Hertha BSC führt 1:0 gegen die Linkspartei

Meinung Der Berliner Traditionsklub wendet sich gegen das Establishment und wählt einen Fan zum Präsidenten. Die Linkspartei bleibt auf ihrem Parteitag ähnliche Courage schuldig
Die Linkspartei wagt die Nicht-Veränderung und wählt Janine Wissler (links) und Martin Schirdewan (rechts) zu den Parteivorsitzenden
Die Linkspartei wagt die Nicht-Veränderung und wählt Janine Wissler (links) und Martin Schirdewan (rechts) zu den Parteivorsitzenden

Foto: Imago / Jacob Schröter

Eine kleine Revolution im deutschen Profifußball und eine große für den Berliner Traditionsklub Hertha BSC. Der hat eine Saison des Missvergnügens durchlitten, wäre fast abgestiegen, liegt mit dem Starinvestor über Kreuz und so weiter und noch schlimmer.

Damit das nicht die Existenz kostet, braucht dieser Verein einen Neuanfang, sonst tritt er in der Spielzeit 2023/24 unwiderruflich beim SV Sandhausen und Jahn Regensburg an. Am Wochenende ist mit dem 41-jährigen Kay Bernstein ein neuer Klubpräsident gewählt worden, der aus der Fanszene kommt, zuweilen Stadionverbot hatte, jahrelang in der Ostkurve des Olympiastadions stand, wo es sich der harte Kern der Hertha-Anhänger zu Recht nicht bieten lässt, wenn gegen den Lokalrivalen Union ohne Siegeswillen gespielt wird.

Macher der Macht

Bernstein hat sich am Wochenende auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung relativ klar gegen die lokale CDU-Größe Frank Steffel durchgesetzt, eine der Galionsfiguren des Westberliner Establishments, der sich aufs Hinterzimmer versteht, um Macher der Macht zu sein. Und Hertha vom Regen in die Traufe gebracht hätte, nachdem sich Vorgänger Werner Gegenbauer – aus dem gleichen Westberliner Milieuschutzgebiet – hoffnungslos verzettelt hatte. Steffel hatte angeblich die „Gremien“ bei Hertha hinter sich, Bernstein erkennbar die Mitglieder und Fans.

Womöglich ist der neue Präsident ein Glücksfall für den Verein oder auch nicht, aber den Willen zur Umkehr, den hat er. Sonst hätte er Steffel nicht besiegt, sonst wäre der Überzeugungs- vom Serientäter geschlagen worden.

Am Wochenende wollte sich auch die Linkspartei umsortieren, die ein Wahljahr des Missvergnügens hinter sich hat, den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit vor Augen (womöglich unwiderruflicher als eine Zweitklassigkeit der Hertha), mit dem Wähler über Kreuz liegt und so weiter und noch viel schlimmer.

Die Linkspartei will offensichtlich keinen Neuanfang

Wer hätte ihr Glücksfall sein können? Auf alle Fälle nicht Janine Wissler und Martin Schirdewan. Erstere hat die Bundestagswahl 2021 vergeigt, Schirdewan die Europawahl 2019, Partei-Establishment sind sie beide. Wenn sie es schon nicht lassen konnten, zur Wahl anzutreten, warum haben ihnen die Delegierten keine Abfuhr erteilt? Waren sie sich zu schade, den Leipziger Sören Pellmann zu wählen, dem es die Partei entscheidend zu verdanken hat, noch mit einer Fraktion im Bundestag zu sitzen? Oder wollten die Delegierten keinen Neuanfang, der es wirklich verdient hätte, so genannt zu werden?

Offenbar galt die Devise „Never change a losing team“. Nur wie soll damit eine öffentliche Wahrnehmung gelingen, die wieder zu ermutigenden, statt niederschmetternden Wahlresultaten führt? Wie soll es zum inneren Frieden kommen, wenn diese Führung das Abbild und Ergebnis innerer Flügelkämpfe ist? Pellmann wurde mit seinen 31,7 Prozent regelrecht abgestraft und musste vermutlich für seine Nähe zu Sahra Wagenknecht büßen. Und wofür noch? Seine kommunalpolitische Expertise, das Bekenntnis zu einer anderen Gesellschaft als der herrschenden, eine klare Abgrenzung gegenüber SPD und Grünen. Pellmann hätte dem proklamierten Neustart mehr Glaubwürdigkeit verschafft als Wissler und Schirdewan.

Leider oder bezeichnenderweise pflegte dieser Parteitag ein gestörtes Verhältnis zu Kausalitäten und konnte gar nicht anders, als dem durch die Resolution zum Ukraine-Krieg nachdrücklich Geltung zu verschaffen. Der NATO bestenfalls eine begrenze Mitschuld an diesem Krieg zu geben, heißt das Interesse an der Wirklichkeit verloren zu haben.

Den vergifteten Hertha BSC entgiften

Kay Bernstein hat auf der Hertha-Mitgliederversammlung klar formuliert, was der Klub jetzt braucht: „Dieser Verein ist vergiftet und muss entgiftet werden.“ Gab es ein vergleichbares Ansinnen auf dem Parteitag in Erfurt? Ist das ein Grund dafür, dass bei der Hertha das Klub-Establishment eine Niederlage hinnehmen muss, während sich das Partei-Establishment bei der Linken hält?

Der Dichter Peter Hacks wies einst darauf hin, es mache immer einen Unterschied, ob man beim Ritt über den Bodensee „eine Laterne bei sich führt oder nicht“. Mit anderen Worten, auch wenn du das Unmögliche wagst, solltest du dran glauben, dass es möglich ist und wissen, wohin dich das führt. Da wirkt die Hertha derzeit revolutionärer als die Linkspartei. Das 1:0 gegen die Linke jedenfalls hat sie geschafft und sich verdient wie das 2:0 gegen den HSV in der Relegation.

Frank Steffel ist jetzt wieder frei und das nicht mal auf Bewährung. Sollte ihn die Linkspartei vielleicht in ihre Kaderreserve aufnehmen? Beim Thema Russland/Ukraine ist man sich schon nähergekommen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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