Blut an vielen Händen

Ukraine Die von Präsident Poroschenko ausgerufene Waffenruhe läuft aus. Es fragt sich, ob Kiew wie Moskau eine Stabilisierung der Lage wirklich wollen und genug dafür tun
Petro Poroschenko
Petro Poroschenko

Foto. Mykola Larazenko/ AFP/ Getty Images

Neu beginnen kannst du mit jedem Atemzug, sagt man, notfalls mit dem allerletzen. Das gilt selbstredend auch für den ukrainischen Präsidenten. In seiner bisher in Wochen zu messenden Amtszeit hat Petro Poroschenko manchen Sinneswandel durchlaufen. Dies zu rekapitulieren, ist aufschlussreichen.

Nach seiner Wahl am 25. Mai wollte er die Anti-Terror-Operation der Armee im Osten „mit aller Härte“ fortsetzen. Bei der Vereidigung 14 Tage später wurden Verhandlungen in Aussicht gestellt. Nicht aber mit „den Separatisten“. Zwei Wochen nach dieser Offerte – kurz vor einem Termin beim EU-Gipfel in Brüssel – hat Poroschenko nun eine einseitige Waffenruhe verkündet, der Ostukraine mehr Selbstbestimmung und „gemäßigten Separatisten“ versprochen, angehört zu werden, statt ausgeklammert zu bleiben.

Gegenmacht anerkennen?

Was nach Wendigkeit aussieht, hat realpolitische Grundierung. Selbst wenn die ukrainische Armee zuletzt Panzerverbände aufgeboten, mit Luftwaffe und Artillerie Wohngebiete in Lugansk und anderwo beschossen hat, kann sie doch den großen Enthauptungsschlag nicht riskieren. Die Zahl der zivilen Opfer ist schon jetzt hoch, die Zerstörung von Wohngebieten verherrend, die Flucht Tausender Bewohner aus dem Donbass erschütternd.

Poroschenko muss sich darüber im Klaren sein, inzwischen selbst Blut an den Händen zu haben. Das belastet einen Ausgleich mit dem Osten, von Versöhnung ganz zu schweigen. Um so mehr bietet sich die entstandene militärische Patt-Situation an, damit sich vielleicht anbahnen lässt, was in Verhandlungen münden kann – nicht muss –, an denen die Gesandten der „Volksrepubliken“ beteiligt werden. Ob freilich der Sinneswandel Poroschenkos soweit geht, die Gegenmacht anzuerkennen, darf bezweifelt werden. Daher lässt sich dieser Bürgerkrieg vorerst bestenfalls eindämmen, nicht beenden. Kiew braucht ihn viel zu sehr, um sich als Opfer einer russischen Aggression westlicher Hilfswilligkeit zu empfehlen.

Und in Moskau kann Wladimir Putin die Aufständischen weder zum Rückzug noch zur Aufgabe auffordern, ohne das Gesicht zu verlieren. Wie kann Russland Russen in der Ukraine sich selbst und einem Staat überlassen, den sie nicht mehr als den ihren betrachten?

AUSGABE

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 26/14 vom 26.06.2014

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden