Bankrott in Eigenregie

Griechenland Bevor der letzte Rest an Souveränität gekappt wird, sollte das Land in eine selbstverwaltete Insolvenz gehen und dem Stigma des fremdbestimmten Protektorats entkommen

Wie Leichenbeschauer beugen sich Unterhändler aus der Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) über Griechenland. Es scheint wie der Torso eines Landes, das dennoch beansprucht, ein souveräner Staat zu sein. Der Troika sekundieren die deutsche Kanzlerin und der Präsident Frankreichs, die ihrem griechischen Partner Loukas Papadimos die Große Kapitulation oder den Großen Knall nahelegen: auf Finanzhoheit verzichten oder dem Bankrott verfallen.

Der Regierung in Athen soll nicht nur der Rauswurf von weiteren 15.000 Staatsbediensteten und damit ein erneuter sozialer Aderlass oktroyiert werden. Ihr soll auch der Zugriff auf Staatseinnahmen verwehrt sein, die künftig einem Sonderkonto gutgeschrieben und allein zum Schuldenabbau genutzt werden. Da ist er wieder – Angela Merkels Sparkommissar, mit dem die Kanzlerin beim jüngsten EU-Gipfel noch durchfiel. Nun also als externer Zwang für eine Exekutive, die so gut wie nichts mehr zu exekutieren hat.

Wenn ein Land mit seiner Entscheidungsfreiheit langsam auch das ökonomische Existenzminimum verliert, ist da eine geordnete Staatsinsolvenz nicht das kleinere Übel? Warum nicht Verfahren in Betracht ziehen, wie sie ansonsten bei Unternehmensinsolvenzen üblich sind? Heute spricht viel dafür, dass vom griechischen Staat für ein Jahrzehnt oder länger nicht mehr bleibt als ein von außen gelenktes, alimentiertes EU-Protektorat. Gerade deshalb könnte eine geordnete Insolvenz zum Souveränitätsanker werden.

Genau genommen ist ein solches Verfahren bereits im Gange, denkt man an die Preisgabe von staatlichen Besitzständen und Vermögenswerten. Wird Griechenland durch die Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds und einen Schuldenschnitt seiner Gläubiger gestützt, sind Gegenleistungen fällig: etwa die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen und von öffentlicher Infrastruktur. Hier wird Konkursmasse ausgeschlachtet, um Gläubiger­interessen zu bedienen – egal, ob dabei Ressourcen abhanden kommen, die für eine öffentliche Daseinsvorsorge und für staatliche Einnahmen unverzichtbar sind.

Damit solcher Ausverkauf nicht zur Auszehrung gerät, ließe sich auf eine Praxis zurückgreifen, wie sie eine in Deutschland seit gut zehn Jahren geltende Insolvenzordnung anbietet. Sie umfasst unter anderem das „Schutzschirmverfahren“. Danach dürfen sich insolvente Unternehmen selbst verwalten. Das bedeutet, statt des „Insolvenzverwalters“ bestellt das zuständige Insolvenzgericht einen „Sachwalter“, der ein fortgesetzt tätiges Management berät und überwacht. Auf eine griechische Staatsinsolvenz übertragen hieße das, die Regierung in Athen wäre autorisiert, allein mit ihren Gläubigern zu verhandeln. Sie hätte sich mit „einem unabhängigen Sachwalter“ abzustimmen, der das Insolvenzverfahren nicht führt, sondern begleitet, und in Griechenland vermutlich anders wahrgenommen würde als die Troika aus EU, IWF und EZB.

Nicht zu spät kommen

Warum sollte ein Staat seinen Bankrott nicht auf diese Weise selbst managen? Er ist dafür prädestiniert, er weiß am besten, wo seine Schmerzgrenze oder sein Existenzminimum liegt. Autobahnen und Hafenanlagen mag man privatisieren, nicht aber das Gesundheitswesen, die Armee und Polizei oder Griechenlands Kulturdenkmäler und die Ägäis-Inseln. Schließlich verfügt der insolvente Staat selbst über die größte Kompetenz, wenn es gilt, einen Insolvenzplan aufzustellen, der entscheidet, wann und wie Gläubigerforderungen bedacht werden. Natürlich gilt nicht das Prinzip: Alles für den Schuldner, der Gläubiger soll sehen, wo er bleibt. Sondern es gilt, alles zu tun, damit der Großschuldner Staat überlebt, weil er überleben muss. Wer wollte Griechenland ersetzen? Etwa die Europäische Union, indem sie sich an ihrer Peripherie eine subventionierte Filiale wie einen kolonialen Außenposten hält, den sie sich nicht leisten kann, geschweige denn will? Sicher wird mit einer geordneten Staatsinsolvenz Neuland betreten, das rechtlicher Kodifizierung bedarf. Doch könnte es – angesichts der desolaten Finanzlage mancher Mitgliedstaaten – ohnehin für die EU unerlässlich werden, eine eigene Insolvenz­ordnung zu begründen. Sie würde ausnahmsweise einmal schneller sein als das reale Wirtschaftsleben, das bekanntlich den bestraft, der zu spät kommt.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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