Außenpolitik als Wagnis

G7 Das Gipfel-Ereignis des Jahres 2019 ist Macrons „Sarif-Coup“. Trump konnte aufnehmen, was der französische Präsident vorgelegt hatte
Ausgabe 35/2019
Die Maschine des iranischen Außenministers Mohammad Javad Zarif im französischen Seebad Biarritz, wo der G7-Gipfel stattfand
Die Maschine des iranischen Außenministers Mohammad Javad Zarif im französischen Seebad Biarritz, wo der G7-Gipfel stattfand

Foto: Georges Gobet/AFP/Getty Images

Frankreichs Präsident hat Diplomatie mit Tatkraft und Risikofreude übersetzt, auf gedrechseltes, verklausuliertes Reden, nach allen Seiten ausbalancierte Vorsicht verzichtet – und einfach Tatsachen geschaffen. Außenpolitik als Wagnis. Dazu hat ihn die deutsche Regierung garantiert nicht inspiriert. Die Begegnungen, zunächst mit Präsident Putin, vor allem mit dem iranischen Außenminister Sarif, verschafften dem G7-Meeting von Biarritz ein Rahmenprogramm, das aufhorchen ließ. Im Vergleich zu den Vorgängertreffen 2017 in Taormina (Italien) und 2018 in La Malbaie (Kanada) wirkte es geradezu schrill.

Unterstellt man dem Gastgeber, dass er nicht auf den Effekt bedacht war, sondern eine Botschaft aussenden wollte, wäre die so in Worte zu fassen: Der Iran ist kein Pariastaat, über den nur geredet wird. Er hat als souveränes Land ein Recht darauf, dass mit seinen führenden Politikern geredet wird. Wenigstens am Rande eines G7-Gipfels muss das möglich sein. Ist eine solche Veranstaltung nicht dafür prädestiniert?

Dass die deutsche Kanzlerin in Macrons diplomatischen Coup nicht eingeweiht war, wird dem angegriffenen Zustand der deutsch-französischen Beziehungen vollauf gerecht. Angela Merkel hat es sich verdient, von forscher Kühnheit verschont zu werden. Womöglich schätzt sie das sogar. Durch eine konzertierte Aktion mit Macron beim heiklen Thema Iran Farbe zu bekennen, dürfte ihr Begehren nicht sein.

Gebetsmühlenartig wird in Berlin seit Monaten wiederholt, Deutschland halte wie die beiden anderen EU-Unterzeichner (Frankreich, Großbritannien) am Atomvertrag fest. Doch damit steht oder fällt so gut wie gar nichts. Macron hingegen hat Sarif ein Junktim angeboten: Haltet ihr euch wieder an alle Auflagen des Abkommens, werden wir dem Iran Ölausfuhren ermöglichen, die ein besseres wirtschaftliches Auskommen sichern. Insofern war die Einladung von Mohammed Sarif eine situationsgerechte Entscheidung. Emmanuel Macron konnte aus zwei Gründen davon ausgehen, dass sein amerikanischer Gast den Gipfel deshalb nicht sprengen und empört abreisen würde.

Zunächst einmal ist unverkennbar, dass sich das Weiße Haus mit seiner Iran-Politik verrechnet hat. Weder tritt Teheran den Rückzug aus den Interessensphären Syrien, Irak und Libanon an, noch führt ökonomische Not im Iran zu Unruhe und Aufruhr. Einen Ausstieg aus bedingungsloser Konfrontation zu finden, erscheint für Trump daher wünschenswert. Auch wird ein Militärschlag unwahrscheinlicher, je näher das US-Wahljahr 2020 rückt. Schließlich dürfte Macron erkannt haben, dass der US-Präsident – sicher, ohne sich dessen bewusst zu sein – dem Credo Niccolò Machiavellis folgt: Halte deine Feinde näher bei dir als deine Freunde, s. Kim Yong-un. Prompt hörte man von Trump in Biarritz, es sei noch zu früh gewesen, mit Sarif direkt zu sprechen, was zum Gipfelabschluss überraschend in die Offerte überging, einen Termin mit dem iranischen Präsidenten Rohani in nächster Zeit könne er nicht ausschließen. Möglich war dies nur, weil Trump aufnehmen konnte, was Macron vorgelegt hatte.

Bleibt abzuwarten, wie Angela Merkel reagiert (sollte sie dann noch im Amt sein), wenn Gastgeber Trump beim nächsten G7-Gipfel, den es 2020 in den USA geben soll, am voraussichtlichen Gipfelort Miami den Überraschungsgast Wladimir Putin präsentiert. Sie bleibt sich hoffentlich treu und hat nicht viel zu sagen, wenn sie redet.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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