Bidens Kriegspalaver

Ukraine-Konflikt Der US-Präsident redet einen Schlagabtausch zwischen der Ukraine und Russland herbei, statt eine konstruktive Antwort auf die Vorschläge aus Moskau zu geben
Deutschland sollte sich nicht von Joe Bidens Kriegsgerede vereinnahmen lassen
Deutschland sollte sich nicht von Joe Bidens Kriegsgerede vereinnahmen lassen

Foto: Mandel Ngan/AFP via Getty Images

Warum darüber rätseln, ob Joe Biden bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus zwischen „Eindringen“ sowie „Einmarsch“ in die Ukraine einen Unterschied macht und damit die Intensität eines möglichen russischen Angriffs gemeint sein könnte?

Was die Gemüter sehr viel mehr bewegen sollte, ist das faktische Herbeireden einer militärischen Konfrontation. Der US-Präsident tut nicht mehr und nicht weniger als das. Als wollte er Russland auffordern, endlich loszumarschieren, damit das prophezeite Szenario in ein reales Geschehen übergeht, wie das im Westen seit Monaten heraufbeschworen wird.

Trotz eines unverkennbaren diplomatischen Aktivismus wird nicht wirklich etwas getan, um Russland und seinen legitimen Sicherheitsbedürfnissen entgegenzukommen. Auf die von der russischen Seite Anfang Januar übermittelten Vertragsentwürfe an die US-Regierung und die NATO gibt es bis heute keine adäquate Antwort. Nicht einmal im diplomatischen Verkehr wird sich an die Regeln gehalten. Offenbar ist der vorliegende Katalog denkbarer Maßnahmen einer Reaktion nicht würdig.

Stattdessen werden einzelne Aspekte herausgegriffen, um das Ganze in absurder Weise verzerrt darzustellen. So wird unter eifernder Mitwirkung deutscher Medien kolportiert, Moskau wolle Finnland und Schweden vorschreiben, welche Sicherheitspolitik sie zu verfolgen hätten.

Ausgeblendet wird hingegen – und man muss annehmen: vorsätzlich –, was Russland zu gegenseitigen Sicherheitsgarantien sagt, zur Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung, die eine Basis sein müssen – nicht können –, um wieder in ein Fahrwasser kalkulierbarer Beziehungen zurückzukehren.

Krieg in Kauf genommen

Wenn all das hartnäckig ignoriert wird, kann daraus nur eines geschlussfolgert werden: Ein Krieg um die Ukraine, der auch einer um die Ost-Expansion der NATO wäre, soll nicht verhindert, sondern gegebenenfalls riskiert werden. In einer Erklärung des Willy-Brandt-Kreises vom 7. Januar 2022 heißt es: „Der Westen hat bisher nicht erkannt, wie zentral die Lage um die Ukraine für Russland ist.“ Doch hat er sehr wohl. In Wahrheit kann das niemandem entgangen sein. Das Gegenteil ist richtig: Gerade weil das begriffen wurde, ist die Ukraine dazu ausersehen, das Referenzprojekt einer umkehrbaren, nach Möglichkeit fortschreitenden Missachtung der Sicherheitsinteressen Russlands zu sein. Sie wird als Frontstaat missbraucht und lässt sich missbrauchen.

Die Legitimation der dort seit 2014 Macht ausübenden Regierungen zehrt von einer nationalistisch aufgeheizten Feindschaft gegenüber Russland sehr viel mehr als der anti-oligarchischen Katharsis einer wirklich selbstbestimmten und demokratischen Gesellschaft. Für den Westen, auch Deutschland und seine „Werte geleitete Außenpolitik“, ist das nicht etwa von Übel, sondern von Vorteil.

Willige Hinnahme

Die USA und die NATO haben sich längst darauf versteift, die Ukraine als Faustpfand zu haben und zu halten, mit dem sich die Osterweiterung als permanenter Krisenstifter (auch Kriegsstifter?) gegenüber Russland erhalten und vorantreiben lässt.

Es ist nicht nur unverständlich, sondern unglaublich, dass sich eine sozialdemokratisch geführte deutsche Regierung dafür vereinnahmen lässt. Die willige Hinnahme von Bidens Kriegsgerede ist die Konsequenz transatlantischer Gefolgschaft und Folgsamkeit.

Dass es anders geht, hat der französische Präsident am 19. Januar vor dem Europaparlament gezeigt. Er hat es ausdrücklich zur Mission der Europäer erklärt, eine eigene Sicherheitsarchitektur für ihren Kontinent auszuhandeln und das im Austausch mit Russland zu tun. Das heißt doch wohl, Emmanuel Macron hält die derzeit vorhandenen Verhältnisse für unbefriedigend und unzureichend. Zweitens liegt ihm daran, die USA soweit herauszuhalten, wie das möglich ist. Die Bundesregierung sollte sich dazu durchringen, das gutzuheißen und einen eigenen Beitrag anzukündigen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden