Angst vor dem Dominoeffekt

Eurozone Das deutsche Ressentiment gegen Corona-Bonds sagt Krisenländern wie Italien, Frankreich und Spanien vor allem eines: Ihr verliert an Kreditwürdigkeit
Unüberbrückbare Distanz: Auch via Bildschirm lehnt Deutschland Euro- respektive Corona-Bonds ab
Unüberbrückbare Distanz: Auch via Bildschirm lehnt Deutschland Euro- respektive Corona-Bonds ab

Foto: Ian Langsdon/POOL/AFP via Getty Images

Vieles erinnert in diesem Augenblick an das Jahr 2010, als innerhalb der Eurozone die ersten Rettungsaktionen für Griechenland anliefen, aber die Gemeinschaftswährung deshalb noch lange nicht gesichert war. Die Verschuldungsquoten Portugals, Spaniens, Irlands und Zyperns zwangen ebenso zum Handeln, denn von ihnen ging gleichfalls ein enormer Druck auf die Währungsunion aus.

Das Ergebnis war seinerzeit die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität EFSF, an der sich Eurostaaten beteiligten, indem sie am Kapitalmarkt Anleihen auflegten, die bei Bedarf von den Großschuldnern in Anspruch genommen werden konnten, um sich wegen steigender Zinsen nicht noch höher verschulden zu müssen. Im Prinzip schlug die Geburtsstunde eines Europäischen Währungsfonds, eines „EWF“. Wurden aus dem EFSF verbürgte Kredite in Anspruch genommen, dann – wie bei Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) üblich – gebunden an teils drastische Auflagen für nationale Haushalte und soziale Systeme. Und das nicht nur in Griechenland.

Was zu jener Zeit unverrückbar galt, war die auf Deutschland zurückgehende No-Bail-Out-Maxime. Damit war de facto verboten, dass ein Euroland für das andere haftet oder alle für eines oder alle für mehrere. Es war stets klar zuzuordnen, wer für den EFSF oder später für den ab 2013 aufgebauten Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM wie viel und zu welchen Konditionen beisteuerte. Kapital oder besser Bürgschaften aus dem EFSF oder eben dem „EWF“ waren keine Eurobonds. Die Währungsunion haftete nicht gemeinschaftlich für ihre schwer angeschlagenen Mitglieder, was deren Los gewiss erleichtert hätte, sondern durch die Summe der Einzelaktionen, die im EFSF oder ESM zusammengeführt waren.

Griechenbonds gegen Eurobonds

Bekanntlich ist ein Staat nicht dann insolvent, wenn er zahlungsunfähig ist, sondern als nicht mehr kreditwürdig gilt. Für Japan beispielsweise ist das mit einer Gesamtschuldenquote von derzeit 238 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht der Fall. Für Griechenland hingegen war das vor genau zehn Jahren mit einen Schuldenstand von damals 120 Prozent des BIP sehr wohl der Fall.

Nur hätte dies nicht zum jähen Absturz und dem daraus folgenden ökonomischen Aderlass führen müssen, wenn die Währungsunion am internationalen Finanzmarkt als kollektiver Bürge aufgetreten wäre. Man hätte sogar soweit gehen können, nicht mehr refinanzierbare griechische Bonds gegen Eurobonds zu tauschen, was Griechenland wieder mehr Bonität verschafft hätte. Natürlich wären dadurch Regierungen in Athen nicht in dem Maße wie später geschehen gezwungen gewesen, sich drastischen Sparauflagen zu beugen. Bekanntlich wird in der EU nationale Haushaltspolitik als souveräne Angelegenheit betrachtet. Allerdings muss man sich diese Souveränität leisten können. Griechenland konnte dies nicht mehr. Die linke Syriza-Regierung, Premier Tsipras und sein erster Finanzminister Varoufakis mussten das 2015 schmerzhaft erfahren.

Was kann, was muss man sich leisten? Das ist auch jetzt die Frage, wenn die Corona-Pandemie Volkswirtschaften mehr oder weniger stilllegt und Staatskapital Produktion ersetzt. Die durch Spanien, Frankreich und Italien artikulierte Bedarf an "Corona-Bonds" – nichts weiter als eine situationsgebundene Chiffre für "Eurobonds" – trifft auf den Widerstand der gleichen Eurostaaten, die bereits vor einem Jahrzehnt das „vergemeinschaftete Risiko“ ablehnten – Deutschland, Österreich, die Niederlande.

Hilf anderen und damit dir selbst

Und so paradox es erscheinen mag (aber nicht ist): Sie können sich momentan in ihrer Position bestärkter denn je fühlen, da die Dimension des sich abzeichnenden Finanzbedarfs für die vom wirtschaftlichen Einbruch am schwersten heimgesuchten Länder das übertreffen wird, was an finanzieller Gegenwehr nötig war, als die Eurokrise 2010/2011 kulminierte, weil das griechische Virus auf Portugal und Irland übergriff, bald auch Spanien erfassen sollte.

Da Länder wie Frankreich und Italien inzwischen eine Grundverschuldung vorweisen, die deutlich über ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung bzw. ihrem BIP liegt, wird das deutsche Ressentiment gegen die kollektiven Bonds erst recht angefacht – aber zugleich auch mehr denn je in Frage gestellt.

Denn soviel dürfte feststehen, wächst mit den absehbaren hohen Verschuldungsquoten vieler Euroländer der Druck auf den Euro insgesamt, bleibt auch Deutschland davon nicht verschont. Die Frage lautet daher, ob und wie die Liquidität einzelner Staaten mit Interesse aller gesichert wird. Der Kapitalmarkt wird nicht lange tatenlos zusehen, wie einige Euroländer Staatsanleihen auflegen, von denen in den Sternen steht, wann sie jemals wieder eingelöst werden können. Ja, ob überhaupt.

Da kann nur die Eurozone als Ganzes für ein Mindestmaß an Sicherheit sorgen, sie sollte als Ganzes kreditwürdiger sein als in der Summe ihrer Staaten. Daher ist Deutschland weniger zur Finanzsolidarität mit seinen Partnern aufgefordert, sondern zur Solidarität mit sich selbst, weil es die Liquidität und den Markt dieser Partner braucht. Hilf anderen zu überleben, und du hilfst dir selbst.

Es sind auf jeden Fall Zweifel abgebracht, ob – wie von Kanzlerin Merkel favorisiert – der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM mit seinen 700 Milliarden Euro Grundausstattung reichen wird. Wird dort aufgestockt und zwar deutlich, steigen selbstverständlich auch die Risiken für die Einleger. Und es ist letztlich eine Frage der Risikoabwägung: Gibt es einen ESM plus oder Corona-Bonds?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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