Atomstaat und Atommacht

Iran Unabhängig vom Ausgang sind die Verhandlungen in Lausanne für die Islamische Republik ein Erfolg. Ihre Rückkehr in die internationale Diplomatie scheint unumkehrbar
Schöne Aussicht
Schöne Aussicht

Foto Farbrice Coffrini/AFP/Getty Images

Das Wasser, das man in den Wein gießt, lässt sich nicht wieder herausschütten. Will heißen, was geschehen ist, das ist geschehen. Wer den Iran als Verhandlungspartner akzeptiert, muss sich damit abfinden, wie sich die Islamische Republik dank der Atomverhandlungen politisch emanzipiert. Es ist keine zehn Jahre her, dass dieser Staat von einem US-Präsidenten mit messianischer Besessenheit auf die Achse des Bösen gesetzt und als Schurkenstaat gescholten wurde.

Erst Barack Obama hat diese Stigmatisierung nicht nur als überholt, sondern höchst gefährlich begriffen. Es war davon auszugehen, solange ein konfrontatives Verhältnis zu Teheran besteht, droht eine jähe Eskalation. Daraus kann ein Krieg werden, solange israelische Regierungen durch Benjamin Netanjahu geführt sind, die sich militärisch schadlos halten wollten, dies aber nur können, wenn die Amerikaner mitmachen.

Da die Obama-Administration diese Option verworfen hat, gilt die Devise: keine militärische Lösung des Atomstreits. Was für den Iran theoretisch bedeutet, er muss seine Unterhändler nicht um jeden Preis nach Lausanne, Genf oder Wien schicken. Staat und System werden auch ohne Nuklear-Diplomatie überleben.

Es sei denn, man legt Wert darauf, den zahlreichen Gegnern zu beweisen, im Staaten-Ensemble ein seriöser Partner zu sein – kein Paria, zu dem das Land durch George W. Bush gestempelt wurde. Zudem ist ein Abbau der Sanktionen willkommen und dringend, um Wirtschaft und Prosperität zu versöhnen.

Wenn ein Staat wie Pakistan wegen seiner Kernwaffen als Atommacht respektiert wird, kann der Iran ohne Kernwaffen, aber mit einem Atomprogramm Gleiches erreichen, könnte man sich gedacht haben. Ein Atomstaat ist immer eine Atommacht im Wartestand.

Keine Anlagen schließen

Dies stand vor Lausanne längst fest. Dort mussten die entscheidenden Kompromisse für einem Grundkonsens gefunden werden, der als Vorstufe für ein endgültiges Abkommen Ende Juni taugt. Die sich nun abzeichnenden Agreements sind folgende: Der Iran wird auf mehrere hundert Zentrifugen verzichten müssen. Bereits angereicherte Uran-Vorräte könnten ins Ausland gegeben werden, vermutlich nach Russland.

Doch bewahrt das Land ungeachtet dessen seine Fähigkeit zur Uran-Anreicherung und wird wohl keine seiner Atomanlagen schließen müssen. Weder die Reaktoren in Buschehr oder Arak, noch die Anreicherungsanlagen in Natrans, Isfahan und Ghom oder die Forschungseinrichtungen bei Teheran und Lashkar-Abad.

Das war bereits vor der Runde in Lausanne durchgesickert, als es hieß, dass im Iran weiter nuklear geforscht werden dürfe. Diese Option spricht für den grundsätzlichen Erhalt eines Atomprogramms. Anders formuliert: Die Islamische Republik darf sich als virtuelle Atommacht bestätigt fühlen.

Es hätte schwerlich anders ausgehen können, will man nicht in Konflikt mit dem Kernwaffensperrvertrag von 1968 geraten, zu dessen Unterzeichnerstaaten der Iran gehört. Dort heißt es in Artikel IV: „Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung … die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln.“

Wie bei der Uran-Anreicherung zeichnen sich – seit im Format Iran versus 5+ 1-Staaten (UN-Vetomächte plus Deutschland) verhandelt wird – Zugeständnisse der Regierung von Präsident Hassan Rohani auch bei den Inspektionen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) ab. Doch blieb bis zuletzt offen, ob ein stringentes Kontrollregime für die gesamte Laufzeit des für Juni anvisierten Vertrages gelten soll – zuletzt war eine Lautzeit von zehn Jahren im Gespräch.

Wie groß sind die Zeitintervalle, in denen die Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden? Auch das war bis zuletzt umstritten. Entscheidend für den iranischen Präsident ist jedoch, dass sie aufgehoben werden.

Kriege zuhauf

Es können mit der Atom-Diplomatie Hoffnungszeichen für eine Region gesetzt werden, die mehr denn je von Bürgerkriegen erschüttert wird. Es sind gegenwärtig deren fünf, zieht man die jüngste Eskalation im Jemen in Betracht. Bei Libyen, Irak und Syrien hat der Staatsverfall ein bedenkliches Stadium erreicht. Zwischen Israelis und Palästinensern herrscht kalter Krieg. Die US-Regierung – in der Person von Außenminister Kerry des öfteren als Emissär tätig – scheint es aufgegeben zu haben, den Hochmut der Regierung Netanjahu zu dämpfen.

Auf einer Pressekonferenz, die eigentlich dem Besuch des afghanischen Staatschefs Aschraf Ghan gewidmet war, gab Präsident Obama jüngst zu verstehen, dass er ein Engagement der USA für israelisch-palästinensische Verhandlungen derzeit als zwecklos erachte.

Das sagt alles. Obama wird bis zum Ende seiner Amtszeit Ende 2016 nur noch abwarten. Was Netanjahu als Vorlage deuten wird, nicht nur den Status quo einzufrieren, sondern auch die Landnahme durch seine Siedlungspolitik voranzutreiben. Das den Palästinensern dadurch zugefügte Unrecht kann sich jederzeit wieder gewaltsam entladen.

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