Auf dem Sprung

OSZE-Treffen Der Gipfel in Astana könnte eine 56-Staaten-Organisation aus der Nische der Marginalisierten holen. Bisher ist die OSZE ein Schmuddelkind des postpolaren Zeitalters

Der OSZE – damals noch als KSZE unterwegs – war es vorbehalten, vor 20 Jahren mit ihrer "Charta von Paris" und einer Gipfelkonferenz am gleichen Ort den Ost-West-Graben aufzuschütten. An der Seine wurde das Ende des Kalten Krieges ausgerufen. Voreilig, wie sich zeigen sollte. Realitäten zu proklamieren, heißt noch längst nicht, sie auch zu exekutieren. Bald wurde offenbar, die Organisation der 34 Staaten (das KSZE-Gründungsmitglied DDR war inzwischen gestrichen) hatte ihre Schuldigkeit getan. Abdanken musste sie zwar nicht, doch blieb es der OSZE nicht erspart, zum skurrilen Symbol einer Paradoxie des postpolaren Zeitalters zu werden. Je mehr dieser Staatenverbund wuchs, weil bis heute 22 neue Mitglieder ihren Beitritt erklärten, desto mehr schrumpfte sein Einfluss.

Ausgerechnet Institutionen, die sich der Westen im und für den Kalten Krieg geschaffen hatte wie die NATO und die Europäische Gemeinschaft (später Europäische Union/EU) überlebten unangefochten. Nicht nur das, sie gönnten sich mit den Osterweiterungen eine Gewichtszunahme von epochalen Ausmaßen. Die KSZE/OSZE hingegen, die mit ihrem Gründungsgipfel von Helsinki 1975 und der dort besiegelten Schlussakte soviel gegen die Teilung Europas und für kontinentale Kooperation über Systemgrenzen hinweg getan hatte, sah sich in die Nische der Marginalisierten verwiesen.

Wenn elf Jahre vergehen mussten, bis es nach dem OSZE-Gipfel von Istanbul 1999 wieder ein Spitzentreffen der 56 OSZE-Staaten gibt, bezeugt das keinen Aufstieg, eher das Schattendasein einer Organisation, die von den großen europäischen Nationen – mit Ausnahme Russlands – mehr geduldet als gefördert wird. Das Treffen in der kasachischen Kapitale Astana steht im Schatten des Lissabonner NATO-Gipfels vor drei Wochen. Ein Militärpakt hat sich dort globale Kompetenzen und das Recht auf deren – unter Umständen – militärischen Vollzug zuerkannt. Wie sehr müsste da die OSZE gefordert sein, ihrer Nische zu fliehen und sich der Helsinki-Akte zu erinnern, in der von einer Pflicht zur friedlichen Beilegung aller internationalen Streitfälle die Rede war – und das unter den Bedingungen des Ost-West-Gegensatzes und hochgerüsteter Militärblöcke auf beiden Seiten.

Genau genommen wird die OSZE heute nicht weniger gebraucht als zwischen 1975 und 1990. Sie ist unverzichtbar, seit der Krieg wieder als legitime Lösungsvariante vorhandener Konflikte zurückgekehrt ist. Um mehr Legitimation zu gewinnen, müsste die OSZE der NATO in die Parade fahren und deren Kurs zumindest mit Skepsis, wenn nicht Ablehnung quittieren. Das scheint freilich undenkbar, wenn sich in Astana viele der Staatschefs einfinden, die gerade in Lissabon die neue Bündnisstrategie abgesegnet haben. Deren Erfolg gilt als eher verderbliche Ware, besonders in Afghanistan. Gibt es deshalb gerade bei diesem Konflikt für eine reanimierte OSZE Chancen zur Rückkehr ins diplomatische Geschäft, weil viele Mitgliedsstaaten mit Truppen präsent sind und das nicht ewig bleiben wollen? Zweifel sind angebracht, eher wird es in diesem Fall regionalen Assoziationen wie der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit* (SOZ) aufgetragen sein, Garantien für mögliche Nachkriegsordnungen zu übernehmen.

* Mitglieder sind die Volksrepublik China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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