Blinde Helfer

Geberkonferenz Die Gaza-Konferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich hat zwar zu Hilfszusagen von 4,5 Milliarden Dollar geführt, aber politische Realitäten in der Region ignoriert

Hilfsbereitschaft ist aller Ehren wert. Zumal in Zeiten einer Weltrezession. Aber sie sollte nicht mit Realitätsverweigerung einher gehen. Dann geraten die besten Absichten zum absurden Samaritertum, das kafkaesker kaum sein kann. Die gestrige internationale Gaza-Geber-Konferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich war davon nicht frei. Die getroffenen Hilfszusagen gehen mit einer Verdrängungsleistung einher, die erstaunlich und beängstigend zugleich ist.

Wenn eine Staatengemeinde 4,5 Milliarden Dollar verspricht, damit im Gaza-Streifen bis 2011 das Nötigste wiederaufgebaut werden kann, ohne danach zu fragen, wer dafür zuständig ist, dass überhaupt wiederaufgebaut werden muss, mutet das schon skurril an. Niemand in Scharm el-Scheich schien die Frage stellen zu wollen, ob Israel nach seinem kolossalen Zerstörungswerk nicht auch einen ebensolchen Wiedergutmachungsauftrag verdient hätte. Lieber verfiel die Konferenz in eine im Nahen Osten leider verbreitete Unart: Wo Gerechtigkeit und Vernunft nichts zu bestellen haben, kommen Politik und Unvernunft zu ihrem Recht. Was nicht zuletzt in der Entscheidung zum Ausdruck kam, die versprochenen Gelder vorzugsweise an Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen zu geben.

Als ob es die Angriffe der israelischen Armee auf deren Einrichtungen in Gaza während der Operation Gegossenes Blei im Januar nicht gegeben hätte. Dieses Vorgehen sollte den Palästinensern unmissverständlich klar machen: Wir können euch auch die letzten Lebensadern abschnüren. Während die Botschaft an die UN nicht minder eindeutig war: Wenn ihr euch hier engagiert, seid ihr Feinde und werdet entsprechend behandelt.

Wird sich Israel bei einer erneuten Eskalation plötzlich anders verhalten? Wohl kaum. Also hätte die Konferenz von Scharm el-Scheich wenigstens eine gemeinsame Erklärung verabschieden müssen, wonach jeder Angriff auf Mitarbeiter, Fahrzeuge, Güter und Gebäude der Vereinten Nationen einen schweren Rechtsbruch darstellt und die Täter geächtet werden. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen werden in Gaza künftig Wohnhäuser, Schulen und Hospitäler in dem Bewusstsein aufgebaut, dass sie beim nächsten Konflikt wieder in Trümmern liegen.

Nicht einmal zu der Forderung an Israel, alle Grenzübergänge zum Gaza-Streifen zu öffnen, damit so viele Hilfsgüter wie möglich die Palästinenser erreichen, konnte sich die Geber-Gemeinde durchringen. Nicht minder paradox ist die Ausgrenzung der Hamas, die weder zu dieser Konferenz geladen war noch als Adressat von Hilfen in Frage kommt, obwohl sie Gaza regiert, verwaltet und an sozialer Infrastruktur aufrechterhält, was die Israelis übrig ließen.

Die Botschaft von Scharm el-Scheich lässt sich daher nicht auf das Ausmaß der getroffenen Hilfszusagen reduzieren. Sie besteht auch im Willen der dort versammelten internationalen Gemeinschaft, Realitäten zu ignorieren, die im Interesse einer politischen Lösung einfach nicht länger ignoriert werden dürfen, wenn Hilfe effizient und von Dauer sein soll. Alles andere läuft auf Selbstbetrug hinaus und erinnert an den Versuch, eine Krankheit heilen, aber nichts gegen deren Ursachen tun zu wollen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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