Balsam für Ewiggestrige

KOMMENTAR Powerplay vor Portadown

Wird das Putschfieber der Oranier seit zwei Jahren von der Gewissheit hoch getrieben, dass trotz einer gewalttätigen Marschsaison der Friedensprozess danach eher weniger angreifbar ist als zuvor? Dass sich das 1998 geschlossene Karfreitagsabkommen bewährt hat? Wollen die Logenbrüder in ihrer Isolation auskosten, dass eine Mehrheit der protestantischen Bevölkerung nichts mehr fürchtet als die Rückkehr zu einem latenten Bürgerkrieg, wie er bis Mitte der neunziger Jahre für Angst und Schrecken sorgte?

Die Aufmärsche der loyalistischen Orden haben viel von der martialischen Würde eingebüßt, mit der sich Geschichtspathos einst so trefflich polstern ließ. Sie erscheinen heute wie ein würdeloses Fraternisieren mit dem Mob, wie ein berauschender Balsam für Ewiggestrige, die nicht davon lassen können, die ewige Kraftprobe mit den Katholiken zu suchen, vor allem jedoch mit den vermeintlichen Verrätern in den eigenen, unionistischen Reihen. Zuvörderst mit dem verhassten "Kollaborateur" David Trimble, der sich zum Teufelspakt mit der Sinn Fein Partei des Gerry Adams hinreißen ließ, nur um Vorsteher einer Provinzregierung zu werden, wie sich Pfarrer Paisley pharisäerhaft empört.

Doch das stupide Ritual, verbissen die von katholischen Bewohnern gesäumte Garvaghy Road von Portadown zu belagern, zeugt auch von Ohnmacht und Fassungslosigkeit. Die loyalistischen Hardliner wollen noch immer nicht wahrhaben, dass es kein selbstverständliches Bürgerrecht zum Marsch durch ein katholisches Viertel mehr gibt. Sie ignorieren, was angesichts der britischen Soldaten, die ihnen den Weg versperren, buchstäblich mit beiden Händen zu greifen ist: Britanniens Patronat für einen einseitigen Machtanspruch ist längst zur überparteilichen Mentorenschaft für eine Machtteilung mutiert. Tony Blair und Nordirlandminister Peter Mandelson versagen den unionistischen Bannern die höheren Weihen. Die Ultraradikalen stehen aus verlorenem Posten, wenn sie wieder und wieder gegen eine intakte Mauer der Ablehnung anrennen, als deren Fundament die aus Protestanten und Katholiken bestehende Regionalexekutive gelten darf. Je mehr sich diese Koalition der Vernunft als segensreiche Einrichtung für ein von mörderischem Zwist erschöpftes Land erweist, desto aussichtsloser das Unterfangen, alle Jahre wieder vor Portadown den alles zerstörenden Crash provozieren zu wollen. Seit die IRA über ihren Schatten gesprungen ist und Inspektionen ihrer Arsenale erlaubt, was irgendwann auch zu einer Waffenabgabe führen wird, scheint der Ausbruch aus dem nordirischen Teufelskreis so wahrscheinlich wie nie. Ein Zurück aus der Zukunft wäre ein Irrwitz sondergleichen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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