Auf halber Treppe

Syrien-Diplomatie Plötzlich scheint die Genfer Konferenz wieder möglich, weil ein ernst zu nehmender Versuch gescheitert ist, einen Konflikt von außen militärisch zu entscheiden
UN-Emissär Lakhdar Brahimi mit den Außenministern Kerry (l.) und Lawrow (r.)
UN-Emissär Lakhdar Brahimi mit den Außenministern Kerry (l.) und Lawrow (r.)

Foto: Philippe Desmazes / AFP - Getty Images

Da ist jemand wieder aufgetaucht, der völlig in der Versenkung verschwunden und vergessen schien. Doch wenn die Syrien-Diplomatie wieder ein wenig Fahrt aufnimmt, ist auch der zuständige UN-Sondervermittler Lakhdar Brahimi gefragt und präsent. Der algerische Diplomat saß am Wochenende beim Kerry-Lawrow-Auftritt vor der Presse in Genf recht sinnträchtig zwischen dem amerikanischen und russischen Außenminister. Als sei er ein Scharnier, das verbindet, was kaum zusammengehört, nun aber zusammenkommt. Plötzlich gilt der Sechs-Punkte-Plan zum Umgang mit den syrischen C-Waffen gar als mögliches Vehikel für eine Rückkehr zur Genfer Friedenskonferenz.

Dieses Institut zu reanimieren, das hatten die gleichen Akteure schon im Mai als Einigung präsentiert, um danach schon an der Terminfrage zu scheitern (was Brahimi am wenigsten vorzuwerfen ist). Wann dieser Verhandlungstisch stehen und wer daran sitzen sollte, bleibt ebenso ein Mysterium wie die Frage, was denn besprochen werden soll.

Lässt sich daran im Augenblick etwas ändern? Zweifel sind angebracht. Das Anti-Assad-Lager wird sich sammeln müssen. Alle Statements aus dieser Richtung, bevor Präsident Obama eine Intervention vorläufig absagte, klangen zuversichtlich bis euphorisch: Assads Streitkräfte könnten empfindlich getroffen, ihre Luftüberlegenheit gekappt werden – die Rebellenformationen dadurch der strategischen Defensive der zurückliegenden Monate entkommen. Stattdessen muss sich die bewaffnete Opposition nun eingestehen: Beistand von außen im Sinne eines gewaltsamen Eingreifens vorläufig abschreiben zu müssen. Die jüngsten Eskalation-Szenarien werden sich nicht wiederholen, die „roten Linien“ verschoben oder ganz verschwunden sein. Die US-Regierung wird es sich zehnmal überlegen, ob sie noch einmal Anlauf nimmt, dann aber nicht springt.

Finger vom Knopf

Natürlich kann es sein, dass tatsächlicher oder unterstellter Betrug oder Verzug bei der Deklaration oder Vernichtung der C-Waffen in Syrien erneut Interventionsabsichten der USA und anderer westlicher Staaten weckt. Wo jedes Vertrauen fehlt, spricht immer gleich der Verdacht. Schließlich ist kaum auszuschließen, dass auch Rebellenformationen über Giftgas-Arsenale verfügen – seien sie erobert oder angeschafft. Was wird damit? Wer erfasst die? Und was geschieht, wenn sie als Beweis dafür dienen, die Regierung Assad halte sich nicht an getroffene Absprachen? Alles denkbar, sogar sehr wahrscheinlich. Und doch wäre ein Militärschlag dann international schwerer zu vermitteln und vermutlich noch umstrittener, als dies nach dem Giftgas-Einsatz vom 21. August der Fall war.

Es kommt hinzu: Obama hat nicht nur wegen der russischen und syrischen Offerten den Finger vom Knopf genommen, sondern auch auf die Warnungen und das Risikobewusstsein seiner Militärs reagiert. Sie wussten, was sie tun sollten, aber nicht wollten, weil ein Militärschlag gegen Syrien (für den man immerhin 60 Tage Zeit haben wollte laut der Resolution, die dem US-Kongress zugeleitet wurde) auf eine Kriegsbeteiligung in Syrien hinauslaufen konnte. Für einen Angriff – den Ablauf und die Folgen – dürfte für die US-Armee alles minutiös durchgespielt worden sein – mit dem Ergebnis: Wir lassen es sein. Jetzt zumindest.

Assad gestärkt

Bleibt der syrische Bürgerkrieg damit mehr denn je sich selbst überlassen? Schon wegen der Verstrickung vieler Staaten im Nahen Osten und der religiösen Färbung dieser Konfrontation wäre das zu verneinen. Es hat sich allerdings einmal mehr herausgestellt, wie verwegen und verstiegen es ist, einen solchen Konflikt von außen militärisch entscheiden oder vorentscheiden zu wollen.

Die Amerikaner haben sich darum verdient gemacht, dass diese Vermutung zur Gewissheit wurde und die Regierung in Damaskus davon profitiert. Der wird es gewiss verwehrt sein, wieder das ganze Land zu kontrollieren und Verhältnisse zu restaurieren, wie sie vor dem März 2011 bestanden, als die Unruhen ausbrachen. Doch hat die Obama-Regierung Präsident Assad einen Legitimationsschub verschafft, an den noch vor Wochen nicht zu denken war. Sie kann ihn schlecht weiter wie einen Paria behandeln, wenn sie ihn in der C-Waffen-Frage – indirekt zumindest – als Partner betrachtet.

Keine schlechten Konditionen, um sich auf einen Genfer Dialog und eine Genfer Lösung einzulassen. Nur wer würde dabei den Gesandten Assads gegenüber sitzen? Diese Frage können momentan weder John Kerry noch Sergej Lawrow beantworten. Auch Lakhdar Brahimi müsste passen. Bisher glaubte die Opposition, eine Friedenskonferenz wegen ihrer Stärke und vielen externen Verbündeten boykottieren zu können. Nun könnte sie dasselbe wegen ihrer Schwäche tun.

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