Aus und vorbei

Rauswurf General McChrystal ist seinen Afghanistan-Job los, aber Barack Obama noch lange nicht einen Krieg, den er als Friedensnobelpreisträger doch längst beenden müsste

Der Präsident stößt seinen erste Afghanistan-Soldaten von der Fahne, weil der ihn brüskiert und beleidigt hat. Barack Obama hätte bei Stanley McChrystal auch aus einem anderen Grund die Reißleine ziehen können. Der General blieb ihm bislang den prophezeiten Erfolg seiner neuen Strategie schuldig. Nach dessen „Richtlinien zur Aufstandsbekämpfung“ vom August 2009 sollten Operationen der US- und sonstigen NATO-Formationen fortan dazu dienen, die afghanische Bevölkerung zu schützen und deren Vertrauen wiederzugewinnen. Abgesehen von der Frage, weshalb das neun Jahre offenbar missachtet und als drittrangig empfunden wurde, sollte dieses Versprechen eine noch-, aber auch letztmalige Truppenaufstockung um 30.000 US-Soldaten rechtfertigen. Die Devise – 2010 den Krieg richtig hochfahren, ab Juli 2011 abziehen. So das Kalkül, dem sich Barack Obama mit seiner West-Point-Rede am 1. Dezember 2009 verschrieb. Stanley McChrystal sollte den Beweis liefern, sich nicht geirrt zu haben – spätestens bis zu den Kongressteilwahlen im Herbst 2010, besser früher.

Nur lassen sich auch mit einer amerikafreundlichsten Bevölkerung kaum die Teile Afghanistans – es sollen etwa 50 Prozent des Territoriums sein – zurückerobern, die derzeit von Aufständischen ganz oder teilweise beherrscht werden. Da müssen Besatzungsarmeen ihre Besatzungsmacht ausspielen oder es sein lassen. Der bisherige Oberkommandierende suchte offenbar den Mittelweg. Die für Juli gedachte Offensive in der Südprovinz Kandahar wurde mehrfach verschoben, fast abgesagt und dann doch wieder angekündigt, weil die Regierung Karzai Zeit brauchte, sich damit zu arrangieren. Andere Vorstöße wie die Mission Moshtarak in der Südprovinz Helmand sorgten im Februar für die gleichen Kollateralschäden – sprich: zivilen Opfer –, die in der Vergangenheit wenig dazu angetan waren, die Aufständischen um den Rückhalt bei ihren Landsleuten zu bringen. Bei McChrystals kriegerischer Sympathiepflege ließ sich eben stets nur das eine Ziel auf Kosten des anderen erreichen – er konnte die Zivilbevölkerung schützen oder sie Luftangriffen aussetzen, er konnte die logistischen, technologischen und strategischen Vorteile seiner Streitmacht ausspielen oder darauf verzichten. Man kann nicht Krieg am Krieg vorbei führen. Und dann auch noch mit der Erfahrung leben, dass die Feinde eigentlich gar keine Feind mehr sind. Die Taliban oder andere Widerständler firmieren längst nicht mehr als Inkarnation des Bösen. Aus Feinden werden Gegner, und aus Gegnern irgendwann Partner?

Zuweilen entsteht seit geraumer Zeit der Eindruck, die Taliban könnten sich auf Sänften in Kabuler Ministerien tragen lassen, wenn sie nur wollten. Sie müssen dazu nur aufgeben, was sie bisher befähigt hat, die Amerikaner und ihre Verbündeten an den Rand einer Niederlage zu bringen: Flexible Guerilla-Feldzüge, die sie in dem Glauben bestärken, einen göttlichen Willen zu erfüllen, und mehr als 100.000 ISAF-Soldaten einen Abnutzungskrieg aufzwingen, bei dem sie irgendwann triumphieren werden. Es wäre Sache der Politik, dies abzukürzen. Denn die Ziele dieses Krieges sind längst von seiner Realität ad absurdum geführt. Nur scheut sich der US-Präsident Entscheidungen zu treffen, die auf dieser Höhe dieser Entwicklung sind. Sie werden um so unausweichlicher, vor allem aber schmerzlicher, je länger sie aufgeschoben werden. Obama zögert, weil er nicht – wie einst die Präsidenten Nixon und Ford in Vietnam – einen Krieg verlieren will, den er nicht begonnen hat. Dass sich unter diesen Umständen Militärs wie Stanley McChrystal als nützliche Idioten empfinden und zu Zynikern werden, erscheint nachvollziehbar. Sie spüren, der Oberste Kriegsherr hält sie auf einem Schlachtfeld hin, das er selbst als Friedensnobelpreisträger verabscheuen muss.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden