Natürlich findet dieses Wahl nicht statt, um den Vereinten Nationen, den USA, der EU oder wem auch immer gefällig zu sein. Präsident Bashar al-Assad bemüht sich weder um ein Demokratiezertifikat noch ist er auf internationale Anerkennung bedacht. Ein solches Gütesiegel hätte sein Staat auch vor dem Bürgerkrieg kaum je erhalten. In der Abwägung zwischen Machterhalt und Außendarstellung entschied sich das Baath-Regime stets für sich selbst und keinerlei Risiken. Dies gilt, seit 1971 mit der ersten Präsidentschaft von Hafez al-Assad, dem Vater von Bashar, ein bis heute aufrechterhaltener Führungsanspruch durchgesetzt wurde.
Insofern hat diese Präsidentenwahl eine reine Herrschaftsfunktion – es wird dem Präsidenten gehuldigt, um ihn als Präsidenten zu behalten. Was nichts daran ändert, dass der Amtsinhaber nach der Verfassungsreform von 2012 erstmals auf zwei Gegenkandidaten trifft – den einstigen KP-Führer Maher al-Haijar und den Geschäftsmann Hassan an-Nuri, Ex-Minister für Verwaltungsreform, beide Systemkritiker, keine Systemgegner. Ob sie dem Gros der Bevölkerung bekannt sind, darf bezweifelt werden.
Ganz klar steht die Beschwörung der nationalen Einheit im Vordergrund dieses Urnengangs. Bashar al-Assad lässt sich bestätigen, ausgehalten zu haben. Mehr als drei Jahre Bürgerkrieg mochten ihn schwächen, an einen Abgrund führen und in die Defensive drängen, aber nicht stürzen. Selbstbehauptung zeichnete des Volk der Alawiten seit Jahrhunderten aus. Wollten sie in der einstigen Hermetik ihre Bergdörfer überleben, standen sie vor der Wahl, sich zu wehren oder unterzugehen. Von den Sunniten ständig der Häresie geschmäht, verfolgt und verleumdet, wurden sie hart und unerbittlich, bis die französische Mandatsmacht nach dem Ersten Weltkrieg in den Außenseitern ideale Partner erkannte, deren Gefolgschaft gefragt war. Im kolonisierten Syrien waren bereits der Machtstrukturen des ab 1946 unabhängigen Staaten angelegt.
Assads Widerstand und Überlebenswille stehen in dieser Tradition. Er ist der Geschichte seines Volkes gewachsen, obwohl ihm eine große Koalition der zu fast allem Entschlossenen das Schicksal des libyschen Führers Muammar al-Gaddafi zugedacht hatte. Das Anti-Assad-Lager vereinte neben den Kombattanten in Syrien, einflussreiche Staaten der Golfregion, bis auf den Irak und Libanon die gesamte Arabische Liga und die gesamte westliche Staatengemeinde.
Wenn es zutrifft – und einiges spricht dafür –, dass derzeit in der Ukraine zwischen den östlichen und westlichen Regionen, zwischen Pro-Russen und Pro-Ukrainern eine Art Stellvertreterkrieg des postpolaren Zeitalters geführt wird, dann hat diese Ära in Syrien bereits 2011 begonnen. Zu Assads Verbündeten zählen neben einer schiitischen Internationale, die von der libanesischen Hisbollah bis zur Islamischen Republik der iranischen Ayatollahs reicht, genauso Russland und mit Abstrichen – geht man vom Stimmverhalten im UN-Sicherheitsrat aus – die Volksrepublik China.
Kantonisierte Integrität
Das Regime will und kann an diesem 3. Juni zeigen, dass temporäre Kontrollverluste ausgeglichen wurden und die Assad-Armee wieder die strategische Achse von Damaskus bis zur Küste beherrscht, alles in allem 45 Prozent des Landes, nicht aber den Osten und die von den Kurden dominierten Zonen des Nordens. Im Umkehrschluss heißt das, der Bürgerkrieg ist noch nicht vorbei, trotz des Terraingewinns für Assad in Homs und Aleppo.
Um so mehr ist das Regime um den Nachweis bemüht, dass ihm die Bürger in den immer schon oder nun wieder kontrollierten Gebieten die Loyalität nicht schuldig bleiben. Assad kann zum Ausdruck bringen, im Moment sicher einen fragmentierten, aber eben keinen „failed state“ wie in Libyen zu regieren. Warum sollte diese Wahl seiner Administration nicht das Mandat erteilen, nach einer politischen Lösung zu suchen, wenn die Gegenseite dazu bereit ist? Der Kompromiss könnte in einem kantonisierten Land bei Erhalt dessen staatlicher Integrität bestehen.
Den Putsch vollendet
Es ist in der arabischen Welt offenbar eine Zeit angebrochen, da sich die autoritären Regime der starken Männer zurückmelden. Mit der Wahl des ehemaligen Armeechefs As-Sisi in Ägypten oder der Bestätigung von Abd al-AzizBouteflika im April in Algerien werden Verhältnisse restauriert, die dank der Arabellion der Vergangenheit angehören sollten.
In Ägypten wird die demokratische Wahlentscheidung für einen Präsidenten wie den Muslim-Bruder Mohammed Mursi endgültig annulliert. Mit Ex-Marschall As-Sisis Präsidentschaft hat der vor knapp einem Jahr gegen Mursi inszenierte Putsch seine Vollendung gefunden. Von Sanktionsdrohungen der USA oder anderer westlicher Staaten ist nichts bekannt. Auch hier sind offenkundig Stellvertreter am Werk, die um die Interessen ihrer Klienten und Gönner wissen. Syrien fällt da nicht übermäßig aus dem Rahmen.
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