Auf Biegen und Brechen

Griechenland Der große Crash für den Großschuldner in der Eurozone scheint erst einmal abgewendet, aber Zahlungsfähigkeit hat nichts mit ökonomischer Erholung zu tun

Um einen Kollaps Griechenlands abzuwenden, wird ein Kollaps Griechenlands riskiert. Nachdem eine keineswegs überwältigende Mehrheit des griechischen Parlaments die Vorgaben von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF abgesegnet hat, ist der mitnichten abgewendet. Eine vorübergehend von außen aufrechterhaltene Solvenz beschert keinerlei wirtschaftliche Potenz. Die mit dem erneuten Spargramm dekretierte Askese des Landes und seiner Bürger kostet Kraft und Gesundung. Es wird dabei bleiben, dass sich die Finanzmärkte weiter abwenden. Das heißt, Griechenland sind auf absehbare Zeit neue Kredite verwehrt – sei es für die Ablösung alter Schulden, sei es für die Haushaltskonsolidierung oder Investitionsprogramme.

Wer nach einem anschaulichen Beispiel sucht, um ökonomische Irrationalität zu definieren, die noch dazu mit der trügerischen Hoffnung korrespondiert, jetzt würden die Gläubiger ihren Beitrag leisten und auf Verzicht oder Stundung ihrer Forderungen eingehen, der sollte zugreifen. Bevor sie einem Schuldenschnitt nähertreten, dürfen die Gläubiger erst einmal die alles überlagernde Erfahrung zur Kenntnis nehmen: Die Rettungspakete für den hoch verschuldeten Staat sind zugleich Rettungspakete für westeuropäische Banken. Es hat wieder vorzüglich funktioniert, den Euro-Staaten neue Kredite und finanzielle Garantien abzuringen, damit die sich im Gegenzug an Griechenland schadlos halten. Und dies ungebremst. Dass jetzt zum ersten Mal seit Ausbruch der Schuldenkrise durch die angedrohte Verweigerung einer Kredittranche der temporäre Bankrott des griechischen Staates in der Luft lag, war als Disziplinierung gedacht und wurde genau so vollzogen. Besonders die deutsche Regierung wollte in dieser Hinsicht nichts schuldig bleiben. Es ist für sie derzeit irrelevant, ob in Griechenland Millionen mit einem sozialen Abstieg bestraft werden, der in der über 50-jährigen Geschichte der Europäischen Gemeinschaft seinesgleichen sucht. Sehr viel wichtiger erscheint offenbar die Demonstration, dass ein solcher Aderlass auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden kann – allem Widerstand und Massenprotest zum Trotz.

Von daher bietet sich Griechenland auch als Experimentierfeld an, um auszuloten, wie weit Macht- und Kraftakte innerhalb der EU durchexerziert werden können, wenn die Alternative auf Gehorsam oder Staatspleite hinausläuft. Kanzlerin Merkels Stabilitätsdogma verordnet Stabilität auf niedrigstem Niveau gegenüber einem Partner, der augenblicklich erpressbarer und ohnmächtiger kaum sein könnte. Griechenland büßt dafür, dass es sich wie allen anderen Mitgliedsländer der Eurozone mit einer Lebenslüge eingerichtet hat und damit jahrelang gut zu leben wusste. Sie bestand in dem Irrglauben – man darf den Euro als Gemeinschaftswährung haben und kann trotzdem jedem Euroland eine eigene Haushalts-, Steuer- und Wirtschaftspolitik zugestehen. Man kann sich eine Währungs- ohne Sozialunion leisten und kommt so nie in die Verlegenheit, eine Transferunion innerhalb der Eurozone einrichten zu müssen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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