Auch für Putin gibt es„rote Linien“

G8-Gipfel Beim Treffen in Nordirland hält es Barak Obama mit dem Motto, Frieden schaffen mit noch mehr Waffen, besonders wenn es um Syrien geht. Nicht alle stimmen zu
Wladimir Putin folgt auch in Nordirland seinem eigenen Kurs
Wladimir Putin folgt auch in Nordirland seinem eigenen Kurs

Foto Juri Kochetkov / AFP - Getty Images

Es könnte einem Trugschluss erliegen, wer glaubt, Präsident Obama hätte leichtfertig von der "Roten Linie" gesprochen, die in Syrien überschritten sei, sollte es zum Einsatz von Chemie-Waffen kommen. Es heißt, er habe sich damit unnötig unter Zugzwang gesetzt. Tatsächlich? Wie sich zeigt, lässt sich dieser Joker auch ziehen, wenn es innenpolitisch opportun erscheint oder die militärische Lage in Syrien dies nahelegt.

Ob die Truppen Bashar Al-Assads nun zum Giftgas gegriffen haben oder nicht, lässt sich im Moment nicht verifizieren. Doch es gibt neben dieser auch andere rote Linien, die das Regime in den Augen des Weißen Hauses überschreiten kann. Wenn es zum Beispiel die strategische Initiative ergreift und im Großraum Aleppo angreift, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Dann nämlich neigt sich die Waage bei diesem Konflikt definitiv zuungunsten der Gegner Assads. Die Amerikaner müssen dem mehr oder weniger tatenlos zusehen, nachdem sie sich doch so entschieden für das Anti-Assad-Lager exponiert haben. Es käme einem Eingeständnis von Ohnmacht gleich, Assad gewähren und wieder an Statur gewinnen zu lassen.

Keine glückliche Hand

Andererseits kann Obama schwerlich riskieren, in Syrien militärisch hineinzugehen, ohne bei Afghanistan ganz draußen oder so weit draußen zu sein, wie man sich das leisten kann, ohne dass die Taliban gewinnen und die Amerikaner das Gesicht verlieren. Syrien, der Assad-Clan und sein multinationaler Militärkomplex lassen sich sowieso nicht im Handstreich erledigen. Das kann dauern. Wer es durch eine Intervention beschleunigen will, muss Verantwortung für die politische Neuordnung – eben den berühmtem „regime change“ – übernehmen. Weder in Mogadischu 1993/94, noch in Kabul nach 2001 noch in Bagdad nach dem Einmarsch im April 2003 war den Amerikaner dabei eine glückliche Hand beschieden, sobald sie diese "rote Linie" passiert hatten.

Dann lieber zurückhalten, Waffen schicken und darauf vertrauen, dass beim G8-Gipfel niemand allzu laut sagt: Wenn es in Syrien an einem nicht fehlt, dann an Waffen. Warum noch mehr hinein pumpen?

Wenn für Moskau damit trotzdem eine rote Linie übertreten wird, dürfte das ihrem Prinzip geschuldet sein, alles abzuwehren, was zum Vorspiel eines westlichen Eingreifens nach dem Muster Flugverbotszone werden kann. Derartige Manöver würden Moskau allzu schmerzhaft an Libyen und den Fehler der russischen UN-Diplomatie erinnern, sich am 17. März 2011 bei der später durch die NATO missbrauchten Libyen-Resolution 1973 nur enthalten und auf ein Veto verzichtet zu haben.

Auf der Kippe

Um sich beim G8-Gipfel Gehör zu verschaffen, muss Wladimir Putin nicht unbedingt ankündigen, weitere Abwehrraketen an Präsident Assad schicken zu wollen. es reicht die Drohung, die geplante Genfer Syrien-Konferenz zu boykottieren. Wie lange würde es dauern, bis dann auch das syrische Regierungslager absagt? Der nächste Versuch, mehr als nur einen Hauch von Syrien Diplomatie ins Werk zu setzen, wäre gescheitert, bevor er überhaupt begonnen hat.

Die USA hätten ihre Schirmherrschaft in Genf dem Hang zur Parteilichkeit geopfert und müssten möglicherweise mit ansehen, dass der im Westen – so wie Gaddafi und Saddam Husseins – politisch für tot erklärte Assad überlebt. Entfällt Genf, dann gibt es so schnell keinen neuen Anlauf mehr, dann bleiben nur die Gefechtsfelder zwischen Damaskus, Homs, Hama und Aleppo und die Furcht, dass Assad seinen Vormarsch fortsetzt. Verhindern kann das nur eine Intervention, aufhalten kann das – unter Umständen – eine internationale Konferenz. Aber die steht auf der Kippe.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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