Atlantischer Achsenbruch

Cameron Das nennt man wohl einen Schlag ins Kontor – nach der Niederlage ihres treuesten Alliierten müssen die Amerikaner nun allein ihrem nächsten Abenteuer entgegen segeln
Anti-Kriegsdemonstranten an der Downing Street
Anti-Kriegsdemonstranten an der Downing Street

Foto: Oli Scarff / Getty Image

Vielleicht sollte sich auch Barack Obama auf diesen Weg begeben und einer demokratischen Kultur vertrauen, die sonst als hochwertiges Exportgut westlicher Gesellschaften gilt und anderen Staaten zur freundlichen Übernahme empfohlen wird. Der US-Kongress wäre im Moment berufen wie sonst kein anderes Gremium in Washington, die Kriegsabsichten des Präsidenten zu bestätigen oder zu blockieren.

Das britische Unterhaus hat sich dieses Recht genommen und der konservativen Regierung Mäßigung statt Bellizimus auferlegt. Wenn sich Premier David Cameron und sein Außenminister William Hague dem beugen müssen, ist das für beide eine schwere Niederlage, die dem Gebot der militärischen Zurückhaltung wie der Vernunft noch eine Chance gibt. Man kann nur hoffen, dass die Entscheidung von London Obama nicht unbeeindruckt lässt, denn sie beschreibt zweifelsfrei eine Zäsur.

Bei allen Kriegen und Interventionen der neuen Weltordnung in den vergangenen gut zwei Jahrzehnten waren die USA und Großbritannien als Akteure stets Angreifer und als solche stets Alliierte – 1991 bei der „Operation Wüstensturm“ im Irak, 1999 beim NATO-Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, 2001 beim Einmarsch und Sturz der Taliban in Afghanistan und zwei Jahre später bei der Aggression wieder im und gegen den Irak. Zum ersten Mal ist diese transatlantische Achse jetzt zerbrochen. Was damit seit 1990 angerichtet wurde, hatte für die Briten Konsequenzen, die sich als bittere Lektion deuten lassen, denkt man nur an die im Irak und in Afghanistan gefallenen Soldaten.

Kontrolle verloren

William Hague hatte zu Wochenbeginn noch nassforsch getönt, man müsse die Erkenntnisse der UN-Waffeninspektoren in Syrien nicht abwarten und brauche im Übrigen kein Mandat der Vereinten Nationen, um loszuschlagen. Man wisse auch so Bescheid und fühle sich zum Handeln getrieben, um Präsident Assad zur Räson zu bringen. Eine Mehrheit im britischen Parlament – es waren 285 zu 272 Stimmen – wollte einem solchen Vorstoß in den rechtsfreien Raum der Willkür und Selbstermächtigung nicht folgen.

Zu verdanken ist dies nicht allein der Labour-Opposition, sondern ebenso Abgeordneten aus dem Regierungslager. Es gab in der fast achtstündigen Debatte einen realistischen, von Anti-Assad-Affekten befreiten Blick auf das Gravitationsfeld des syrischen Bürgerkrieges, wenn Labour-Chef Ed Miliband erklärte: „Ich glaube, es liegt nicht im nationalen Interesse, sich auf eine Seite zu schlagen und ein Iran- und Hisbollah-freundliches Assad-Regime auszutauschen gegen ein anti-westliches, anti-christliches und anti-israelisches Al-Qaida-Regime.“ Großbritannien solle sich nicht in einen solchen Krieg stürzen, denn man habe kein Recht, Fehler zu wiederholen, wie sie zwischen 2003 und 2011 im Irak gemacht wurden. Das Land ist heute einem mörderischen konfessionellen Hader verfallen, an dem es regelrecht verblutet, ohne dass sich der Westen dafür zuständig fühlt wie für so vieles andere in der Welt – und doch einen Teil der Verantwortung trägt.

Kollateralschäden unvermeidbar

Cameron und Hague müssen nun mit einem erheblichen Autoritätsverlust leben, haben sich gegenüber dem Weißen Haus blamiert und müssen sich fragen lassen, wie es um ihr Urteilsvermögen bestellt ist, wenn sie die Kontrolle über ihre Außenpolitik verlieren. Dieser transatlantische Achsenbruch dürfte politische Kollateralschäden nach sich ziehen, die zeigen, wie angeschlagen Cameron aus seiner abenteuerlichen Ambitionen hervorgeht. Angela Merkel wird das vermutlich genau beobachten und höchste Vorsicht walten lassen.

Wird sich Barack Obama jetzt zum Alleingang entschließen? Er würde damit den tollkühnen Handlungswahn seines Vorgängers George W. Bush übertreffen – der sammelte vor dem Angriff auf den Irak immerhin 48 willige Koalitionäre ein und hatte den Kongress gefragt, der ihm dank republikanischer Mehrheit freie Hand ließ.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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