Auf Kosten der anderen

Großbritannien/EU Mit der Drohung eines EU-Austritts lässt sich in London politisch immer noch mehr anfangen als mit einem Austritt, egal wie viele Abstimmungen David Cameron verliert

David Cameron wird darauf achten müssen, nicht als letzter unverbesserlicher Europäer in London übrig zu bleiben. Gestern haben ihm Dissidenten aus den eigenen konservativen Reihen eine Abstimmungsniederlage verschafft und einen peinlichen Schulterschluss mit der Labour-Opposition zugemutet. Die politische Symbolkraft des Vorgangs sollte nicht unterschätzt werden. Es ist ab sofort zweitrangig, ob dieser Premier beim EU-Gipfel nun diesen oder jenen EU-Haushalt ablehnt oder abnickt, ob es ein wenigstens um die Inflationsrate wachsendes EU-Budget gibt oder nicht. Es geht jetzt nur noch darum, Kante zu zeigen und jeden europäischen Konsens gegebenenfalls zum Schadensfall für die britische Identität zu erklären.

Cameron wird dazu in Brüssel beim nächsten Treffen der Regierungschef am 22./23. November nicht weiter aus der Rolle fallen und sich zu rhetorischen Kraftakten aufraffen müssen – es reicht der Hinweis, dass die Stimmung auf der Insel irgendwann dazu zwingen könnte, ein Referendum abzuhalten, bei dem es um alles oder nichts geht, falls nach einem möglichen Ausscheren aus dem europäischen Integrationsverbund gefragt werde.

Vergessen die Zeit, da Großbritannien mit Samthandschuhen angefasst wurde, um sich seiner Nähe zur Staatengemeinschaft in Europa nicht schämen zu müssen. Premierministerin Margret Thatcher wurden 1984 beim Gipfel von Dublin Sonderkonditionen für den britischen Beitrag zum EU-Haushalt zugestanden. Die Rede ist vom so genannten Briten-Rabatt. Da das Vereinigte Königreich wegen seines begrenzten Agrarsektors kaum etwas mit den Agrarsubventionen der damaligen EG zu tun hatte und Nettozahler des Haushalts war – also mehr einzahlte, als EU-Mittel zurückflossen – wurde diesem schwierigen Mitglied ein Rabatt von 66 Prozent des Nettobeitrags eingeräumt. Und das für einen unbegrenzten Zeitraum, was nicht eben viel Verhandlungsgeschick und Voraussicht bewies.

Von der EU geschröpft

Die Einsparungen des derart Privilegierten erreichten 2001 ihren bis dahin höchsten Wert mit 7,3 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass sich danach besonders Frankreich dafür stark machte, diesen Bonus zu kürzen. Angela Merkel hat eine solche Zäsur bei ihrem ersten EU-Gipfel als Bundeskanzlerin Ende 2005 vermittelt. Aber auch sie konnte dem damaligen britischen Regierungschef Tony Blair nur mühsam die Konzession abringen, bis Ende 2013 – also über acht Jahr gestreckt – auf etwa 10,5 Milliarden Euro zu verzichten. Keine Regierung in London konnte sich je beklagen, von der EU geschröpft zu werden. Vielmehr wurden mit dem üblichen Europa-Bashing gern Kampfarenen bespielt, in denen sich das Publikum unterhalten ließ, ohne zu wissen, was da aufgeführt wurde. David Cameron zum Beispiel inszeniert immer wieder gern die Fortsetzungsgeschichte: Wir Konservative lassen für unser Unvermögen beim Krisenmanagement im eigenen Land die EU büßen und das gern und oft.

Deshalb wird in Wirklichkeit nicht ernsthaft erwogen, das EU-Mandat zurückzugeben – dies ist nicht etwa paradox, sondern logisch. Solange man über die Mitgliedschaft verfügt, lässt sich mit der Austrittsdrohung viel besser Politik machen als mit einem Austritt.

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