Also sprach Zarathustra

USA/VIETNAM Präsident Clinton auf den Spuren von Colonel Kurtz

Um diesen Horror zu überleben, muss man sein Freund sein«, meditiert in Francis Coppolas Spielfilm Apocalypse Now ein nach Ansicht seines amerikanischen Truppenkommandos wahnsinniger Oberst Kurtz, der sich Ende der sechziger Jahre in die Hölle des kambodschanischen Urwald abgesetzt hat, um der Hölle des Krieges in Vietnam zu entfliehen. »Ich habe das Grauen gesehen«, sagt Kurtz und schürft diesen Satz aus sich heraus, um ihn dem jungen Hauptmann Willard wie einen Klumpen Fleisch vor die Füße zu werfen. Einem stummen Zuhörer, von dem er weiß, dass er geschickt wurde, ihn - den Abtrünnigen - zu liquidieren. Willard erfüllt auch den Auftrag seiner Führungsoffiziere, aber nach dem Mord zerstört er das Funkgerät seines Bootes, um sich für immer von der »zivilisierten Welt« abzunabeln. Die Fahrt zu Kurtz - diese Dienstreise durch einen Krieg - gerät zu einem Weg ohne Wiederkehr. Willard verabschiedet sich aus einer Zivilisation, die der Barbarei zu Füßen liegt. Eine grandiose Metapher für die Abrechnung mit einer Regierung, die sich in Kurtz und Willard - in der Gratwanderung zwischen Wahn und Wirklichkeit - wiederfinden darf. Es waren die US-Administrationen der Johnsons und Nixons, die in jenen Jahren Napalm-Teppiche auswerfen ließen, um - wie sie meinten - den »kommunistischen Flächenbrand« in Indochina zu löschen.

Als man sich zwischen San Francisco und Boston mehr und mehr dieses Irrsinns bewusst wurde, waren über 58.000 US-Soldaten und mehr als 2.500.000 Vietnamesen tot. Bis heute hat das nie ein Tribunal der Vereinten Nationen beschäftigt. Wahrscheinlich aus Ehrfurcht vor jener höheren historischen Gerechtigkeit, auf die Sieger der Geschichte Anspruch erheben. Und war nicht Vietnam so etwas wie Amerikas Dünkirchen im Kalten Krieg? Man zog ab, um wieder zu kommen (wie gerade Bill Clinton) - man verlor eine Schlacht, aber nicht den Krieg. Zum 25. Jahrestag des Falls von Saigon, der am 30. April 1975 den Sieg der vietnamesischen Kommunisten besiegelte, schrieb die Washington Post: Auf dem Schlachtfeld von einst seien vor allem die Idee der nationalen Befreiung, die den Gegner beseelte, und sein Durchhaltevermögen unterschätzt worden. Doch es sei falsch, diesen Krieg als katastrophale Fehlentscheidung abzutun, auch in militärstrategischer Hinsicht sei das unbegründet. Die Erfahrungen aus Indochina wirkten bis heute nach. Dagegen ist nichts einzuwenden. Tatsächlich dürfte der Verlauf des Indochinakrieges gerade die Administrationen von George Bush und Bill Clinton darin bestärkt haben, sich nur dann militärisch zu engagieren, solange die Risiken minimal und kalkulierbar blieben, ob es sich nun um Panama, Somalia, Haiti, Bosnien oder Kosovo handelte. Und wer wollte bestreiten, dass in der Schlussphase des Bombenkrieges gegen Nordvietnam zu Weihnachten 1972 die Operation »Linebacker II« mit ihren selektiven Angriffen auf militärische und zivile in Hanoi und Haiphong bereits die Luftkriegsstrategie am Golf 1991 und gegen Serbien 1999 vorwegnahm?

In Coppolas Apocalypse Now lässt ein amerikanischer Oberst Musik von Richard Strauss zum Angriff seiner Hubschrauberstaffel vom Tonband einspielen. Unter den Klängen von »Also sprach Zarathustra« wird ein südvietnamesisches Küstendorf im Phosphor- und Napalmregen eingeschmolzen. Menschliche Grausamkeit entlädt sich bei Coppola in einer absurden Ästhetik der Zerstörung und provoziert die Frage: Waren sich Wahn und Wirklichkeit jemals wieder so nahe wie in Vietnam?

Clintons jetziger Weg dorthin ist gepflastert mit dieser Vorgeschichte - der Geschichte eines Krieges, der über drei Jahrzehnte dauerte. Sie liegt weit zurück und sie ist hautnah. Sie kann weder in Hanoi oder Hue, noch in Ho-Chi-Minh-Stadt ausgeblendet bleiben, auch wenn es gilt, aller Welt vor Augen zu halten, dass sich beide Staaten jenseits der killing fields von einst wieder begegnen können. Dass Normalität und Pragmatismus vorherrschen. Dass nach der vorsichtigen Lockerung der Kuba-Sanktionen und dem Sunshine-Talk mit Pjöngjang eine scheidende Administration offenbar gewillt ist, kommunistischen Erzfeinden eine Art Generalpardon zu gewähren. Dieser Schritt mag gegenüber dem ehemaligen Kriegsgegner in Indochina am leichtesten fallen, denn das Verhältnis zwischen Washington und Hanoi hat sich seit Mitte der neunziger Jahre spürbar entkrampft. Es war Clinton, der gegen den Widerstand des Kongresses 1994 das Handelsembargo aufhob, das sich vor dem Hintergrund der vietnamesischen Öffnungspolitik als höchst kontraproduktiv erwiesen und US-Firmen den Zugang zu einem durchaus verlockenden Markt verwehrt hatte.

KP-Generalsekretär Le Kha Phieu, Premier Phan Van Khai und Präsident Tran Duc Luong - die heutige Führungstroika Vietnams - können sich Clintons Gesten der Konzilianz nicht verschließen, brauchen sie doch die Wirtschaftskontakte mit den USA, um ihr Reformprogramm fortzusetzen. Sie werden sich vermutlich auch Clintons Ermahnungen in Sachen Menschenrechte mehr oder wenig geduldig anhören, als ob es das Massaker von Son My und Leutnant Calley nicht gegeben hätte. Sie sollten vielleicht mit einer bizarren Geschichte antworten - mit der Erinnerung an Briefe Ho Chi Minhs, die im Jahre 1946 an Präsident Truman geschickt wurden, um die Hilfe der USA gegen das französische Kolonialdiktat zu erbitten, im Namen von Freiheit, Unabhängigkeit, Menschlichkeit. Ho Chi Minh sandte vier Botschaften nach Washington - Antwort erhielt er nie.


    USA - Vietnam, die neunziger Jahre

    Februar 1994 Aufhebung des US-Wirtschaftsembargos gegen Vietnam. Protokoll über die gemeinsame Suche nach in Vietnam vermissten US-Soldaten (Missing in Action/MIA), deren Zahl von US-Seite mit 1.500 angegeben wird.

    August 1995 Besuch von Außenminister Warren Christopher in Hanoi, die USA und die Sozialistische Republik Vietnam nehmen offiziell diplomatische Beziehungen auf.

    März 1997 Umschuldungsvertrag zwischen Washington und Hanoi, mit dem Vietnam Altschulden der einstigen süd vietnamesischen Regierung gegenüber den USA anerkennt.

    April 1997 Pete Peterson, ein ehemaliger US-Pilot, der im September 1966 bei einem Angriff auf Hanoi abgeschossen wurde, übergibt als erster US-Botschafter in Hanoi sein Beglaubigungsschreiben.

    Januar 1998 Beginn der Verhandlungen um ein Handelsabkommen, mit dem Vietnam die Meistbegünstigung eingeräumt werden soll - eine Ratifizierung des inzwischen vorliegenden Vertrages durch den US-Senat und Vietnams Nationalversammlung steht aus.

    März 2000 Verteidigungsminister William Cohen besucht Vietnam, weiteres MIA-Protokoll unterzeichnet.

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