Auferstanden aus Ruinen

OSZE Das Hamburger Treffen war kein Liebesfest. Die Renaissance der 57-Staaten-Gemeinschaft schreitet trotzdem voran
Ausgabe 50/2016
Die OSZE fristete bis dato ein Schattendasein
Die OSZE fristete bis dato ein Schattendasein

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images

Es ist nicht viel übrig geblieben vom einstigen Tafelsilber der westlichen Russland-Diplomatie. Aus den G8 wurden die G7, der NATO-Russland-Rat erfährt notdürftige Reanimation auf Botschafter-Ebene. Es gibt seit drei Jahren keine deutsch-russischen Regierungskonsultationen mehr, desgleichen keinen EU-Russland-Gipfel; der Petersburger Dialog, ein Gremium der sonst so geherzten Zivilgesellschaft, wird von der Regierung Merkel wie eine fünfte Kolonne aus lauter Russland-Verstehern beäugt.

Was sonst noch an Kanälen nach Osten zu gebrauchen ist, wirkt nicht eben üppig. Die Beziehungsbrachen wieder zu kultivieren, heißt plötzlich auch, sich eines vermeintlichen Fossils aus der Zeit des Ost-West-Konflikts zu erinnern. Ausgerechnet die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) soll dafür sorgen, dass aus west-östlichen Zerwürfnissen keine europäischen Zerreißproben werden. Hat ein solches Ansinnen Aussicht auf Erfolg?

Alle oder gar nichts

Das Treffen der 57 OSZE-Außenminister in Hamburg jedenfalls scheint kein Liebesfest gewesen zu sein. Es blieb ohne greifbares Ergebnis, Abschlusserklärungen mussten entbehrt werden, für die Staaten-Assoziation gilt das Konsensprinzip – alle oder gar nichts. Liechtenstein und Zypern müssen ebenso gehört werden wie die USA oder die Mongolei als außereuropäische Mitgliedschaft. Dennoch war unschwer zu erkennen, die Wiederentdeckung der OSZE im Westen nimmt weiter Fahrt auf, seit Konflikte wie der zwischen Russland und der Ukraine dazu neigen, nur schwer oder gar nicht mehr beherrschbar zu sein. Freilich sollte nicht übersehen werden, dass Sympathieschübe für die OSZE, wie sie 2016 die deutsche Präsidentschaft prägten, eines brauchen, um geglaubt zu werden: ein schlechtes Gedächtnis, dem weitgehend entglitten ist, welcher Ignoranz dieses multilaterale Forum nach 1990 ausgesetzt war.

Die OSZE galt als Nachlassverwalter des Kalten Krieges und fristete ein Schattendasein. Als Anfang August 2000 in Wien am Sitz des OSZE-Generalsekretariats der 25. Jahrestag der KSZE-Schlussakte begangen wurde, reisten aus Berlin, Paris, Madrid, London oder Rom weder Regierungschefs noch Außenminister an. Die dürftige Zeremonie stand in einem drastischen Kontrast zum Pomp, mit dem ein Jahr zuvor in Washington das 50-jährige Jubiläum der NATO begangen und mit einer neuen Doktrin gesalbt wurde, die einen globalen Interventionsanspruch reklamierte. Logisch, dass da die OSZE mit ihrem sicherheitspolitischen Egalitarismus der Marginalisierung verfiel. Zumal Russland angesichts einer massiven Osterweiterung der NATO in der OSZE eine europäische Heimstatt sah, um weder ausgegrenzt noch dominiert zu werden. Regierungen wie die von Boris Jelzin, später Putin und Medwedew, handelten mit ihren OSZE-Affinitäten ganz im Sinne des im Westen so geschätzten Michail Gorbatschow, der in den späten 80ern bei seiner Vision vom „Gemeinsamen Europäischen Haus“ die OSZE (damals noch KSZE) als Dach desselben sah. Es sollte ein kollektives Sicherheitssystem beschirmen, das allen Staaten Europas das gleiche Recht auf gleiche Sicherheit zuerkannte.

Wie sehr ein solches Ideal durch eine um ganz Mittelosteuropa aufgestockte NATO negiert wurde, lag auf der Hand. Blöcke und Militärkoalitionen können keine Sicherheit garantieren, sondern portionieren lediglich, was davon für wen verfügbar ist – und was nicht. Überdies sollen – wenn sich Allianzen wie die NATO ausbreiten – Kräfteverhältnisse verschoben werden, und das gezielt. In diesem Fall zuungunsten Russlands, das sich in seiner Not auf die OSZE berief, fast schon klammerte wie heute der deutsche Außenminister.

Chance vertan

Und Frank-Walter Steinmeier hat Recht. Nur mit der OSZE kann ein Kehraus diplomatischer Optionen vermieden werden. Wenn über konventionelle Rüstungskontrolle oder gar Abrüstung jemals wieder verhandelt werden soll, kommt dafür allein die OSZE in Betracht. Wer sonst als deren Beobachter werden in Donezk, Kiew und Moskau akzeptiert, um die Waffenruhe im Donbass zu überwachen, so fragil die auch sein mag?

Nach der Zeitwende von 1989/90 bestand die Jahrhundertchance, eine stabile Sicherheitsordnung in und für Europa zu schaffen. Den Weg wies die „Charta von Paris“ des im November 1990 an der Seine abgehaltenen KSZE-Gipfels. Das Dokument wird weiterhin gern zitiert, allerdings nur dem Namen, nicht dem Inhalt nach. Vor 26 Jahren wurde eben nicht nur das vermeintliche Ende der Blöcke, sondern ein Europa der Demokratie, des Wohlstands, der sozialen Gerechtigkeit und gleichen Sicherheit beschworen. Keine zwei Jahre später begann der Bürgerkrieg in Jugoslawien, wurden erstmals seit 1945 Grenzen wieder gewaltsam verändert. Eine der bittersten Stunden für die OSZE brach an, als im März 1999 ihre Beobachter aus der Konfliktregion Kosovo abgezogen wurden, weil ein Krieg nicht mehr vermeidbar sein und die NATO mit Luftangriffen auf Serbien davon profitieren sollte. Die fatalen Konsequenzen halfen der OSZE, sich zu behaupten.

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