Emmanuel Macron wollte die Gunst der Stunde auskosten. Als während des jüngsten EU-Gipfels die Gewissheit nicht mehr zu erschüttern war, dass Großbritannien definitiv aussteigt, war eine Botschaft fällig. Fortan werde Frankreich einziges Mitgliedsland der EU mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat und eigenem Kernwaffenarsenal sein. Was so klang wie: Seid euch dessen bewusst, was ihr an uns habt. Weht die Welt in den fortan auf Kontinentaleuropa zurückgeworfenen Staatenbund, ist dies besonders Frankreich zu verdanken. Als Atommacht von globaler Statur darf es Machtansprüche geltend machen, wenn sich die Europäische Union neu sortiert. Macron wird sich in seiner Auffassung bestätigt fühlen, dass es einen Neustart braucht, inzwischen mehr denn je. Was zeichnet sich ab?
Ohne das atlantische Großbritannien wird die EU europäischer, womöglich selbstbezogener und regionaler, kaum geopolitischer, wie sich das Kommissionspräsidentin von der Leyen vorstellt. Es dürfte sich eine Neukonfiguration vollziehen, wie sie seit dem Ende des Kalten Krieges ansteht, mit der Osterweiterung näher gerückt ist und durch den Brexit unausweichlich wird. Melden sich die randständigen Briten ab, erlangen die randständigen Newcomer im Osten von Polen über Ungarn bis Rumänien mehr Gewicht. Die Vorwende-Geografie hat endgültig ausgesorgt. Das vereinte Europa schiebt sich nach Osten und das „Reich der Mitte“ an den Rand, sprich: das deutsch-französische Kerneuropa, dessen Symbolik momentan um einiges stärker wirkt als sein politisches Vermögen. Nachdrücklich bestreiten die Regierenden in Warschau, Budapest und Prag beiden Führungsmächten die Diskurshoheit, wird über das Dasein in der EU entschieden, die künftig eine andere sein wird als zu Zeiten der 2004 einsetzenden Ostausdehnung.
Dabei zeichnen sich keine Zweckallianzen etwa zwischen Warschau und Paris ab, um deutsche Dominanz zu deckeln. Man könnte vom traditionell zugewandten Verhältnis beider Staaten zwischen den Weltkriegen zehren, doch stört die PiS-Regierung Paris’ Interesse, Russland nicht länger von Europa fernzuhalten. Was sich in diesen wie vielen anderen Friktionen spiegelt, ist die Restauration einer europäischen Normalität, die Nationalstaaten wieder mehr Wert auf Selbstbestimmung und Souveränität legen lässt, statt auf der multilateralen Klaviatur zu spielen. Mit dem Briten-Exit wird diese Tendenz noch ein wenig unaufhaltsamer, zumal das rechtsnationale, europaskeptische Lager in vielen EU-Staaten keineswegs abgewirtschaftet hat, sondern auf mehr Mitte-rechts-Kompatibilität zu setzen beginnt.
Für Emmanuel Macron selbst erweist sich die ausgestellte europäische Passion kaum als Konjunkturhilfe in eigener Sache. Seine Idee von Europa als Hort der Innovation – mit weniger visionären Einsprengseln wie einem Beharren auf dem für die eigenen Bauern unverzichtbaren Agrarfonds – bleibt ohne innenpolitische Deckung. Wie der Aufruhr gegen die Rentenreform zeigt. Insofern dürfte sein Appell – besinnt euch auf uns – in Berlin wenig beeindrucken. Kanzlerin Merkel hat sich schon, bevor letzte Klarheit über den Brexit bestand, demonstrativ auf dem transatlantischen Laufsteg gezeigt. Sie dürfte wissen, es ist viel gewonnen, wenn die EU als Freihandelszone und Wirtschaftsraum über die Runden kommt. Wie bereits während der Eurokrise ist das europäische Format auf das Machbare angewiesen. Adieu, Politische Union!
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