Was ist geschehen, dass ausgerechnet eine Armee, die im Sommer 1999 wegen der von ihr mutmaßlich verursachten "humanitären Katastrophe" zum Abzug aus dem Kosovo gezwungen wurde, nun zumindest in die südserbische Pufferzone - also an den Rand der Krisenprovinz - zurückkehren darf? Woher der Sinneswandel bei einer von der NATO dominierten KFOR, die es trotz ihres gewaltigen Militärpotenzials offenbar nicht zustande bringt oder bringen will, die terroristische Struktur einer albanischen Guerrilla aufzulösen, von der inzwischen Mazedonien drangsaliert wird. An ihren großalbanischen Ambitionen macht sie keinerlei Abstriche und destabilisiert damit eine ganze Region. Durch den halbherzigen Aktionismus der KFOR scheint sie sich bisher eher ermutigt denn bedroht zu fühlen.
Es überrascht einigermaßen, wenn die KFOR absegnet, dass jugoslawische Streitkräfte auf jugoslawisches Gebiet zurückkehren dürfen. Denn der "Teufel" präsentiert sich mitnichten in Engelsgestalt: Große Personalrochaden in der Armeeführung seit dem Sturz Slobodan Milosevics sind nicht bekannt. Auf der mittleren Kommandeursebene werden die gleichen Offiziere in Marsch gesetzt, die vor zwei Jahren gegen die UÇK im Einsatz waren. Möglicherweise geführt von den gleichen Generälen. Logischer Pragmatismus - schließlich kennt das erprobte Personal die Region und die dort übliche Gefechtsordnung am besten. Warum sollte es nicht disloziert werden, wenn es eine von den militärischen Konditionen her ähnliche Lage zu beherrschen gilt, wie sie vor der NATO-Intervention 1999 im Kosovo anzutreffen war?
Wenn KFOR und UNMIK die vermeintlichen Täter von gestern als Krisen-Task-Force von heute willkommen heißen, gibt es dafür zunächst einmal die gleichen Gründe, die vor reichlich zwei Jahren die Allianz bewogen, den kalkulierbaren Luft- nicht durch einen unkalkulierbaren Landkrieg abzurunden. Sie will keine body bags heimkehren sehen, keine Leichensäcke, die ein völkerrechtswidriges und riskantes militärisches Engagement für die Öffentlichkeit der betroffenen Länder sofort in ein anderes Licht rücken würden. Von der neuen US-Administration ist ohnehin bekannt, dass sie über eine verminderte Truppenpräsenz auf dem Balkan nachdenkt und gern den Europäern einen größeren Part überlassen würde. Die wären unter Umständen sehr schnell in der moralischen und Bündnispflicht nachzurücken, aber tote NATO-Soldaten - heimgeführt aus Prishtina oder Tanusevci - kann sich auch kein europäischer Alliierter leisten.
Daher die Einladung an Belgrad, doch den gewohnten Schlachtfeldern bitteschön wieder näher zu treten - ein Offenbarungseid, mit dem sich nicht nur ein Eingeständnis von politischer Ratlosigkeit verbindet, sondern auch von Heuchelei und Prinzipienlosigkeit. Der albanische Nationalismus wurde hofiert, um ihn gegen den serbischen Nationalismus in Stellung zu bringen, der allerdings im Westen zusätzlich mit dem Etikett "post-kommunistisch" versehen wurde. Jetzt die einst so protegierten Albaner militärisch zu reglementieren oder gar kategorisch zu disziplinieren, würde die Lage im albanisierten Kosovo erheblich destabilisieren und KFOR-Kontingente in eine Fronstellung führen, die keineswegs nur Scharmützel, sondern handfeste bewaffnete Konfrontationen auslösen dürfte und höchstwahrscheinlich Opfer kostet. Da erscheint es ratsamer, die Serben zu bemühen und ihnen wieder die Feuerlinie anzubieten - schließlich geht es um ihr Land. Wollte nicht Belgrad unbedingt seine Souveränität über den Kosovo oder Teile davon wiederhergestellt sehen? Und ist ein solcher Anspruch nicht ein ganz anderer, wenn er durch die Kos?tunica und Djindjic´ artikuliert wird? Sicher, auch sie mögen serbische Nationalisten sein, aber als nützliche Handlanger des Westens sind sie eben auch nützliche Nationalisten, die jetzt einen Zweck - einen Auftrag unter Demokraten - zu erfüllen haben und zwar mit der Armee, die einst auf den Oberkommandierenden Milosevic eingeschworen war.
Sollte das so sein - und eigentlich spricht alles dafür - wäre es nur höchste Zeit, auch den Krieg von 1999 einer Umwidmung zu unterziehen und die Legende von der "humanitären Intervention" endlich zu beerdigen, was möglicherweise neben den offenen auch den versteckten Parteigängern das Gewissen erleichtern könnte: Warum nicht ehrlich bekennen, dass die Bombardements von Split oder Belgrad einerseits Hommage an die seinerzeit gerade beschlossene neue NATO-Doktrin waren, vor allem jedoch ein wohl verspätetes, aber doch geduldig gesuchtes "letztes Gefecht" mit einem Gegner von gestern, der nur noch in dieser höchst deformierten post-kommunistischen Spielart des serbischen Nationalismus verfügbar war, (was ja nur von Vorteil sein konnte). Eine offene - wenn auch nur aus sicheren Höhen - geführte Schlacht, die zwar einen Zivilisationsbruch darstellte, aber angesichts der Statur des Gegners und seiner ideologischen Aufladung im Namen der Zivilisation geführt werden konnte. Nun ist dieser Gegner verschwunden, das Schlachtfeld erwartungsgemäß nicht, die Kombattanten auch nicht - obwohl doch Milos?evic´ als Hauptursache der Ansetzung galt.
Das reklamierte Bekenntnis könnte das Verständnis dafür fördern, dass der Westen die Arena nicht mehr unbefleckt - bestenfalls ungeschoren - verlassen kann, wenn denn der serbische Nationalismus wieder richtig mitspielt. Aber warum sollte er nicht - jetzt, da er wieder salonfähig ist.
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