Kuckucksei dem anderen.

Wenn Joachim Gauck etwas am Regierungsstil Wladimir Putins auszusetzen hat – das kann man, allein sein opportunistischer Umgang mit einer homophoben Grundtönung der russischen Gesellschaft bietet sich an –, warum hat er dann nach anderthalb Jahren im Amt Russland noch keinen Besuch abgestattet und die Bedenken in Moskau vorgetragen? Allein die offenbar nicht zufällig unterlassene Antrittsvisite, lässt daran zweifeln, ob im Schloss Bellevue auch nur der Hauch eines Bedürfnisses nach einem Dialog besteht, der ohne die üblichen Zurechtweisungen auskommt. Sotschi böte die Chance, einen Anfang zu machen.

Stattdessen inszeniert sich Gauck als Charaktermaske eines anachronistischen Antikommunismus, der absurder nicht sein kann. Russland hat unter Putin einen eigenständigen Weg zum Kapitalismus eingeschlagen, bei dem der Staat aus traditionellen Gründen und als Reparateur eines chaotischen Umbruchs in den neunziger Jahren seinen Part beansprucht. Auch als ökonomische Autorität. Was ist daran im Westen anders, wenn ein anarchischer Finanzkapitalismus vor dem Kollaps gerettet wird? Was wäre heute noch vom Euro und der EU übrig, hätten sich nicht Staaten als Chefbürgen für aus dem Ruder laufende Großschuldner und Pleitebanken in der Eurozone ins Zeug gelegt?

Das ganz große Rad

Es hat sich ein auffälliger Brauch in der deutschen Außenpolitik eingebürgert. Regierungen, die nicht nach dem eigenen Geschmack sind, in den Geruch des rechtlich Illegitimen und moralisch Anstößigen zu bringen. Wenn es ganz schlimm kommt: des Kriminellen und Verkommenen. Auch wenn sie durch eine legale politische Willensbildung ihr Mandat bekamen – sie werden wie Outlaws behandelt, denen man schon mal vor der Tür auf die Barrikade steigt wie das Guido Westerwelle in Kiew eindrucksvoll vorgeführt hat. Ein Außenminister auf Abruf und in Abwicklung wohl gemerkt, der gern noch mal das ganz große Rad drehen wollte.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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