Anmachen und Andienen

Sicherheitspolitik China sei eine „sicherheitspolitische Herausforderung“, heißt es bei der NATO. Das Land rückt aber nicht auf oder gegen Europa vor, es ist längst da
Ausgabe 50/2020
Chinesische Soldaten marschieren in Russland anlässlich des 75. Jahrestages des Sieges der Sowjetunion über die Nationalsozialisten
Chinesische Soldaten marschieren in Russland anlässlich des 75. Jahrestages des Sieges der Sowjetunion über die Nationalsozialisten

Foto: Alexander Vilf/Host Photo Agency/Getty Images

Wenn ein Militärpakt wie die NATO nach Gegnern Ausschau hält, ist nicht allein zu fragen, wer das warum sein soll. Beachtung verdient ebenso, was eine Allianz ausmacht, deren Sinnstiftung darauf angewiesen ist, sich mit der halben Welt anzulegen. Nun also mit China. Warum? Verfolgt die Volksrepublik gegenüber Europa oder Nordamerika eine feindselige Außenpolitik, baut sie Stützpunkte im Iran, in Serbien oder Nordafrika auf, um den Westen in Schach zu halten oder gar anzugreifen? Testet sie unablässig ihre Kernwaffen, denkt sie an Abwehrsysteme im Weltraum? Die chinesische Marine patrouilliere aggressiv im Südchinesischen Meer, der chinesische Staat leiste sich 2020 einen 160 Milliarden Dollar teuren Militäretat, gibt sich NATO-Generalsekretär Stoltenberg alarmiert. Was veranstaltet das NATO-Mitglied Türkei sei Monaten im Mittelmeer? Und muss Chinas Verteidigungsbudget nicht an den 630 Milliarden Dollar gemessen werden, mit denen sich die USA im laufenden Haushaltsjahr versehen haben?

Nach der jüngsten Tagung der NATO-Außenminister hieß es, China sei eine „sicherheitspolitische Herausforderung“. Dem müsse das Bündnis „mehr Zeit, politische Ressourcen und Handeln widmen“. Das zeugt vom Rückgriff auf die 1999 mit dem Jubiläumsgipfel in Washington beschlossene Strategie, wonach Operationen über das Bündnisgebiet hinaus legitim sind. Diesmal in der unverkennbaren Absicht, sich den USA im Systemkonflikt mit Peking anzudienen und Joe Biden NATO-freundlich zu stimmen, nachdem Donald Trump die Allianz am liebsten verschrottet hätte. Sollen demnach transatlantische Störungen auch im Fernen Osten beigelegt werden?

Mit welchen Konsequenzen? Sie dürften schwerlich darin bestehen, NATO-Truppen in den asiatisch-pazifischen Raum zu verlegen, um dortigen US-Kontingenten, etwa der Pazifikflotte, zu sekundieren. Wer eine solche Dislozierung auch nur erwägt, sollte um seine politische Zurechnungsfähigkeit besorgt sein. Wenn die USA ihr Militär demnächst weitgehend aus Afghanistan abziehen, werden ihnen die dort stehenden Verbände anderer NATO-Staaten notgedrungen folgen. Es wäre geradezu absurd, sich nach einer solch schmählichen Demission regional anderweitig exponieren zu wollen. Dem würden viele Mitgliedsstaaten zu Recht eine strikte Absage erteilen. Ohnehin hat Präsident Macron öffentlich bezweifelt, dass China und Russland noch als klassische Gegner anzusehen seien. Solle man in seinem Land weiter an das westliche Bündnis glauben, müsse das in den Antiterrorkampf ziehen – was sonst? Das mag verstiegen klingen, wirft aber unabhängig davon die Frage auf: Wie zeitgemäß, wie konsensfähig, wie kompatibel mit den Interessen der Mitglieder ist die China-Agenda einer NATO, die sich zum Adjutanten der US-Politik in Asien degradiert?

China rückt nicht auf oder gegen Europa vor, wie es auf die Sowjetunion beziehungsweise Russland gemünzte Bedrohungslegenden seit Jahrzehnten suggerieren. Es ist längst da, angekommen und arriviert. Allein die seit 2017 verfolgte Initiative der „Neuen Seidenstraße“ erfasst mit Polen, der Slowakei, Deutschland, den Niederlanden, Griechenland und Italien gleich mehrere NATO-Staaten, die von chinesischen Investitionen beim Ausbau ihrer Handelsinfrastruktur profitieren. Von einem extensiven Warenaustausch ganz zu schweigen. Man braucht den Partner China viel zu sehr, um sich den Gegner China leisten zu können.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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