Aus den Stiefeln steigen

Diplomatie Weil Russland Verantwortung übernimmt, können sich die USA verantwortungsvoll verhalten und einen Angriff auf Syrien zunächst einmal absagen
Ausgabe 37/2013
Krieg ist weder im Nahen Osten noch irgendwo sonst eine Lösung. Die syrische Stadt Homs ist ohnehin bereits vom Bürgerkrieg angegriffen
Krieg ist weder im Nahen Osten noch irgendwo sonst eine Lösung. Die syrische Stadt Homs ist ohnehin bereits vom Bürgerkrieg angegriffen

Foto: Shaam News Network/ AFP/ Getty Images

So hat es das seit 1945 nicht gegeben: Die USA treten nach einem militärischen Aufmarsch großen Stils zunächst den Rückzug an. Eine konzertierte diplomatische Aktion Russlands und Syriens greift einem Krieg in den schon gedrehten Strick. Da Baschar al-Assad seine Chemiewaffen aufgeben will, kann Barack Obama sich selbst entkommen, aus den Stiefeln steigen und der Welt einen Waffengang ersparen, der brachial über die Ufer zu treten und eine Region zu überfluten drohte. Krieg ist weder im Nahen Osten noch irgendwo sonst eine Lösung. Leider doch, weil auch verbrannte Erde einen amerikanischen Prestigeverlust verhindern hilft, wenn es sein muss.

Dies beschreibt die Herausforderung, der sich das Petersburger G20-Treffen nicht entziehen durfte und – allem medialen Lamento über die „Ohnmacht der Mächtigen“ zum Trotz – nicht entzogen hat. Schwer zu sagen, ob der Verzicht Syriens auf seine Arsenale schon an der Newa ins Gespräch kam, um Obama aus der Angriffsfalle zu holen, in der er saß, ohne sich selbst befreien zu können. Das vermochte allein Wladimir Putin. Als G20-Gastgeber konfrontierte er den US-Präsidenten mit dem G20-Patt: Zehn Staaten verwarfen einen Angriff auf Syrien als hochmütiges Abenteuer, darunter Russlands BRICS-Partner Brasilien, Indien, China und Südafrika, sekundiert von Mexiko und Indonesien, UN-Generalsekretär Ban und Papst Franziskus. Putins Gipfelregie vermied nach außen hin, was nach Druck auf die Amerikaner aussah und den Ausweg blockieren konnte. Eine reife diplomatische Leistung, die es verdient hätte, im Westen gewürdigt zu werden. Was natürlich unterbleibt, weil Russland als weltpolitischer Akteur suspekt ist, solange es seine Interessen nicht verrät, sondern vertritt. Besonders in Deutschland wird das gern als Anmaßung einer Möchtegern-Großmacht denunziert. Und übersehen, dass die Russische Föderation im Unterschied zu Deutschland tatsächlich eine Großmacht ist und dafür mit seiner Syrien-Politik gerade einen überzeugenden Beweis abgeliefert hat. Er fiel unendlich überzeugender aus als das Lavieren der deutschen Kanzlerin, die nicht wusste, wohin sie wollte. Angela Merkel war als Geisterfahrerin unterwegs – allein den 22. September fest im Blick.

Insofern ist die kolportierte Floskel von Moskaus Rückkehr in die Weltpolitik falscher Optik geschuldet. Dort war Russland stets präsent, nur zu selten gefragt. Wie lange schon hält Außenminister Lawrow daran fest, dass jede politische Alternative zum syrischen Bürgerkrieg nicht gegen, sondern nur mit der Regierung in Damaskus denkbar ist? Deren Legitimität dürfe daher nicht in Frage gestellt werden. Wie recht er hat. Wen nimmt Obama denn in die Pflicht, wenn er den Chemiewaffen-Verzicht eine Chance nennt? Boykottierte Phantome oder handelnde Politiker? Die Russland häufig als Pakt mit dem Teufel angekreideten Beziehungen zu Syrien haben seiner Diplomatie den Einfluss verschafft, der Assad zu einem Entschluss nötigte, dessen Tragweite über den Bürgerkrieg hinausgeht. Die Depots mit chemischen Kampfstoffen galten bisher als strategisches Äquivalent zu den Atomwaffen Israels. Wer das als Indiz für eine perverse Militärphilosophie begreift, sollte bedenken, dass sich beide Staaten seit 46 Jahren in einem ruhenden Kriegszustand befinden und Israel genauso lange syrisches Gebiet nicht nur besetzt, sondern zwischenzeitlich annektiert hat.

Soll sich die US-Regierung ruhig zugutehalten, es sei ihre Drohkulisse gewesen, die Assad zum Einlenken zwang. Also dürfe man davon vorerst nichts aufgeben. Das relativiert den Gesichtsverlust einer Administration, deren Wille zur Intervention einer imperialen Verstiegenheit entlehnt ist, die man seit George W. Bush erledigt glaubte. Mancher wird sich erinnern, wie oft US-Regierungen Kompromissangebote als Täuschungsmanöver geächteter Regime abwiesen und dabei blieben, die Lektion müsse erteilt, der Krieg geführt werden. Dazu berechtigten Amerikas Macht und Moral. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrates nehme man gern, brauche es aber nicht. Vor gut einem Jahrzehnt wurde dem irakischen Diktator Saddam Hussein unterstellt, über Waffen zu verfügen, die er nicht besaß. Er hätte zur Verschrottung anbieten können, was er wollte, geholfen hätte es ihm nichts.

Es gab seither manchen Abgesang auf das Zeitalter der Interventionen. Der Fall Syrien ermutigt zu der Annahme, es könnte damit wirklich vorbei sein. Warum? Wegen der Boden- und Besatzungskriege in Afghanistan und im Irak? Sicher hat das britische Unterhaus besonders deshalb Premier Cameron ausgebremst. Aber auch in Washington wollten Kongressabgeordnete und Senatoren nicht in neue Kriege ziehen, weil ihnen die alten noch schwer auf der Seele liegen. Vielleicht haben viele zugleich geahnt, dass die USA dem längst nicht mehr gewachsen sind, was sie von sich selbst erwarten und anderen zumuten.

Die Weltmacht hat an globaler Führungskraft verloren und das dramatisch, wenn ihr die meisten Alliierten nur halbherzig oder gar nicht folgen. Es fiel auf, dass die Obama-Regierung in der Syrien-Krise überfordert wirkte, widersprüchlich agierte und oft nicht einmal Herr ihrer Worte zu sein schien. Inwieweit würde sie es bei ihren Taten sein, musste man sich fragen, sollte die „rote Linie“ überschritten sein.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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