Feldpost-Briefe aus Frankreich: Hans Fallada und die Nazis
Zeitgeschichte 1943 bereist Hans Fallada, Autor des Romans „Kleiner Mann – was nun?“, im Auftrag des Reichsarbeitsdienstes ein besetztes Land. Er nimmt sich in Frankreich eine Auszeit vom Schreiben – nicht vom NS-Regime, das Loyalität von ihm erwartet
Da fühlt sich einer mitten im Krieg wie Gott in Frankreich. „Das Land ist bezaubernd schön, das Wetter herrlich, die Pfingstrosen blühen.“ Maßlos verwöhnt werde man nicht nur vom Duft der Akazien und von der Frühsommerfrische, ebenso im Offizierscasino bei Gulasch und Semmelknödeln, Wein und Bohnenkaffee. Der Schriftsteller Hans Fallada (1893 – 1947) tourt ab Mitte Mai 1943 im Auftrag und in der Uniform des Reichsarbeitsdienstes (RAD) durch Frankreich, eine Auszeit vom Schreibtisch und von der Familie im mecklenburgischen Carwitz.
Was er erlebt, versetzt ihn häufig in eine gelöste, teils gehobene Stimmung, schenkt man den Briefen Glauben, die er seiner Frau Anna Ditzen („Liebste Suse“) unter der Feldpostnummer 28515
mer 28515 schreibt und von denen anzunehmen ist, dass sie anderswo mitgelesen werden. „Ich kann schon vorschriftsmäßig grüßen, eine Kombination aus Handheben und Heil Hitler sagen“, vermeldet er nach Hause, und es klingt so selbstironisch wie stolz. Den RAD-Sonderführer Fallada führt es von Paris über Étampes nach Süden, er reist durch die unbesetzte Zone bis zur spanischen Grenze. Ein zur Veröffentlichung vorgesehenes Tagebuch soll den Heroismus des Hinterlandes auf den Baustellen des RAD würdigen. Fallada besucht Fronttheater, antichambriert mit Schauspielern und Generälen, liest aus seinen Werken, um die Truppenkultur zu heben. In Paris hat er bei Buchhändlern erfahren, „Fallada und Rilke seien z. Z. die größte Mode“ und „völlig ausverkauft“.Er soll über Iwan Baruch Kutisker schreibenUnd das von den Besatzern geduckte und gedemütigte Land? Einmal ist von „Kampfspuren“ die Rede, die an den deutschen Einmarsch im Mai/Juni 1940 erinnern. „Das ganze Volk scheint in eine schwere Lethargie versunken“, stellt er fest. Dem aufgeräumten Grundton der Berichte an die „Liebste Suse“ kann das freilich nichts anhaben. Der Chronist lässt erkennbar Vorsicht walten, will integer erscheinen – es womöglich sein? Offenbar hinterlässt der privilegierte Status Wirkung, der einem prominenten Autor beim Gastspiel in der Etappe zugedacht ist. Da will einer kein Außenseiter sein, sondern dazugehören. Dies aus gesichertem historischen Abstand schwer zu tadeln verbietet sich. Es auszublenden ebenfalls.Falladas Zeit beim RAD ist keine Auszeit vom Regime. Auf die Mission in Frankreich folgt im Spätsommer 1943 eine weitere im Sudetengau. Danach soll er Farbe bekennen. Die Reichsschrifttumskammer drängt darauf, dass endlich der Kutisker-Stoff aufgegriffen wird. In einem Roman oder Drehbuch soll Fallada aus dem Leben des polnisch-jüdischen Geschäftsmannes Iwan Baruch Kutisker erzählen, der nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin mit dem Verkauf von Heeresgut reich wurde und sich – mutmaßlich durch Bestechung – Wechselkredite der Preußischen Staatsbank verschafft hat. Man will Falladas „öffentliches Wort zur Judenfrage“, das so ausfallen soll, wie es im NS-Staat nur ausfallen kann. Er wurde lange geschont, zwar hin und wieder als „unverbesserlicher Kulturbolschewister“ geschmäht, aber seine Romane durften erscheinen, mitunter verzögert, in Maßen zensiert.Fallada-Bücher lodern im Mai 1933 auf keinem Scheiterhaufen, keine lüsterne Stimme schreit: „Verschlinge, Flamme, die Werke des Hans Fallada, bewahre das deutsche Volk vor geistigem Hochmut und psychotischem Wahn!“ Joseph Goebbels soll eine schützende und abwartende Hand über diesen Autor halten. Schließlich lassen sich die in den frühen 1930er Jahren verfassten Romane auch als Abrechnung mit der „Systemzeit“ deuten.„Kleiner Mann – was nun?“In Bauern, Bonzen und Bomben, erschienen 1931, werden die Umtriebe der rechtsradikalen Landvolk-Bewegung in Schleswig-Holstein beschrieben, die mit Altholm eine Stadt boykottiert, aber den Staat meint. Ein Jahr später folgt mit Kleiner Mann – was nun? die tragische Geschichte von „Lämmchen“ und Johannes Pinneberg. Millionen erkennen sich wieder in einem Leben, das zum Überleben wird, wenn Armut und Entbehrung in Not und Elend münden. Die Pinnebergs seien „Kronzeugen eines Infernos, das wir alle noch erlebt haben“, tönt eine gleichgeschaltete Literaturkritik. Werke wie diese zu verbieten oder gar zu verbrennen, scheint wenig ratsam. Dafür sind sie zu erfolgreich, zu beliebt, von Rowohlt in Millionenauflage verbreitet. Es reicht, das zu retuschieren, was nicht mehr ins Bild passt. Im Kleinen Mann wird aus dem prügelsüchtigen Nazi Lauterbach ein harmloser Fußballspieler. „Lämmchens“ Sympathien für die KPD sollen gleichfalls weichen, doch Fallada wendet ein: Gehört nicht auch das zur „Systemzeit“? Ohnehin hat er einer weidwunden Republik weder genüsslich beim Ausbluten zugesehen noch sich als Sympathisant der Nazis vereinnahmen lassen. Bis zur Erschöpfung beseelt ihn allein die Passion, Schicksalen schreibend hinterherzujagen, bis sie ihm ausgeliefert sind und er ihnen so verfallen ist, dass 60 bis 70 Manuskriptseiten in einer Wochen anfallen können.1934 wird der Roman Wer einmal aus dem Blechnapf frisst zunächst nicht zugelassen. Das Werk gehöre einer vergangenen Epoche an, die Helden seien gebrochen, unbrauchbar für alles echte Deutsche, die Fabel entspringe einer zügellosen Fantasie, wird dem Rowohlt-Verlag durch den NS-Kulturpolitiker Hellmuth Langenbucher mitgeteilt. Der Verriss soll eine Warnung sein. Wegen seines Strafregisters, der aktenkundigen Alkohol-, Tabletten- und Morphiumsucht ist Fallada verwundbar, erpressbar, formbar. Soll er bitte schön schreiben, was verlangt wird, oder sich mit dem Gedanken an die Heilanstalt anfreunden.Von Erich Mühsam bis Ernst Toller1933 denkt Fallada nach Tagen der SA-Haft in Fürstenwalde bei Berlin daran, aus Deutschland wegzugehen, aber dann wird das Landhaus in Carwitz erworben, gelegen an einem der Feldberger Seen in still dahinfließender Landschaft. Hier kann er bleiben, wegen der Bäume und Bienen, Rübenernte und Heumahd, wegen der Kinder, die wie Tochter „Mücke“ so gern Gedichte aufsagen – „Schütze, Herr, mit starker Hand unser Volk und Vaterland, dass auf unseres Führers Pfaden leuchten Deine Huld und Gnaden“. Wegen seiner Frau Anna – „du bist mein Hafen, mein seliges Ende, mein alles“. Eine eigene, abgeschiedene Welt, die Zuflucht bedeutet, wo Flucht in der Luft liegt. Nachts können verlorene Seelen die Einsamkeit stören – der gemarterte Dichter Erich Mühsam, der sterbende Carl von Ossietzky, die in den Freitod getriebenen Ernst Toller und Walter Hasenclever, der im kalifornischen Exil verarmte Heinrich Mann.Wer diesen Totenwald betritt, verirrt sich schnell. Wem keine dicke Haut gewachsen ist, warum soll der so tun, als hätte er eine? Fallada hat keine, also muss er Abbitte leisten gegenüber sich selbst und künstlerischen Verzicht üben, um Bücher zu produzieren, aber nicht aufzufallen. Der Rückzug ins Heimatverbundene, romantisch Verklärte lässt sich schon manchem Titel der Carwitzer Periode entnehmen: Altes Herz geht auf die Reise, Damals bei uns daheim, Der ungeliebte Mann, Der Jungherr von Strammin. Fallada entzieht sich mehr, als dass er abrupte Verweigerung riskiert. Als ihm das Propagandaministerium zu verstehen gibt, er möge beim Kutisker-Fall an das Jud-Süß-Muster denken, bäumt er sich auf: Wenn überhaupt, dann interessiere ihn nicht der Jude, sondern ein Menschenleben, das vom Geldkomplex beherrscht war.In dieser Lage treiben ihn RAD-Verpflichtungen ans vermeintlich rettende Ufer, wo er Zeit gewinnen und einverleibt werden kann. Dem ältesten Sohn Uli, der in Templin das Gymnasium besucht, schreibt er in einem Feldpostbrief vom 27. September 1943, er möge „ein wirklicher Deutscher“ werden. „Jeder von uns, auch Du, wir haben große Aufgaben zu erledigen, wir werden eines Tages die Herren Europas sein ...“ Bald nach den Wochen im RAD zerbricht seine Ehe, Gemütsschwankungen wechseln sich nun erst recht mit schweren Depressionen ab. Er muss ins Sanatorium und kann zunächst nicht mehr schreiben. Wer wie dieser Hans Fallada Deutschland 1933 oder später nicht verließ, um sein Leben zu retten, dem war es damit nicht geschenkt.