Biedermann und Bauchgefühl

Wer entscheidet über Auslandseinsätze der Bundeswehr? Peter Struck möchte die Demokratie gern heraushalten

Wenn Deutschland bisher mit seinen Soldaten in den Konfliktregionen dieser Welt zu spät kam, trägt der Bundestag die Schuld. Deshalb hat jetzt Verteidigungsminister Struck öffentlich die Geduld verloren und will es nicht länger hinnehmen, dass dem Parlament ein Entscheidungsrecht über Bundeswehr-Einsätze am Hindukusch oder sonst wo zusteht. Dieses Recht soll künftig einem Sonderausschuss vorbehalten bleiben, einem kleinen Kreis von Parlamentariern, eine Elite gewissermaßen.

Struck ließ es darauf ankommen, diese fabelhafte Idee ausgerechnet in Colorado Springs im Kreis der NATO-Verteidigungsminister in die Welt zu setzen - unter den gütigen Augen von Donald Rumsfeld. Das zeugt von viel Vertrauen in das eigene diplomatische Geschick und von mindestens ebenso viel Gespür für politische Souveränität. Wer von draußen dem Parlament daheim bescheinigt, in den rauen Zeiten der Anti-Terror-Bataillen anachronistischen Ritualen anzuhängen, der hat sich viele Meriten beim deutsch-amerikanischen Versöhnungswerk verdient. So tief gebeugt war lange kein deutscher Politiker mehr unter Rumsfelds Tischdecke unterwegs.

Dabei hat Peter Struck den bisherigen parlamentarischen Gepflogenheiten in Sachen "Out of Area" keineswegs schmerzverzerrten Gesichts eine Absage erteilt, ihn umgab in Colorado Springs stets die Aura hausbackener Redlichkeit, ein lauter lächelnder Biedermann, dem jeder Vertrauensbonus sicher ist. Ein Stimmungsdemokrat eben, vom Pfeifenkopf bis zur Treue im Blick - einer, der nur wissen will: Wenn Gefahr im Verzug ist, müssen wir dann im Bundestag vorstellig werden und fragen, ob das so ist - oder sollen wir - die Regierung - handeln dürfen, wie es sich gehört? Und irgendein Thomas Roth von der ARD antwortet stellvertretend für Millionen Deutsche: Selbstverständlich darf parlamentarischer Geltungsanspruch nicht zu Lasten der nationalen Sicherheit und atlantischen Pflicht gehen. Man muss nur den gesunden Menschenverstand bemühen. Und der kommt bei einer florierenden Stimmungsdemokratie bekanntlich aus dem Bauch. Notfalls kann ja eine EMNID-Blitzumfrage die Vernunft des Bauches befördern, wird der zuvor ausreichend mit Suggestivfragen versorgt: Sollen wir im Ernstfall warten, bis sich die Herren Parlamentarier zur Entscheidung bequemen? Zum Beispiel - oder: Sollen wir abseits stehen, wenn andere längst im Einsatz sind?

Man könnte natürlich auch fragen: Wollen wir jetzt immer die Verfassung brechen, wenn es um die Frage von Krieg und Frieden geht? Darauf läuft Strucks Einfall am Ende hinaus. Er brüskiert alle derzeit stattfindenden Bemühungen, ein Parlamentsbeteiligungsgesetz zu verabschieden, das dem Bescheid des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 1994 gerecht wird, wonach Auslandseinsätze der Bundeswehr innerhalb der NATO oder der UNO eine "grundsätzlich vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages" brauchen. Im Ausnahmefall darf die Regierung zwar zunächst ohne Parlamentsvotum handeln, muss dies aber nachträglich einholen oder die Truppen zurückziehen. Wird die Legislative aus dieser Prozedur relegiert, werden damit die Transparenz militärischer Entschlüsse, die Debatte darüber und der parlamentarische Widerspruch aussortiert. Und darum geht es offenbar. Wer das bestreitet, sollte sich erinnern, wie Schröder die fast einhellige Zustimmung der Koalitionsfraktionen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr Ende 2001 durch die Vertrauensfrage erzwang. Erst dadurch erregte das Thema jene öffentliche Aufmerksamkeit, die es verdiente.

Sollte die terroristische Gefahr tatsächlich so groß sein, wie allenthalben behauptet, sind bei NATO-Militäraktionen, die (der in Colorado Springs simulierte groteske Fall eines feindlichen Übergriffs hat es gezeigt) Präventivschläge mit Nuklearwaffen sein können, asymmetrische Gegenreaktionen zu erwarten. Muss dann nicht der parlamentarische Souverän darüber befinden, ob diese Eventualität einkalkuliert werden darf, falls die Bundeswehr beteiligt ist? Muss nicht im Bundestag entschieden werden, ob mögliche Gefährdungen der Bevölkerung gerechtfertigt sind? Für die Ausrufung des Verteidigungsfalls hatte bisher jedenfalls das Parlament das Mandat des Grundgesetzes und niemand sonst. Aber vielleicht ist auch das nicht mehr zeitgemäß.

Ist das Terrorismus-Argument hingegen ein Vorwand, um hegemoniale Ambitionen der USA und ihrer NATO-Verbündeten zu legitimieren, wäre die Legislative als politisches Korrektiv militärischer Hybris erst recht gefragt, um Schaden vom Lande abzuwenden. Alles andere käme einer autoritären Selbstermächtigung der Exekutive in einer Angelegenheit gleich, bei der nicht über die Einfuhr von Sojabohnen aus Brasilien zu entscheiden ist. Nur zeigen eben die eher lauen Reaktionen auf den Struck-Vorstoß, dass es entweder um mehr nicht zu gehen scheint oder die Entsorgung der Demokratie weitere beachtliche Fortschritte zu verzeichnen hat.

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